Kurs:Analysis (Osnabrück 2014-2016)/Teil II/Vorlesung 46



Totale Differenzierbarkeit und partielle Ableitungen

Im Folgenden wollen wir den Zusammenhang zwischen Richtungsableitungen, partiellen Ableitungen und dem totalen Differential verstehen.

Totale Differenzierbarkeit impliziert richtungsweise Differenzierbarkeit.



Es seien und endlichdimensionale - Vektorräume, es sei eine offene Teilmenge und eine im Punkt differenzierbare Abbildung.

Dann ist in in jede Richtung differenzierbar, und es gilt

Da eine lineare Abbildung von nach ist, liefert die Anwendung dieser Abbildung auf einen Vektor einen Vektor in . Nach Voraussetzung haben wir

(mit den üblichen Bedingungen an ). Insbesondere gilt für (hinreichend kleines)

Also gilt

da und der Ausdruck beschränkt ist.



Es sei offen und eine in differenzierbare Abbildung.

Dann ist in partiell differenzierbar, und das totale Differential ist bezüglich der Standardbasis durch die Jacobi-Matrix

gegeben.

Dies folgt aus Proposition 46.1, Lemma 44.3 und daraus, dass eine lineare Abbildung auf einer Basis festgelegt ist.


Wir wollen umgekehrt ein handliches Kriterium für die totale Differenzierbarkeit angeben. Vor dem Beweis der nächsten Aussage erinnern wir an die Mittelwertabschätzung für differenzierbare Kurven: Sei differenzierbar. Dann existiert ein mit



Es sei offen und eine Abbildung. Es seien , , die Koordinaten von und ein Punkt. Es sei angenommen, dass alle partiellen Ableitungen von in einer offenen Umgebung von existieren und in stetig sind.

Dann ist in (total) differenzierbar.

Ist die Abbildung bezüglich der Standardbasis des durch die Koordinatenfunktionen gegeben, so wird unter diesen Bedingungen das totale Differential in durch die Jacobi-Matrix

beschrieben.

Indem wir durch eine eventuell kleinere offene Umgebung von ersetzen, können wir annehmen, dass auf die Richtungsableitungen

existieren und in stetig sind. Daher ist nach Proposition 46.1 die lineare Abbildung

der einzige Kandidat für das totale Differential. Daher müssen wir zeigen, dass diese lineare Abbildung die definierende Eigenschaft des totalen Differentials besitzt. Setze (abhängig von ). Dann gelten mit dem Ansatz

(für hinreichend klein) die Abschätzungen

Wir betrachten jeden Summanden einzeln. Für fixiertes ist die Abbildung (die auf dem Einheitsintervall definiert ist)

differenzierbar (aufgrund der Existenz der partiellen Ableitungen auf ) mit der Ableitung

Nach der Mittelwertabschätzung existiert eine reelle Zahl

sodass (dies ist die Norm von )

gilt. Aufsummieren liefert also, dass unser Ausdruck nach oben beschränkt ist durch

Da die partiellen Ableitungen stetig in sind, wird die Summe rechts mit beliebig klein, da dann gegen konvergiert. Also ist der Grenzwert für gleich .



Dies folgt aus Satz 46.3 und daraus, dass die partiellen Ableitungen von Polynomfunktionen wieder Polynomfunktionen und daher nach Satz 34.12 stetig sind.


Für einen anderen Beweis siehe Aufgabe 45.5 und Aufgabe 45.6.



Extrema

In den nächsten Vorlesungen wollen wir mit der Hilfe von Ableitungen verstehen, wann eine Funktion

, ein (lokales) Extremum, also ein Maximum oder ein Minimum in einem Punkt annimmt. Hier stellen wir die relevanten Definitionen zusammen und stellen einige typische Beispiele vor.


Es sei ein metrischer Raum und

eine Funktion. Man sagt, dass in einem Punkt ein lokales Maximum besitzt, wenn es ein derart gibt, dass für alle  mit die Abschätzung

gilt. Man sagt, dass in ein lokales Minimum besitzt, wenn es ein derart gibt, dass für alle  mit die Abschätzung

gilt.


Es sei ein metrischer Raum und

eine Funktion. Man sagt, dass in einem Punkt ein isoliertes lokales Maximum besitzt, wenn es ein derart gibt, dass für alle  mit  und die Abschätzung

gilt. Man sagt, dass in ein isoliertes lokales Minimum besitzt, wenn es ein derart gibt, dass für alle  mit  und die Abschätzung

gilt.

Ein globales Maximum liegt in vor, wenn für alle ist.


Die Funktion

hat in den Wert und überall sonst positive Werte, daher liegt in ein (isoliertes) globales Minimum vor.


Wenn die Funktion ein lokales Minimum im Punkt besitzt, so gilt dies auch für die Einschränkung von auf jede Teilmenge , die enthält. Beispielsweise muss ein (lokales) Minimum einer Funktion der Ebene auch auf jeder Geraden durch diesen Punkt ein (lokales) Minimum sein.

Dies heißt umgekehrt, dass wenn eine Funktion auf einer Geraden durch ein isoliertes lokales Maximum und auf einer anderen Geraden ein isoliertes lokales Minimum besitzt, dass dann kein lokales Extremum vorliegen kann. Solche Punkte nennt man Sattelpunkt oder Passpunkt, das Standardbeispiel ist das folgende.


Wir betrachten das Verhalten der Funktion

in . Die Einschränkung dieser Funktion auf die durch gegebene Gerade (also auf der -Achse) ist die Funktion , die in ein (isoliertes) globales Minimum besitzt. Die Einschränkung dieser Funktion auf die durch gegebene Gerade (also auf der -Achse) ist die Funktion , die in ein (isoliertes) globales Maximum besitzt. Daher kann in kein Extremum besitzen. Auf den durch und gegebenen Geraden ist die Funktion die Nullfunktion.


Es sei

eine stetige Funktion, die im Nullpunkt folgende Eigenschaft erfülle. Zu jeder Geraden durch den Nullpunkt besitzt die auf eingeschränkte Funktion ein lokales isoliertes Maximum. Jeder Wanderer, der durch das durch gegebene Gebirge schnurstracks in eine bestimmte Richtung durch den Punkt läuft, wird also in diesem Punkt ein Gipfelerlebnis haben. Folgt daraus, dass wirklich ein Gipfel vorliegt? Das folgende Beispiel zeigt, dass das nicht der Fall sein muss.


Wir betrachten im die beiden Kreise und , wobei den Mittelpunkt und Radius und den Mittelpunkt und Radius habe. liegt innerhalb von , und die beiden Kreise berühren sich in . Durch diese beiden Kreise wird die Ebene (neben den zwei Kreislinien selbst) in drei offene Gebiete aufgeteilt: Das Innere des Kreises (), die große offene Kreisscheibe ohne die kleine abgeschlossene Kreisscheibe () und das Äußere von (). Der innere Kreis wird als Nullstelle der Funktion

beschrieben. Im Innern von ist diese Funktion negativ, auf hat sie den Wert und außerhalb davon hat sie positive Werte. Entsprechendes gilt für und die Funktion . Wir setzen

Diese Funktion nimmt auf den beiden Kreisen den Wert an, sie ist auf positiv, auf negativ und auf wieder positiv.

Die Funktion besitzt in kein lokales Minimum, da sie dort den Wert besitzt und da jede beliebig kleine Ballumgebung den Bereich trifft, wo negative Werte besitzt. Die Einschränkung der Funktion auf jede Gerade durch den Nullpunkt besitzt aber dort ein lokales Minimum. Es sei dazu eine solche Gerade. Wenn die -Achse ist, so verläuft diese Gerade (bis auf selbst) in , wo nur positive Werte annimmt, sodass in ein (sogar globales) Minimum vorliegt. Es sei also eine von der -Achse verschiedene Gerade durch . Die eine Hälfte der Geraden verläuft ganz in , wo die Funktion positiv ist. Die andere Hälfte verläuft, ausgehend von , zuerst in , dann in und schließlich wieder in . Da die Funktion auf positiv ist, kann man ein Teilintervall der Geraden derart wählen, dass dieses Teilstück (abgesehen von ) nur in und verläuft. Auf diesem Teilintervall nimmt die Funktion in den Wert und sonst überall positive Werte an. Daher besitzt die eingeschränkte Funktion ein lokales Minimum. Das dabei zu wählende hängt natürlich wesentlich von der Steigung der Geraden ab, es gibt kein gemeinsames für alle Geraden.



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