Kurs:Topologie (Osnabrück 2008-2009)/Vorlesung 2

Der Begriff des topologischen Raumes ist entstanden, um angemessen von stetigen Abbildungen reden zu können. Zur Erinnerung und zur Motivation erläutere ich zunächst den Begriff der stetigen Abbildung im Fall metrischer Räume. Hier tauchen noch positive reelle Zahlen auf, und die globale Stetigkeit wird mit Hilfe der lokalen Stetigkeit definiert. Das Bestreben, diese Einschränkungen zu vermeiden, führt schnell auf den fundamentalen Begriff der offenen Menge. Eine Topologie auf einer Menge besteht nun gerade darin, eine Familie von offenen Mengen auszuzeichnen, die gewissen einfachen Bedingungen genügt. Diese Bedingungen lauten umgangssprachlich:
  1. Die leere Menge ist offen.
  2. Der Schnitt von zwei offenen Mengen ist offen.
  3. Die Vereinigung von beliebig vielen offenen Mengen ist offen.
  4. Die ganze Menge ist offen.

Eine Abbildung von topologischen Räumen heißt stetig, wenn das Urbild einer jeden offenen Menge wieder offen ist.


Es sei eine Menge. Eine Abbildung heißt Metrik (oder Distanzfunktion), wenn für alle die folgenden Bedingungen erfüllt sind:

  1. genau dann, wenn ist (Definitheit),
  2. (Symmetrie), und
  3. (Dreiecksungleichung).

Ein metrischer Raum ist ein Paar , wobei eine Menge und eine Metrik ist.

Man kann leicht aus den Bedingungen folgen, dass eine Metrik nur nichtnegative Werte annimmt. Der Wert gibt den Abstand der Punkte und bezüglich an. Oft wird die Metrik nicht in der Notation erwähnt, obwohl es Situationen gibt, in denen verschiedene Metriken auf ein- und derselben Menge betrachtet werden.


  • Es sei ein -Vektorraum und eine Norm auf . Dann ist eine Metrik auf , wie man leicht nachrechnet. Somit ist jeder normierte Vektorraum ein metrischer Raum. Ein wichtiger Spezialfall ist der euklidische Raum mit der durch die euklidische Norm
    gegebenen Metrik.
  • Auf jeder Menge lässt sich eine diskrete Metrik definieren durch
  • Ist ein metrischer Raum und eine Teilmenge, so ist wieder ein metrischer Raum, wobei .



Es sei ein metrischer Raum, und eine positive reelle Zahl. Es ist

die offene und

die abgeschlossene -Kugel um .

Natürlich müssen Kugeln nicht unbedingt kugelförmig aussehen, aber sie tun es in der euklidischen Norm. Die Kugeln bezüglich der Maximumsnorm sind hingegen Würfel. Der Kugelbegriff erlaubt folgende Formulierung der Stetigkeit.


Es seien und metrische Räume,

eine Abbildung und . Die Abbildung heißt stetig in , wenn für jedes ein derart existiert, dass

gilt. Die Abbildung heißt stetig, wenn sie stetig in für jedes ist.

Eine Formulierung des Stetigkeitsbegriffs, der auf und verzichtet, erfordert einen neuen Begriff.


Es sei ein metrischer Raum und . Eine Teilmenge mit heißt Umgebung von , wenn ein derart existiert, dass

gilt.

Mit Hilfe des Umgebungsbegriff kann man nun folgendes zeigen: Eine Abbildung metrischer Räume ist stetig in , wenn zu jeder Umgebung von eine Umgebung von existiert, so dass

gilt. Und wieder ist eine Abbildung stetig, wenn sie in jedem Punkt stetig ist. Man kann aber nach Einführung eines weiteren Begriffes sofort von der globalen Stetigkeit sprechen.


Es sei ein metrischer Raum. Eine Teilmenge heißt offen in , wenn für jedes eine Umgebung von derart existiert, dass

gilt.



  1. Die leere Menge ist offen in jedem metrischen Raum.
  2. Eine offene Kugel ist aufgrund der Dreiecksungleichung eine offene Menge.
  3. Das abgeschlossene Intervall ist keine offene Menge in . Denn der Punkt besitzt keine Umgebung in .
  4. Ist ein metrischer Raum, so ist offen in . Insbesondere ist offen in dem metrischen Raum .

Diese Auswahl von Vokabeln liefert nun folgenden Satz.



Es seien metrische Räume und eine Abbildung.

Die Abbildung ist stetig genau dann, wenn für jede in offene Menge das Urbild eine in offene Menge ist.

Es sei zunächst stetig und offen in . Es ist zu zeigen, dass offen ist in . Ist die leere Menge, die ja immer offen ist, ist nichts zu zeigen. Es sei also und , also . Da offen ist, gibt es eine Umgebung von . Weil stetig ist in , existiert eine Umgebung von mit

Insbesondere ist eine Umgebung von in . Somit ist offen in .

Es sei nun das Urbild unter einer jeden offenen Menge wieder offen. Um die Stetigkeit von nachzuweisen, sei und eine offene Kugel um . Dies ist eine in offene Menge. Das Urbild ist also offen in . Da ja , gibt es ein mit . Anders ausgedrückt: Es gilt

was die Stetigkeit von in liefert.


Im Laufe der Zeit hat sich herausgestellt, dass der Begriff der offenen Mengen einen bequemen Umgang mit stetigen Abbildungen erlaubt. Nun braucht man nicht unbedingt eine Metrik, um von offenen Mengen reden zu können.


Es sei eine Menge. Eine Familie von Teilmengen von heißt Topologie auf , wenn die folgenden Axiome erfüllt sind:

  1. Es ist und .
  2. Sind und , so ist auch .
  3. Ist eine Indexmenge und für alle , so ist auch .

Ein topologischer Raum ist ein Paar , wobei eine Menge und eine Topologie auf ist.

Bezeichnet die Potenzmenge, also die Menge aller Teilmengen, von , so ist eine Topologie auf eine Teilmenge der Potenzmenge von , die gewissen Bedingungen genügt. Es gilt also .


  1. Es sei ein metrischer Raum. Es sei

    die Familie der offenen Teilmengen. Dann ist eine Topologie auf . Denn die leere Menge ist offen, und ebenso . Der Schnitt von zwei offenen Mengen ist offen, denn das Minimum zweier positiver reeller Zahlen ist wieder eine. Die Vereinigung von beliebig vielen offenen Mengen ist auch wieder offen. Die Dreiecksungleichung geht hier nicht ein!

  2. Insbesondere ist der euklidische Raum ein topologischer Raum, wenn man die von der euklidischen Metrik induzierte Topologie nimmt.
  3. Es sei eine Menge, dann ist die Potenzmenge aller Teilmengen von eine Topologie auf . Die Axiome sind offensichtlich erfüllt. Dies ist die diskrete Topologie auf .
  4. Es sei eine Menge, dann ist die Familie eine Topologie auf . Die Axiome sind offensichtlich erfüllt. Dies ist die indiskrete Topologie auf .
  5. Es sei , dann ist die Familie eine Topologie auf . Die Axiome sind wieder offensichtlich erfüllt. Dieser topologische Raum heißt Sierpinski-Raum.
  6. Es sei und die Familie der beschränkten Teilmengen von . Dann ist keine Topologie, denn eine beliebige Vereinigung beschränkter Teilmengen ist nicht unbedingt beschränkt. Auch .

Nun haben wir mit folgender Definition ein vorläufiges Ziel erreicht.


Es seien topologische Räume und eine Abbildung der unterliegenden Mengen. Die Abbildung ist stetig, wenn für jedes gilt.

Man erhält leicht, dass stetige Abbildungen sich komponieren lassen.



Es seien und stetige Abbildungen topologischer Räume.

Dann ist die Komposition stetig.

Des weiteren ist die Identitätsabbildung stetig.

Es sei . Es ist zu zeigen, dass . Nun ist aber

und , weil stetig ist. Also ist , weil stetig ist.

Da folgt die Aussage über die Identität.


Auch den Umgebungsbegriff kann man analog zu der Situation metrischer Räume formulieren.


Es sei ein topologischer Raum und . Eine Teilmenge mit heißt Umgebung von , wenn es eine offene Menge mit und gilt.

Ist ein metrischer Raum und der zugehörige topologische Raum, so gibt es a priori zwei Umgebungsbegriffe. Diese stimmen aber überein. Denn wenn eine metrische Umgebung von ist, so gibt es ja eine offene -Kugel um , die noch ganz in liegt. Da offene Kugeln in enthalten sind, ist auch eine topologische Umgebung. Ist nun eine topologische Umgebung von , so gibt es ja eine Menge mit . Nach Definition von existiert nun ein mit . Also ist auch eine metrische Umgebung.

Zudem erhält man folgende recht einfache Aussage.



Es sei ein topologischer Raum und eine Teilmenge.

Es ist genau dann, wenn für jedes noch eine Umgebung existiert.

Es sei zunächst und . Dann ist selbst eine Umgebung von . Ist nun eine Umgebung von , so gibt es nach Definition eine Menge mit . Dann ist nach Axiom 3.


Sei nun ein topologischer Raum. Um den Sprachgebrauch zu vereinfachen, sagt man meist:

ist offen in an Stelle von .

Aus dem gleichen Grund wird die Topologie in der Notation häufig unterschlagen. Gelegentlich ist es jedoch sinnvoll, eine Menge mit verschiedenen Topologien zu versehen.



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