Kurs:Funktionentheorie (Osnabrück 2023-2024)/Vorlesung 4



Holomorphe und antiholomorphe Ableitung

Bei einer reell differenzierbaren Abbildung

ist das totale Differential in einem Punkt eine reell-lineare Abbildung

Diese wird zumeist durch eine Matrix bezüglich der reellen Standardbasis und beschrieben. Nach Lemma 3.2 kann man jede reell-lineare Abbildung zwischen komplexen Vektorräumen in eindeutiger Weise als eine Summe einer komplex-linearen und einer komplex-antilinearen Abbildung schreiben. Im Fall der reellen Differenzierbarkeit definiert man daher die folgenden Konzepte.


Es sei offen und sei

eine reell total differenzierbare Abbildung. Dann nennt man

die holomorphe Ableitung von .


Es sei offen und sei

eine reell total differenzierbare Abbildung. Dann nennt man

die antiholomorphe Ableitung von .

Es gilt dann

und

Es handelt bei der holomorphen und der antiholomorphen Ableitung um komplexe Linearkombinationen der reellen partiellen Ableitungen und . Man kann sie bereits dann definieren, wenn partiell differenzierbar ist.


Es ist

und


Analoge Eigenschaften gelten für die antiholomorphe Ableitung von und , siehe Aufgabe 4.1.



Es sei offen und eine reell total differenzierbare Abbildung.

Genau dann ist auf komplex differenzierbar, wenn auf gilt.

In diesem Fall ist

Wir schreiben mit reellwertigen Funktionen . Es ist und . Somit ist

Die Bedingungen in Satz 3.5 für die komplexe Differenzierbarkeit besagen gerade, dass die beiden Komponentenfunktionen gleich sind. Es ist generell

Unter der Voraussetzung verschwindet der vordere zweite Summand. Daher ist gleich der ersten Spalte der Jacobi-Matrix, und diese ist .


Wenn man für eine reell-differenzierbare Funktion zerlegt, so ist (vergleiche Bemerkung 3.3)

die Zerlegung des totales Differentials bzw. der Jacobi-Matrix in -lineare und antilineare Matrizen. Dabei ist genau dann holomorph, wenn die zweite Matrix zur Nullmatrix wird.



Es sei offen und seien reell total differenzierbare Abbildungen. Dann erfüllt die holomorphe Ableitung folgende Regeln.

  1. Es ist

    für eine Konstante .

  2. Es ist
  3. Es ist
  4. Es ist

    auf dem nullstellenfreien Ort zu .

(1) für reelles und (2) folgen aus den entsprechenden Regeln für die partiellen Ableitungen und gemäß Lemma 43.6 (Analysis (Osnabrück 2021-2023)). Für komplexes muss man zusätzlich die Zerlegung heranziehen. Zum Beweis von (3) verwenden wir die Produktregel für die beiden partielle Ableitungen, also

und

die in dieser Form auf Aufgabe 4.2 beruht. Somit ist

Für die Quotientregel siehe Aufgabe 4.4.



Es sei offen und seien reell total differenzierbare Abbildungen. Dann erfüllt die antiholomorphe Ableitung folgende Regeln.

  1. Es ist

    für eine Konstante .

  2. Es ist
  3. Es ist
  4. Es ist

    auf dem nullstellenfreien Ort zu .

  1. Siehe Aufgabe 4.5.
  2. Siehe Aufgabe 4.6.
  3. Siehe Aufgabe 4.7.
  4. Siehe Aufgabe 4.18.



Winkeltreue lineare Abbildungen

Für von verschiedene Vektoren und in einem euklidischen Vektorraum folgt aus der der Ungleichung von Cauchy-Schwarz, dass

ist. Damit kann man mit Hilfe der trigonometrischen Funktion Kosinus (als bijektive Abbildung ) bzw. der Umkehrfunktion den Winkel zwischen den beiden Vektoren definieren, nämlich durch

Der Winkel ist also eine reelle Zahl zwischen und . Für mit dem reellen Standardskalarprodukt ist

und somit ist der Winkel zwischen und gleich


Eine lineare Abbildung

zwischen euklidischen Vektorräumen und heißt winkeltreu, wenn für je zwei Vektoren die Beziehung

gilt.

Da Winkel nur für von verschiedene Vektoren definiert sind, müssen winkeltreue Abbildungen injektiv sein. Eine Isometrie ist insbesondere winkeltreu, da ja sowohl die Norm als auch der Winkel unter Bezug auf das Skalarprodukt definiert werden und dieses sich bei einer Isometrie nicht ändert. Weitere Beispiele für winkeltreue Abbildungen sind Streckungen um einen von verschiedenen Streckungsfaktor, siehe Aufgabe 35.1 (Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025)). Bei einer winkeltreuen Abbildung werden insbesondere zueinander orthogonale Vektoren auf orthogonale Vektoren abgebildet. Für eine reell-lineare Abbildung

kann man die Winkeltreue auch dadurch ausdrücken, dass

gilt, da ja der Kosinus in dem angegebenen Bereich bijektiv ist.

Bei einer winkeltreuen Abbildung

zwischen euklidischen Vektorräumen und werden nicht nur die Winkel am Nullpunkt, sondern überhaupt alle Winkel erhalten. Für Punkte stimmt ja der Winkel des Dreiecks an wegen

mit dem Winkel an des Bilddreiecks überein.



Es sei

eine - lineare Abbildung, die durch die Multiplikation mit der komplexen Zahl

gestiftet wird. Bezüglich der reellen Basis von wird diese Abbildung durch die reelle - Matrix

beschrieben. Diese schreiben wir als

Somit liegt die Hintereinanderschaltung von einer Isometrie (einer Drehung) und einer Streckung mit dem Streckungsfaktor

und insbesondere eine winkeltreue Abbildung

vor.  Dies folgt auch aus


Die komplexe Konjugation

ist eine - lineare Isometrie. Für das reelle Skalarprodukt auf ist ja

Daher liegt insbesondere eine winkeltreue Abbildung vor. Die Winkeltreuheit kann man auch direkt aus

folgern.




Es sei

eine winkeltreue lineare Abbildung auf dem euklidischen Vektorraum .

Dann gibt es eine Isometrie

und eine Streckung

mit

Es sei

und es sei

wobei die Dimension von sei. Es sei die Streckung mit dem Faktor und wir betrachten die Abbildung

Diese Abbildung ist nach wie vor winkeltreu und ihre Determinante ist oder . Nach Aufgabe 33.18 (Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025)) ist eine Isometrie.



Es sei

eine - lineare, winkeltreue Abbildung.

Dann ist entweder

oder

wobei die komplexe Konjugation und die Multiplikation mit einer komplexen Zahl bezeichnet.

Durch eine komplexe Konjugation kann man davon ausgehen, dass die Determinante eine positive reelle Zahl ist. Durch die reelle Streckung mit dem Faktor kann man davon ausgehen, dass eine winkeltreue lineare Abbildung mit Determinante vorliegt. Nach Satz 4.11 haben wir eine reelle Isometrie, und nach Satz 34.4 (Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025)) liegt eine ebene Drehung vor. Diese sind die Multiplikation mit einer komplexen Zahl vom Betrag .



Holomorphe Abbildungen und Winkeltreue
Eine holomorphe Abbildung ist winkeltreu.

Eine komplex-differenzierbare Abbildung, deren Ableitung nirgendwo gleich ist, hat somit die Eigenschaft, dass in jedem Punkt die lineare Approximation winkeltreu ist. Dies wirkt sich dahingehend aus, dass ein rechtwinkliges Koordinatensystem auf ein krummliniges Koordinatensystem abgebildet wird, dass die Bildkoordinatenlinien aber nach wie vor senkrecht aufeinander stehen.


Die Joukowski-Abbildung ist durch

gegeben und auf definiert. Sie ist abgesehen von den beiden Nullstellen der Ableitung

winkeltreu. Unter der Abbildung wird die Einheitskreislinie auf das reelle Intervall abgebildet. Kreise mit Mittelpunkt werden auf Ellipsen abgebildet. Andere Kreise werden auf verschiedene Figuren abgebildet, die als Tragflächenprofile Verwendung finden.


Einige Bildkurven der cartesischen Koordinatenlinien der Einheitskreisscheibe unter der komplexen Invertierungsfunktion .



Es sei offen und eine reell total differenzierbare Abbildung derart, dass das totale Differential in jedem Punkt invertierbar sei.

Dann ist auf genau dann komplex differenzierbar, wenn in jedem Punkt winkeltreu und orientierungstreu ist.

Die Hinrichtung ergibt sich aus Beispiel 4.6, da ja im Falle der komplexen Differenzierbarkeit das totale Differential die Multiplikation mit der komplexen Zahl beschreibt. Wenn umgekehrt die beiden Bedingungen erfüllt sind, so ist die Determinante der Jacobi-Matrix stets positiv und daher liegt in Lemma 4.12 stets der erste Fall vor, also die Multiplikation mit einer komplexen Zahl.


Einige Urbildkurven von Koordinatenlinien zu vom Sechstelsektor in die obere Halbebene.



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