Kurs:Lineare Algebra (Osnabrück 2017-2018)/Teil I/Vorlesung 29
- Affine Räume
Untervektorräume eines Vektorraums enthalten stets die . Eine Gerade , die nicht durch den Nullpunkt verläuft, ist also kein Untervektorraum. Dennoch handelt es sich um ein „lineares Objekt“, das im Rahmen der linearen Algebra studiert werden soll.
Es sei ein Vektorraum. Unter einem affinen Unterraum von versteht man (die leere Menge oder) eine Teilmenge der Form
wobei ein Untervektorraum und ein Vektor ist.
Den Punkt nennt man auch den Aufpunkt und den Untervektorraum den Translationsraum oder Verschiebungsraum oder Parallelvektorraum oder einfach den zugrunde liegenden Untervektorraum. Die Punkte im affinen Raum stellt man sich als Ortspunkte, die Punkte aus als Verschiebungsvektoren vor. Man kann sich darüber streiten, ob man die leere Menge als affinen (Unter)raum gelten lassen möchte, die folgende Bemerkung, die Definition 29.4 und Lemma 30.1 sprechen aber dafür.
Die Lösungsmenge zu einem inhomogenen linearen Gleichungssystem in Variablen ist ein affiner Unterraum von , und zwar ist der zugrunde liegende Vektorraum der Lösungsraum zum zugehörigen homogenen Gleichungssystem.
Zu einer linearen Abbildung
zwischen - Vektorräumen und und einem Element ist das Urbild zu (die Faser zu )
ein affiner Unterraum von . Im nichtleeren Fall kann man jeden Punkt mit
als Aufpunkt verwenden. Der Verschiebungsraum ist dann gerade der Kern von . Durch eine lineare Abbildung wird in eine geschichtete Familie von zueinander parallelen[1] affinen Unterräumen zerlegt.
Eine weitere Überlegung führt zu einem weiteren abstrakten Begriff. Den Anschauungsraum kann man mit Koordinaten versehen und dadurch mit dem identifizieren. Dabei muss man insbesondere willkürlich einen Punkt des Raumes als auszeichnen. Der natürliche Anschauungsraum besitzt keine natürliche Null und auch keine natürliche Addition von Punkten. Dennoch ist der Anschauungsraum mit einem Vektorraum eng verbunden, nämlich dem Vektorraum aller (Parallel-)Verschiebungen des Raumes. Eine solche Verschiebung ist eine elementargeometrische Konstruktion, bei der jeder Punkt des Raumes um einen bestimmten Richtungsvektor verschoben wird. Eine solche Verschiebung ist durch jeden Punkt zusammen mit seinem Bildpunkt festgelegt. Die Menge all dieser Verschiebungen bildet einen Vektorraum, wobei die Addition durch Hintereinanderausführung der Verschiebungen gegeben ist. Die Nullverschiebung ist die Identität. Wenn man einen Punkt des Raumes fixiert, so ergibt sich eine Bijektion zwischen dem Raum und dem Vektorraum der Verschiebungen, indem man den Verschiebungsvektor an anlegt. Eine solche Fixierung nennt man auch Wahl eines Ursprungs.
Ein affiner Raum über einem - Vektorraum ist eine Menge zusammen mit einer Abbildung
die den drei Bedingungen
- für alle ,
- für alle und ,
- Zu je zwei Punkten gibt es genau einen Vektor mit ,
genügt.
Diese Addition nennt man affine Addition oder Translation. Der zu zwei Punkten eindeutig bestimmte Translationsvektor (oder Verschiebungsvektor oder Verbindungsvektor) wird mit bezeichnet. Es gelten, neben , die Regeln
- für .
- für .
- für ,
wobei dies Identitäten im Vektorraum sind, siehe Aufgabe 29.10.
Die Gesamtabbildung
kann man unter verschiedenen Aspekten betrachten. Zu jedem Punkt ist die Abbildung
eine Bijektion zwischen dem zugrunde liegenden Vektorraum und dem affinen Raum. Diese Bijektion ist aber nicht kanonisch, da sie von dem gewählten Punkt abhängt. Jeder Vektor definiert die Abbildung
die die Translation oder Verschiebung auf um den Vektor heißt. Die Abbildung
ordnet einem Punktepaar ihren (eindeutig bestimmten) Verbindungsvektor zu. Statt schreibt man manchmal auch .
Jeder Vektorraum ist auch ein affiner Raum über sich selbst mit der Vektorraumaddition als Addition. Ein affiner Unterraum im Sinne von Definition 29.1 ist ein affiner Raum über .
Die homogene lineare Gleichung
hat den Lösungsraum
und die inhomogene lineare Gleichung
hat die Lösungsmenge
Die affine Addition ist die Abbildung
die einem Paar bestehend aus einer Lösung der homogenen Gleichung und einer Lösung der inhomogenen Gleichung ihre Summe zuordnet, die eine Lösung der inhomogenen Gleichung ist. Zu zwei Lösungen der inhomogenen Gleichung ist die Differenz eine Lösung der homogenen Gleichung. Zu
ist beispielsweise
eine weitere Lösung aus . Die beiden Lösungen und aus werden durch den Verbindungsvektor
ineinander überführt.
- Affine Basen
Für die folgenden Begriffe darf man für die Indexmenge stets eine endliche Menge nehmen. Im nichtendlichen Fall ist ein Koeffiziententupel so zu interpretieren, dass mit endlich vielen Ausnahmen alle Einträge gleich sind.
Eine Familie von Punkten , , in einem affinen Raum über einem - Vektorraum heißt eine affine Basis von , wenn zu einem die Vektorfamilie
eine Basis von ist.
Wegen
kann man die Basisvektoren zum Ursprungspunkt als Linearkombination durch die Vektoren zu einem beliebigen anderen Ursprungspunkt der Familie ausdrücken. Daher ist die Eigenschaft, eine affine Basis zu sein, unabhängig von dem gewählten .
Zu einer Familie , , von Punkten in einem affinen Raum und einem Zahltupel , , mit
(bei unendlichem ist dies so zu verstehen, dass nur endlich viele der von verschieden sein können) heißt die Summe baryzentrische Kombination der . Der zugehörige Punkt in ist durch
gegeben, wobei ein beliebiger Punkt aus ist.
Zu einer Familie , , von Punkten in einem affinen Raum ist durch eine baryzentrische Kombination
ein eindeutiger Punkt in definiert.
Beweis
Es sei , , eine affine Basis in einem affinen Raum über dem - Vektorraum .
Dann gibt es für jeden Punkt eine eindeutige baryzentrische Darstellung
Es sei fixiert. Es gibt dann in eine eindeutige Darstellung
Wir setzen
Dann ist und
Es gibt also eine solche Darstellung mit als Ursprung. Die Eindeutigkeit folgt daraus, dass die , , durch die eindeutig bestimmten Koeffizienten der Vektorraumbasis festgelegt sind und dass durch die baryzentrische Bedingung festgelegt ist.
Es sei , , eine affine Basis in einem affinen Raum über dem - Vektorraum . Dann nennt man die zu einem Punkt eindeutig bestimmten Zahlen
mit
die baryzentrischen Koordinaten von .
Es sei , , eine affine Basis in einem affinen Raum über dem - Vektorraum . Dann besitzt der Punkt () die baryzentrischen Koordinaten , wobei die an der -ten Stelle steht (und als endlich und geordnet angenommen wird).
Damit ist die Dimension von einem nichtleeren affinen Raum gleich der Dimension des zugrunde liegenden Translationsraumes. Dies zeigt zugleich, dass diese Zahl wohldefiniert ist. Der leere affine Raum erhält die Dimension .
- Affine Unterräume
Es sei ein affiner Raum über dem - Vektorraum . Eine Teilmenge heißt affiner Unterraum, wenn ( leer ist)
ist, mit einem Punkt und einem - Untervektorraum .
Diese Definition deckt sich mit der eingangs erwähnten Definition von affinen Unterräumen in einem Vektorraum.
Es sei ein affiner Raum über dem - Vektorraum . Für eine Teilmenge sind äquivalent.
- ist ein affiner Unterraum von .
- Zu und Zahlen mit ist auch .
- Mit je zwei Punkten und mit ist auch .
Im leeren Fall sind alle drei Bedingungen erfüllt, sei also nicht leer. . Es sei mit und einem Untervektorraum . Dann ist mit einem . Nach Definition einer baryzentrischen Kombination ist
ein Element von .
. Dies ist eine Abschwächung.
. Wir wählen einen Punkt und betrachten
Es ist . Zu gehören nach Voraussetzung auch und zu . Damit gehört wiederum auch
zu , wobei die Gleichheit auf Aufgabe 29.20 beruht. Dieser Punkt ist aber gleich
sodass zu gehört. Somit ist abgeschlossen unter der Vektoraddition. Es sei und . Dann gehört nach Voraussetzung auch
zu und damit gehört zu . Also ist mit einem Untervektorraum .
- Fußnoten
- ↑ Affine Unterräume heißen parallel, wenn zwischen den zugehörigen Untervektorräumen eine Inklusion besteht.