Kurs:Analysis (Osnabrück 2013-2015)/Teil II/Vorlesung 54



Extrema unter Nebenbedingungen

Beispiel  

Ein Nilpferd hat die ganze Nacht an Land gegrast und befindet sich gerade im Punkt . Jetzt kommt plötzlich die heiße Sonne hervor und es muss möglichst schnell zurück in seinen Teich. Es sucht also den Punkt des Teichufers , der seiner momentanen Position am nächsten ist, d.h. es soll die Abstandsfunktion

minimiert werden, wobei allerdings nur die Punkte relevant sind. Es geht also um ein Minimierungsproblem, wobei die Punkte die Nebenbedingung erfüllen müssen, zum Teichufer zu gehören. Das Teichufer werde mit Hilfe der Funktion

als

zu einem gewissen beschrieben, d.h., es liegt als Faser einer Funktion vor. Wenn der Teich beispielsweise eine Ellipse ist, so ist . Wir nehmen weiter an, dass die Funktion stetig differenzierbar ist und jeder Punkt der Faser regulär ist. Kann man die Punkte des Teichufers, in denen ein lokales Extremum vorliegt, mit Mitteln der Differentialrechnung charakterisieren? Nach dem Satz über implizite Funktionen gibt es lokal eine differenzierbare Parametrisierung des Teichufers, d.h. eine Funktion

auf einem offenen Intervall , deren Bild gerade ein Ausschnitt aus dem Teichufer ist. Insgesamt erhält man die zusammengesetzte Funktion

und genau dann besitzt in ein lokales Extremum, wenn ein lokales Extremum in besitzt. Auf kann man die Kriterien für lokale Extrema (also Satz 48.1 bzw. Satz 19.1) anwenden, da jetzt der Definitionsbereich (man hat die Nebenbedingung sozusagen eliminiert) eine offene Teilmenge von ist. Wenn ein lokales Extremum vorliegt, so ist einerseits

Andererseits bestimmt den (eindimensionalen) Tangentialraum , und dieser ist wiederum der Kern des totalen Differentials . Daher müssen und linear abhängig sein. Das Nilpferd muss also nach Punkten Ausschau halten, für die es ein mit

gibt.




Satz  

Es sei eine offene Teilmenge und sei

eine stetig differenzierbare Abbildung, . Es sei die Faser von über . Es sei

eine differenzierbare Funktion und die eingeschränkte Funktion besitze im Punkt ein lokales Extremum auf und sei ein regulärer Punkt von .

Dann ist

d.h. die Linearform verschwindet auf dem Tangentialraum an der Faser von durch .

Die Linearform ist eine Linearkombination aus den Linearformen

Beweis  

Wir wenden den Satz über implizite Abbildungen auf den Punkt an. Es gibt also eine offene Menge , , eine offene Menge und eine stetig differenzierbare Abbildung

derart, dass ist und eine Bijektion

induziert. Dabei ist in jedem Punkt regulär und für das totale Differential von gilt

Da in ein lokales Extremum besitzt, besitzt auch in (also ) ein lokales Extremum. Nach Satz 48.1  (2) ist daher

Somit ist einerseits

und andererseits

Der Zusatz folgt, da der Durchschnitt der , ist und somit

gilt. Nach Aufgabe 54.1 folgt daraus, dass zu dem von erzeugten Untervektorraum gehört.


Man beachte, dass dieser Satz nur ein notwendiges Kriterium für lokale Extrema angibt, kein hinreichendes. Die auf dem Satz über implizite Abbildungen beruhende Existenz der Bijektion wird zwar im Beweis verwendet, sie muss aber nicht explizit bekannt sein, um die Kandidaten für lokale Extrema zu bestimmen. Eine explizite Bijektion kann aber helfen zu entscheiden, ob in den Kandidaten ein lokales Extremum vorliegt oder nicht. Wenn es nur endliche viele Kandidaten gibt, so kann man die Funktionswerte ausrechnen und auf diesem Weg zumindest die globalen Extrema finden.



Korollar  

Es sei eine offene Teilmenge und seien

und

stetig differenzierbare Funktionen. Es sei und die Faser von über . Die eingeschränkte Funktion besitze im Punkt ein lokales Extremum auf und sei ein regulärer Punkt von .

Dann ist ein Vielfaches von , d.h. es gibt ein mit

Beweis  

Dies folgt unmittelbar aus Satz 54.2.


Den Faktor nennt man Lagrange-Multiplikator. Diese Aussage legt folgendes Verfahren nahe, Kandidaten für lokale Extrema (unter Nebenbedingung) zu finden: Man untersucht einfach, für welche (bezüglich ) regulären Punkte eine lineare Abhängigkeit zwischen und vorliegt.


Beispiel  

Wir betrachten die Funktion

auf dem Einheitskreis

und interessieren uns für die Punkte , auf denen ein lokales Extremum annehmen kann. Das totale Differential von ist

und das totale Differential von

ist

Gemäß Korollar 54.3 müssen wir die Punkte bestimmen, für die die beiden Differentiale linear abhängig sind. Die Determinante ist

Somit liegt bei und bei lineare Abhängigkeit vor. Die Kreisbedingung führt somit auf die Punkte




Korollar  

Es sei eine offene Teilmenge, sei

eine Linearform und sei die (affin-lineare) Faser von über . Es sei eine stetig differenzierbare Funktion auf , deren Einschränkung auf im Punkt ein lokales Extremum besitze.

Dann ist ein Vielfaches von , d.h. es gibt ein mit

Beweis  

Dies folgt bei wegen

unmittelbar aus Korollar 54.3. Bei ist (da ja nach Voraussetzung nicht leer ist) und die Aussage folgt aus Satz 48.1  (2).



Beispiel  

Wenn man ein bestimmtes Budget zur Verfügung hat und verschiedene Produkte zum fixierten Stückpreis kaufen möchte, wobei noch nicht feststeht, wie viel man von jedem Produkt kaufen möchte, so ergibt sich die Nebenbedingung

auf . Unter dieser Nebenbedingung möchte man den Nutzen optimieren. Betrachten wir eine Zielfunktion der Form

Nach Fakt ***** ergibt sich die Bedingung

Wir multiplizieren die -te Bedingung mit und erhalten die Bedingungen

Mit dem Ansatz

ergibt sich

wobei man so bestimmt, dass der Punkt auf dem affin-linearen Unterraum liegt, also




Korollar  

Es sei eine offene Teilmenge, sei

eine stetig differenzierbare Funktion und sei die Faser von über . Es sei eine Linearform auf , deren Einschränkung auf im (zu ) regulären Punkt ein lokales Extremum besitze.

Dann ist ein Vielfaches von , d.h. es gibt ein mit

Beweis  

Dies folgt wegen

unmittelbar aus Korollar 54.3.



Beispiel  

Wir betrachten die Linearform

auf der Menge

Die Lagrange-Bedingung wird zu

Dies führt auf und

Damit ist

und

Dies führt insgesamt zur Bedingung

die nach dem Zwischenwertsatz mindestens zwei Lösungen hat, die allerdings nicht so einfach explizit anzugeben sind.




Korollar  

Es sei eine offene Teilmenge und sei

eine stetig differenzierbare Funktion. Die Faser von zu einem Punkt sei kompakt und in jedem Punkt regulär.

Dann ist jeder -dimensionale Unterraum für mindestens einen Punkt gleich dem Tangentialraum .

Beweis  

Der -dimensionale Untervektorraum wird durch eine Linearform beschrieben, sagen wir mit

wobei nicht alle gleich sind. Die Funktion nimmt nach Satz 36.12 auf der kompakten Teilmenge ihr Maximum an, d.h. es gibt einen Punkt derart, dass in insbesondere ein lokales Extremum besitzt. Da ein regulärer Punkt ist, folgt nach Korollar 54.5, dass

ist () und somit ist


Ohne die Kompaktheitsvoraussetzung und ohne die Regularitätsvoraussetzung ist die vorstehende Aussage nicht richtig, wie einfache Beispiele zeigen.


Beispiel  

Es sei

und

die Standardhyperbel, realisiert als Faser einer Funktion. Jeder Punkt der Hyperbel ist ein regulärer Punkt von , die Hyperbel ist nicht kompakt. Die beiden Linearformen bzw. besitzen kein lokales Extremum auf und die beiden Koordinatenrichtungen treten nicht als Tangentialräume der Hyperbel auf.



Beispiel  

Wir betrachten

und das zugehörige Nullstellengebilde, also

Dieses nennt man eine Astroide[1]. Dieses Nullstellengebilde liegt innerhalb der abgeschlossenen Kreisscheibe und ist daher kompakt. Die partiellen Ableitungen sind

und

Beide partiellen Ableitungen verschwinden genau für die vier Punkte

die alle zu gehören. Die -Achse tritt nicht als Tangente von auf. Die zweite partielle Ableitung verschwindet nämlich nur bei oder , in diesen Fällen verschwinden aber bereits beide partielle Ableitungen.




Fußnoten
  1. Solche Gebilde werden im Rahmen der algebraischen Geometrie studiert, siehe den Kurs:Algebraische Kurven (Osnabrück 2012).


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