Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2023-2024)/Teil I/Vorlesung 20

Doch dann hat sie das Beste daraus gemacht. Vermutlich hängt ihre Zugänglichkeit und Menschenbezogenheit auch mit ihren frühen Erfahrungen zusammen.


Wir besprechen nun die wesentlichen Rechenregeln, mit denen man Stammfunktionen finden bzw. bestimmte Integrale berechnen kann. Sie beruhen auf Ableitungsregeln.



Partielle Integration



Es seien

stetig differenzierbare Funktionen.

Dann gilt

Aufgrund der Produktregel ist eine Stammfunktion von . Daher ist


Bei der partiellen Integration sind insbesondere zwei Dinge zu beachten. Erstens liegt die zu integrierende Funktion im Allgemeinen nicht in der Form vor, sondern einfach als Produkt (wenn kein Produkt vorliegt, so kommt man mit dieser Regel sowieso nicht weiter, wobei allerdings die triviale Produktzerlegung manchmal helfen kann). Dann muss man einen Faktor integrieren und den anderen differenzieren. Wenn eine Stammfunktion von ist, so lautet die Formel

Zweitens führt partielle Integration nur dann zum Ziel, wenn das Integral rechts, also , integriert werden kann.


Wir bestimmen eine Stammfunktion des natürlichen Logarithmus mittels partieller Integration, wobei wir schreiben und die konstante Funktion integrieren und den Logarithmus ableiten. Damit ist

Eine Stammfunktion ist also .



Eine Stammfunktion der Sinusfunktion ist . Um Stammfunktionen zu zu finden, verwenden wir partielle Integration, um eine rekursive Beziehung zu Potenzen mit kleinerem Exponenten zu erhalten. Um dies präzise zu machen, arbeiten wir mit Intervallgrenzen, und zwar sollen die Stammfunktionen von ausgehen, also für den Wert besitzen. Für ist mittels partieller Integration

Durch Multiplikation mit und Umstellen erhält man

Speziell ergibt sich für




Integration der Umkehrfunktion



Es sei eine bijektive differenzierbare Funktion und es sei eine Stammfunktion von .

Dann ist

eine Stammfunktion der Umkehrfunktion .

Ableiten unter Verwendung von Lemma 14.7 und Satz 14.8 ergibt


Funktionsgraph mit Umkehrfunktion und Flächen zur Berechnung eines Integrals der Umkehrfunktion.


Diese Aussage besitzt einen einfachen geometrischen Hintergrund. Wenn eine streng wachsende stetige Funktion ist (und daher eine Bijektion zwischen und induziert), so besteht zwischen den beteiligten Flächeninhalten der Zusammenhang

bzw.

Für die Stammfunktion von mit dem Startpunkt gilt daher, wenn die Stammfunktion zu bezeichnet, die Beziehung

wobei eine Integrationskonstante ist.


Wir berechnen eine Stammfunktion von unter Verwendung von Satz 20.4. Eine Stammfunktion des Tangens ist

Also ist

eine Stammfunktion von .




Die Substitutionsregel



Es sei ein reelles Intervall und sei

eine stetige Funktion. Es sei

stetig differenzierbar.

Dann gilt

Wegen der Stetigkeit von und der vorausgesetzten stetigen Differenzierbarkeit von existieren beide Integrale. Es sei eine Stammfunktion von , die aufgrund von Korollar 19.5 existiert. Nach der Kettenregel hat die zusammengesetzte Funktion

die Ableitung . Daher gilt insgesamt



Typische Beispiele, wo man sofort erkennen kann, dass man die Substitutionsregel anwenden kann, sind beispielsweise

mit der Stammfunktion

oder

mit der Stammfunktion


Häufig liegt ein bestimmtes Integral nicht in einer Form vor, dass man die vorstehende Regel direkt anwenden könnte. Häufiger kommt die folgende umgekehrte Variante zum Zug.



Es sei

eine stetige Funktion und es sei

eine bijektive, stetig differenzierbare Funktion.

Dann gilt

Nach Satz 20.6 ist


Die Substitution wird folgendermaßen angewendet: Es soll das Integral

berechnet werden. Man muss dann eine Idee haben, dass durch die Substitution

das Integral einfacher wird (und zwar unter Berücksichtigung der Ableitung und unter der Bedingung, dass die Umkehrfunktion berechenbar ist). Mit und liegt insgesamt die Situation

vor. In vielen Fällen kommt man mit gewissen Standardsubstitutionen weiter.

Bei einer Substitution werden drei Operationen durchgeführt.

  1. Ersetze durch .
  2. Ersetze durch .
  3. Ersetze die Integrationsgrenzen und durch und .

Für den zweiten Schritt empfiehlt sich die Merkregel

der man im Rahmen der Theorie der „Differentialformen“ auch eine inhaltliche Bedeutung geben kann.



Die obere Kreislinie des Einheitskreises ist die Punktmenge

Zu gegebenem , , gibt es genau ein , das diese Bedingung erfüllt, nämlich . Daher ist der Flächeninhalt der oberen Einheitskreishälfte gleich der Fläche unter dem Graphen der Funktion über dem Intervall , also gleich

Mit der Substitution

(wobei nach Korollar 16.14 bijektiv ist), erhält man unter Verwendung von Beispiel 20.3

Insbesondere ist

eine Stammfunktion zu . Daher ist



Wir bestimmen eine Stammfunktion von unter Verwendung der Hyperbelfunktionen und , für die nach Lemma 13.3 die Beziehung gilt. Die Substitution

liefert[1]

Eine Stammfunktion des Sinus hyperbolicus im Quadrat ergibt sich aus

Daher ist

und somit

Aufgrund des Additionstheorems für Sinus hyperbolicus ist und daher kann man diese Stammfunktion auch als

schreiben.



Wir wollen eine Stammfunktion für die Funktion

bestimmen. Als Vorüberlegung berechnen wir die Ableitung von

Diese ist

Wir schreiben daher als ein Produkt und wenden darauf partielle Integration an, wobei wir den ersten Faktor integrieren und den zweiten Faktor ableiten. Die Ableitung des zweiten Faktors ist

Daher ist




Fußnoten
  1. Die Umkehrfunktion des Kosinus hyperbolicus heißt Areakosinus hyperbolicus und wird mit bezeichnet.


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