Kurs:Analysis (Osnabrück 2014-2016)/Teil III/Vorlesung 85

In dieser Vorlesung setzen wir die Theorie der riemannschen Mannigfaltigkeiten fort und berechnen insbesondere einige Flächeninhalte.



Berechnungen auf riemannschen Mannigfaltigkeiten



Es sei eine offene Teilmenge und

eine differenzierbare Funktion. Es sei

der Graph von .

Dann ist eine orientierte riemannsche Mannigfaltigkeit, und für die kanonische Volumenform auf gilt

Die Abbildung

ist ein Diffeomorphismus zwischen und dem Graphen . Der Graph ist eine abgeschlossene Untermannigfaltigkeit von und trägt daher die induzierte riemannsche Struktur und (da sich die Orientierung von auf überträgt) eine kanonische Volumenform . Auf diese Situation kann man Satz 84.8 anwenden. Die partiellen Ableitungen von nach der -ten Variablen sind

Es sei ein Punkt, den wir in die Funktionen im Folgenden einsetzen, sodass wir überall mit reellen Zahlen rechnen. Die Skalarprodukte, die die Einträge der Matrix bilden (von deren Determinante wir die Wurzel berechnen müssen), sind gleich

Wir schreiben mit . Mit können wir und insgesamt die Matrix als

schreiben. Daher beschreibt eine lineare Abbildung von nach , die durch faktorisiert, und besitzt damit einen Kern, der zumindest -dimensional ist. Nennen wir ihn . Wenn er die Dimension besitzt, so ist und ist die Identität, und die Aussage ist richtig. Es sei also . Dann ist ein Eigenvektor von zum Eigenwert . Dieser Vektor ist ein Eigenvektor von zum Eigenwert und bildet den -dimensionalen Eigenraum für zum Eigenwert . Insgesamt ist diagonalisierbar und ihre Determinante ist das Produkt der Eigenwerte, also gleich .


Mit diesem Ansatz kann man beispielsweise den Flächeninhalt der Einheitssphäre berechnen, siehe Aufgabe 85.2.



Es sei eine abgeschlossene Fläche[1] in einer offenen Menge , die mit der induzierten riemannschen Struktur und der kanonischen Flächenform versehen sei. Es sei offen und es sei

ein Diffeomorphismus mit der offenen Menge . Die Koordinaten von seien und und wir setzen [2]

Dann gilt auf

Dies folgt direkt aus Satz 84.8.


Es sei

der Graph von

wobei eine offene Teilmenge sei. In diesem Fall stehen Korollar 85.1 und Korollar 85.2 wie folgt miteinander in Beziehung. Die partiellen Ableitungen sind und . Daher ist , , und . Somit ist


Wir knüpfen an die Bezeichnungen von Korollar 85.2 an. Wenn die durch und erfasste offene Teilmenge die Eigenschaft besitzt, dass ihr Komplement eine Nullmenge bezüglich des kanonischen Maßes auf ist, so lässt sich der Flächeninhalt von allein mittels der Formel für berechnen. Dies ist z.B. der Fall, wenn eine abgeschlossene Untermannigfaltigkeit von der Dimension ist, siehe Aufgabe 83.14. Nullmengen werden bei Berechnungen häufig stillschweigend ignoriert.




Rotationsflächen

Es sei eine differenzierbare Kurve

mit gegeben. Wir interessieren uns für die zugehörige Rotationsfläche, also die Teilmenge

des , die entsteht, wenn man die Trajektorie der Kurve um die -Achse dreht. Wir setzen zusätzlich voraus, dass einen Diffeomorphismus auf sein Bild bewirkt und dass eine abgeschlossene Untermannigfaltigkeit in einer offenen Menge

ist (es wird also auch gefordert, dass überall positiv ist). Die Rotationsfläche ist dann eine zweidimensionale abgeschlossene Untermannigfaltigkeit des ohne die -Achse, sodass eine riemannsche Mannigfaltigkeit vorliegt. Ihr Flächeninhalt lässt sich wie folgt berechnen.



Es sei

eine differenzierbare Kurve mit , die einen Diffeomorphismus zu induziere, wobei eine eindimensionale abgeschlossene Untermannigfaltigkeit in einer offenen Menge sei.

Dann ist die zugehörige Rotationsfläche eine abgeschlossene Untermannigfaltigkeit von ohne die -Achse, und ihr Flächeninhalt ist gleich

Es sei die Rotationsfläche, die eine abgeschlossene zweidimensionale Untermannigfaltigkeit in einer offenen Menge des ist. Wir wenden Korollar 85.2 auf die Parametrisierung

an. Die partiellen Ableitungen sind

und daher ist

Somit ist der Flächeninhalt gleich



Kartographie

Die (abstrakte) Kartographie beschäftigt sich mit Karten für die Oberfläche einer Kugel.


Wir betrachten die Abbildung

deren Bild auf der Einheitssphäre liegt. Diese Abbildung kann man sich so vorstellen, dass zuerst das Rechteck zu einer Zylinderoberfläche gemacht wird und anschließend die Kreise des Zylinders auf die horizontalen Kreise einer Kugel mit derselben Höhe projiziert werden. Diese Abbildung ist differenzierbar mit den partiellen Ableitungen

Die Einschränkung dieser Abbildung auf das offene Rechteck ist injektiv, ihr Bild ist die Einheitssphäre bis auf einen einzigen halben Längenkreis. Man kann mit diesen Koordinaten also die Kugeloberfläche berechnen. Mit der in Korollar 85.2 verwendeten Notation ist

und

Daher ist

d.h. diese Kartenabbildung ist flächentreu,[3] und somit ist die Kugeloberfläche gleich



Wir betrachten die Abbildung

deren Bild auf der Einheitssphäre liegt. Diese Abbildung kann man sich so vorstellen, dass zuerst das (in eine Richtung unbeschränkte) Rechteck zu einem unendlichen Zylindermantel über dem Einheitskreis gemacht wird und anschließend jeder Punkt dieses Zylindermantels über die Verbindungsgerade mit dem Kugelmittelpunkt auf die Kugel projiziert wird. Unter dieser Abbildung werden mit der Ausnahme des Nord- und des Südpols alle Punkte der Kugeloberfläche erreicht. Ferner ist sie injektiv, wenn man die Randpunkte des Intervalls herausnimmt (dann fehlt ein halber Längenkreis im Bild). Die Abbildung ist differenzierbar mit den partiellen Ableitungen

Man kann mit diesen Koordinaten die Kugeloberfläche berechnen. Mit der in Korollar 85.2 verwendeten Notation ist

und

Daher ist

Die Kugeloberfläche ist somit unter Verwendung von Satz 72.10 gleich

Das Integral ist nach Beispiel 31.7 gleich , sodass sich der Flächeninhalt ergibt.


Die Mercator-Projektion geht von der zuletzt genannten Projektion aus, ersetzt aber das unbeschränkte Intervall über eine Diffeomorphie durch ein beschränktes Intervall, so dass eine winkeltreue Karte entsteht.


Wir betrachten die Abbildung

deren Bild auf der Einheitssphäre landet. Geographisch gesprochen gibt den Breitenkreis und den Längenkreis des entsprechenden Punktes auf der Einheitserde an (in geozentrischen Koordinaten; die in der Geographie verwendeten Koordinaten weichen davon leicht ab, da die Erde nicht wirklich eine Kugel ist). Diese Abbildung ist differenzierbar mit den partiellen Ableitungen

Die Einschränkung dieser Abbildung auf das offene Rechteck

ist injektiv, ihr Bild ist die Einheitskugel bis auf einen einzigen Längenkreis. Man kann mit diesen Koordinaten also die Kugeloberfläche berechnen. Mit der in Korollar 85.2 verwendeten Notation ist

und

Daher ist

Somit ist die Kugeloberfläche nach dem Satz von Fubini gleich




Fußnoten
  1. Eine Fläche ist einfach eine zweidimensionale Mannigfaltigkeit.
  2. Diese Notation wurde schon von Carl Friedrich Gauß verwendet.
  3. Sie ist aber nicht längentreu. Die horizontalen Strecken auf dem Rechteck werden zu den Polen hin stark gestaucht. Dafür werden die vertikalen Strecken zu den Polen hin zunehmend gestreckt, und diese beiden Phänomene neutralisieren sich.


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