Kurs:Mathematik (Osnabrück 2009-2011)/Teil I/Vorlesung 25



Der große Umordnungssatz



Es sei , , eine summierbare Familie von komplexen Zahlen mit der Summe . Es sei eine weitere Indexmenge und zu jedem sei eine Teilmenge gegeben mit und für .[1]

Dann sind die Teilfamilien , , summierbar und für ihre Summen gilt, dass die Familie , , summierbar ist mit

Die Summierbarkeit der Teilfamilien folgt aus Korollar 24.16. Es sei vorgegeben. Da die Ausgangsfamilie summierbar ist, gibt es eine endliche Teilmenge mit

für alle endlichen Teilmengen  mit . Es gibt eine endliche Teilmenge derart, dass

ist. Wir behaupten, dass dieses für die Familie  , , die Summationseigenschaft für erfüllt. Es sei dazu  mit endlich und . Da die Familien  , , summierbar mit den Summen sind, gibt es für jedes ein endliches mit

für alle endlichen  mit . Wir wählen nun für jedes ein solches so, dass zusätzlich gilt. Dann ist und daher . Somit haben wir insgesamt die Abschätzungen




Cauchy-Produkt von Reihen

Zu Reihen und komplexer Zahlen heißt die Reihe

das Cauchy-Produkt der beiden Reihen.



Es seien

zwei absolut konvergente Reihen komplexer Zahlen.

Dann ist auch das Cauchy-Produkt absolut konvergent und für die Summe gilt

Wir müssen für die Partialsummen

zeigen, dass gegen den Limes der Folge konvergiert. Es ist

Da die beiden Reihen absolut konvergieren, und und nach Aufgabe 25.17 Nullfolgen sind, ist die rechte Seite insgesamt eine Nullfolge. Daher konvergiert die Folge nach Aufgabe ***** gegen das Produkt der Grenzwerte der beiden Reihen. Die absolute Konvergenz folgt aus dem bisher Bewiesenen mit dem Majorantenkriterium aus der Abschätzung .




Potenzreihen

Es sei eine Folge von komplexen Zahlen und eine weitere komplexe Zahl. Dann heißt die Reihe

die Potenzreihe in zu den Koeffizienten .

Durch Wahl geeigneter Koeffizienten kann man jede Reihe als Potenzreihe zu einer fixierten Basis ansehen. Bei Potenzreihen ist es aber wichtig, dass man variieren lässt und dann die Potenzreihe im Konvergenzbereich eine Funktion in darstellt.

Eine wichtige Potenzreihe haben wir schon das letzte Mal kennengelernt, nämlich die geometrische Reihe , die für konvergiert und dort die Funktion darstellt. Eine weitere besonders wichtige Potenzreihe ist die Exponentialreihe, die für jede komplexe Zahl konvergiert und zur komplexen Exponentialfunktion führt.



Die Exponentialreihe und die komplexe Exponentialfunktion

Für jedes heißt die Reihe

die Exponentialreihe in .

Dies ist also die Reihe



Für jedes ist die Exponentialreihe

absolut konvergent.

Für ist die Aussage richtig. Andernfalls betrachten wir den Quotienten

Dies ist für kleiner als . Aus dem Quotientenkriterium folgt daher die Konvergenz.


Aufgrund dieser Eigenschaft können wir die komplexe Exponentialfunktion definieren.

Der Graph der reellen Exponentialfunktion



Die Abbildung

heißt (komplexe) Exponentialfunktion.

 Wir werden später sehen, dass diese Funktion für reelle Argumente die Exponentialfunktion zur Basis ist, und dass mit der früher eingeführten eulerschen Zahl übereinstimmt.



Für komplexe Zahlen gilt

Das Cauchy-Produkt der beiden Exponentialreihen ist

mit . Diese Reihe ist nach Lemma 25.3 absolut konvergent und der Grenzwert ist das Produkt der beiden Grenzwerte. Andererseits ist der -te Summand der Exponentialreihe von nach der allgemeinen binomischen Formel gleich

sodass die beiden Seiten übereinstimmen.



Die Exponentialfunktion

besitzt folgende Eigenschaften.
  1. Es ist .
  2. Für jedes ist . Insbesondere ist .
  3. Für ganze Zahlen ist .
  4. Für reelles ist .
  5. Für reelle Zahlen ist und für ist .
  6. Die reelle Exponentialfunktion[2] ist streng wachsend.

(1) folgt direkt aus der Definition.
(2) folgt aus

aufgrund von Satz 25.8.
(3) folgt aus Satz 25.8 und (2).
(4). Der Wert der Exponentialreihe für eine reelle Zahl ist wieder reell, da die reellen Zahlen in abgeschlossen sind. Die Nichtnegativität ergibt sich aus


(5). Für ist

da alle Summanden positiv sind. Wegen (4) ist , sodass der andere Faktor sein muss.
(6). Für reelle ist und daher nach (5) , also




Die trigonometrischen Reihen

Für heißt

die Kosinusreihe und

die Sinusreihe zu .

Durch Vergleich mit der Exponentialreihe ergibt sich sofort, dass diese beiden Reihen für jedes absolut konvergieren. Die zugehörigen Funktionen

heißen Sinus und Kosinus. Beide Funktionen stehen unmittelbar in Zusammenhang mit der Exponentialfunktion, wobei man allerdings die komplexen Zahlen braucht, um diesen Zusammenhang zu erkennen.



Die Funktionen

und

besitzen für folgende Eigenschaften.

  1. Für ist

    Speziell gilt die eulersche Formel

  2. Es ist und .
  3. Es ist und .
  4. Es ist

    und

  5. Es gelten die Additionstheoreme

    und

  6. Es gilt

(1). Aufgrund von Satz 25.8 gilt

sodass wir nur noch den hinteren Faktor betrachten müssen. Nach Aufgabe ***** und Lemma 24.3  (1) gilt


(2) und (3) folgen direkt aus der Definition der Reihen.
(4) folgt aus (1) und (3).
(5). Nach (4) ist

Das Additionstheorem für den Sinus folgt ähnlich.
(6). Aus dem Additionstheorem für den Kosinus angewendet auf und aufgrund von (2) ergibt sich



Für reelle sind und wieder reell, wie unmittelbar aus der Potenzreihendarstellung folgt. Die letzte Aussage im vorstehenden Satz besagt, dass für reelles das Paar ein Punkt auf dem Einheitskreis ist. Wir werden später sehen, dass sich jeder Punkt des Einheitskreises als schreiben lässt, wobei man als Winkel interpretieren kann. Dabei tritt die Periode auf, wobei wir die Kreiszahl eben über die trigonometrischen Funktionen einführen werden.



Fußnoten
  1. D.h. die bilden eine disjunkte Vereinigung von .
  2. Unter der reellen Exponentialfunktion verstehen wir hier die Einschränkung der komplexen Exponentialfunktion auf die reellen Zahlen. Wir werden bald sehen, dass sie mit der Exponentialfunktion zur Basis übereinstimmt.



<< | Kurs:Mathematik (Osnabrück 2009-2011)/Teil I | >>

PDF-Version dieser Vorlesung

Arbeitsblatt zur Vorlesung (PDF)