Kurs:Analysis (Osnabrück 2014-2016)/Teil I/Vorlesung 25
Wir besprechen nun die wesentlichen Rechenregeln, mit denen man Stammfunktionen finden bzw. bestimmte Integrale berechnen kann. Sie beruhen auf Ableitungsregeln.
- Partielle Integration
Aufgrund der Produktregel ist eine Stammfunktion von . Daher ist
Bei der partiellen Integration sind insbesondere zwei Dinge zu beachten. Erstens liegt die zu integrierende Funktion im Allgemeinen nicht in der Form vor, sondern einfach als Produkt
(wenn kein Produkt vorliegt, so kommt man mit dieser Regel sowieso nicht weiter, wobei allerdings die triviale Produktzerlegung manchmal helfen kann).
Dann muss man einen Faktor integrieren und den anderen differenzieren. Wenn eine Stammfunktion von ist, so lautet die Formel
Zweitens führt partielle Integration nur dann zum Ziel, wenn das Integral rechts, also , integriert werden kann.
Wir bestimmen eine Stammfunktion des natürlichen Logarithmus mittels partieller Integration, wobei wir schreiben und die konstante Funktion integrieren und den Logarithmus ableiten. Damit ist
Eine Stammfunktion ist also .
Eine Stammfunktion der Sinusfunktion ist . Um Stammfunktionen zu zu finden, verwenden wir partielle Integration, um eine rekursive Beziehung zu Potenzen mit kleinerem Exponenten zu erhalten. Um dies präzise zu machen, arbeiten wir mit Intervallgrenzen, und zwar sollen die Stammfunktionen von ausgehen, also für den Wert besitzen. Für ist mittels partieller Integration
Durch Multiplikation mit und Umstellen erhält man
Speziell ergibt sich für
Die folgende Darstellung von heißt Wallissches Produkt.
Es gilt die Darstellung
Wir setzen
Dies ist eine fallende Folge, für die aufgrund von Beispiel 25.3 die rekursive Beziehung
und die Anfangsbedingungen und gelten. Ausgeschrieben bedeutet dies für gerades
und für ungerades
Mit bzw. schreibt sich dies als
bzw. als
Da die Folge fallend ist und gilt, konvergieren die Quotienten gegen . Also ist insbesondere
Hier kann man den Zähler, indem man zwei aufeinander folgende Faktoren ausmultipliziert, als und den Nenner als schreiben. Daher ist
- Integration der Umkehrfunktion
Es sei eine bijektive differenzierbare Funktion und es sei eine Stammfunktion von .
Dann ist
eine Stammfunktion der Umkehrfunktion .
Ableiten unter Verwendung von Lemma 18.7 und Satz 18.9 ergibt
Diese Aussage besitzt einen einfachen geometrischen Hintergrund. Wenn
eine streng wachsende stetige Funktion ist
(und daher eine Bijektion zwischen
und
induziert),
so besteht zwischen den beteiligten Flächeninhalten der Zusammenhang
bzw.
Für die Stammfunktion von mit dem Startpunkt gilt daher, wenn die Stammfunktion zu bezeichnet, die Beziehung
wobei eine Integrationskonstante ist.
Wir berechnen eine Stammfunktion von unter Verwendung von Satz 25.5. Eine Stammfunktion des Tangens ist
Also ist
eine Stammfunktion von .
- Die Substitutionsregel
Wegen der Stetigkeit von und der vorausgesetzten stetigen Differenzierbarkeit von existieren beide Integrale. Es sei eine Stammfunktion von , die aufgrund von Korollar 24.5 existiert. Nach der Kettenregel hat die zusammengesetzte Funktion
die Ableitung . Daher gilt insgesamt
Typische Beispiele, wo man sofort erkennen kann, dass man die Substitutionsregel anwenden kann, sind beispielsweise
mit der Stammfunktion
oder
mit der Stammfunktion
Häufig liegt ein bestimmtes Integral nicht in einer Form vor, dass man die vorstehende Regel direkt anwenden könnte. Häufiger kommt die folgende umgekehrte Variante zum Zug.
Nach Satz 25.7 ist
Die Substitution wird folgendermaßen angewendet: Es soll das Integral
berechnet werden. Man muss dann eine Idee haben, dass durch die Substitution
das Integral einfacher wird (und zwar unter Berücksichtigung der Ableitung und unter der Bedingung, dass die Umkehrfunktion berechenbar ist). Mit und liegt insgesamt die Situation
vor. In vielen Fällen kommt man mit gewissen Standardsubstitutionen weiter.
Bei einer Substitution werden drei Operationen durchgeführt.
- Ersetze durch .
- Ersetze durch .
- Ersetze die Integrationsgrenzen und durch und .
Für den zweiten Schritt empfiehlt sich die Merkregel
der man im Rahmen der Theorie der „Differentialformen“ auch eine inhaltliche Bedeutung geben kann.
Die obere Kreislinie des Einheitskreises ist die Punktmenge
Zu gegebenem , , gibt es genau ein , das diese Bedingung erfüllt, nämlich . Daher ist der Flächeninhalt der oberen Einheitskreishälfte gleich der Fläche unter dem Graphen der Funktion über dem Intervall , also gleich
Mit der Substitution
(wobei nach Korollar 21.4 bijektiv ist), erhält man unter Verwendung von Beispiel 25.3
Insbesondere ist
eine Stammfunktion zu . Daher ist
Wir bestimmen eine Stammfunktion von unter Verwendung der Hyperbelfunktionen und , für die nach Fakt ***** die Beziehung gilt. Die Substitution
liefert
Eine Stammfunktion des Sinus hyperbolicus im Quadrat ergibt sich aus
Daher ist
und somit
Aufgrund des Additionstheorems für Sinus hyperbolicus ist und daher kann man diese Stammfunktion auch als
schreiben.
Wir wollen eine Stammfunktion für die Funktion
bestimmen. Als Vorüberlegung berechnen wir die Ableitung von
Diese ist
Wir schreiben daher als ein Produkt und wenden darauf partielle Integration an, wobei wir den ersten Faktor integrieren und den zweiten Faktor ableiten. Die Ableitung des zweiten Faktors ist
Daher ist
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