Kurs:Grundkurs Mathematik (Osnabrück 2018-2019)/Teil II/Vorlesung 56



Produkte von endlichen Wahrscheinlichkeitsräumen

Eine Münze wird zweimal unabhängig voneinander hintereinander geworfen, und wir interessieren uns für die Wahrscheinlichkeit, wie oft dabei Zahl fällt. Die Möglichkeiten sind . Diese sind aber nicht gleichwahrscheinlich, sondern die ist deutlich wahrscheinlicher als die und die . Wenn man das Ereignis mit der möglichen Wertemenge beschreibt, so liegt kein Laplace-Raum vor. Es ist besser, die Gesamtsituation durch den Produktraum zu beschreiben, wobei die Paare daraus die möglichen Ausgänge des Gesamtexperimentes bezeichnen, bei dem das Ergebnis beim ersten Wurf an erster und das Ergebnis beim zweiten Wurf an zweiter Stelle notiert wird. Die möglichen Ergebnisse sind somit

Diese Elementarereignisse sind gleichwahrscheinlich, d.h. mit diesem Produktraum wird das Gesamtexperiment durch einen Laplace-Raum beschrieben, bei dem jedes Elementarereignis die Wahrscheinlichkeit besitzt. Die ursprüngliche Frage nach der Wahrscheinlichkeit, wie oft insgesamt Zahl geworfen wird, wird mit Hilfe dieses Produktraumes dadurch beantwortet, dass man zählt, wie viele der Elementarereignisse zur Summenanzahl führen. Somit besitzt keinmal Zahl die Wahrscheinlichkeit , einmal Zahl die Wahrscheinlichkeit und zweimal Zahl die Wahrscheinlichkeit .


Die mehrfache Hintereinanderausführung eines Experimentes wird durch die Produktmenge, die Produktdichte und das Produktmaß mathematisch realisiert.


Es seien endliche Wahrscheinlichkeitsräume mit zugehörigen Dichten . Dann nennt man die Produktmenge zusammen mit der durch

gegebenen Wahrscheinlichkeitsdichte den Produktraum der Wahrscheinlichkeitsräume.

Häufig nimmt man in jeder Komponente den gleichen Wahrscheinlichkeitsraum , etwa, wenn man die -fache Hintereinanderausführung eines Experimentes untersuchen möchte. Für den Produktraum schreibt man dann kurz .


Es soll zehnmal mit einer Münze hintereinander geworfen werden. Mit dem Grundraum

wird dies dann mit dem Produktraum

beschrieben, die Elemente im Produktraum dokumentieren einen möglichen Ausgang des Gesamtexperimentes, es handelt sich um sämtliche Kombinationen der Länge aus oder , „typische“ Elemente sind

Diese haben alle die Wahrscheinlichkeit




Es seien endliche Wahrscheinlichkeitsräume und

der Produktraum. Dann gelten folgende Aussagen.

  1. Der Produktraum ist in der Tat ein Wahrscheinlichkeitsraum.
  2. Für Teilmengen ist

Es seien die zugehörigen Wahrscheinlichkeitsdichten.

  1. Unter Verwendung des allgemeinen Distributivgesetzes in der Form von Aufgabe 11.8 gilt
  2. Es ist entsprechend


Zu Laplace-Räumen mit

ist der Produktraum ebenfalls ein Laplace-Raum mit Elementen. Dies ergibt sich unmittelbar aus der Definition des Produktraumes und aus Satz 9.6.



Die Binomialverteilung

Es sei und . Die endliche Wahrscheinlichkeitsdichte auf mit

heißt Binomialverteilung zur Stichprobenlänge und zur Erfolgswahrscheinlichkeit .



Die Binomialverteilung zu

ist eine Wahrscheinlichkeitsdichte auf .

Wir müssen lediglich nachweisen, dass

ist. Nach dem binomischen Lehrsatz ist

was die Behauptung bestätigt.



Es sei mit der Bernoulli-Verteilung zur Wahrscheinlichkeit versehen und es sei . Es sei

das -fache Produkt von mit sich selbst.

Dann besitzt zu das Ereignis

die Wahrscheinlichkeit

Da jedes nur den Wert oder haben kann, gilt genau dann, wenn in

genau -fach eine (und -fach eine steht). Diese Tupel entsprechen den -elementigen Teilmengen von , davon gibt es nach Satz 13.6 Stück. Die Wahrscheinlichkeit für ein solches einzelnes Tupel von diesem Typ ist nach der Definition der Produktwahrscheinlichkeit gleich . Somit ist die Gesamtwahrscheinlichkeit von gleich



Es sei ein Experiment gegeben, das nur die Werte und annehmen kann und bei dem der Wert die Wahrscheinlichkeit besitzt.

Dann ist die Verteilung auf , die die Wahrscheinlichkeit beschreibt, dass bei der -fachen (unabhängigen) Hintereinaderausführung des Experimentes -fach das Ereignis eintritt, durch die Binomialverteilung zur Stichprobenlänge und zur Erfolgswahrscheinlichkeit gegeben.

Das Experiment wird durch die Bernoulli-Verteilung auf mit der Erfolgswahrscheinlichkeit beschrieben. Die -fache Hintereinanderausführung wird somit durch den Produktraum beschrieben. Das Ereignis

das beschreibt, dass genau -fach eintritt, besitzt nach Lemma 56.8 die Wahrscheinlichkeit



Die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem -fachen Münzwurf genau -fach Kopf fällt,

beträgt

Dies folgt unmittelbar aus Satz 56.9, da bei die Gleichheit

gilt.



Das Gesetz der großen Zahlen
Jakob Bernoulli (1655-1705) bewies erstmals das Gesetz der großen Zahlen für den Münzwurf.

In der Wahrscheinlichkeitstheorie interessiert man sich häufig für asymptotische Aussagen. Dass bei einem einzelnen Münzwurf Kopf und Zahl gleichwahrscheinlich ist, ist eine plausible Definition, aber selbst noch nicht sehr aussagestark. Eine gehaltvolle Aussage wird erst dann daraus, wenn man zeigen kann, dass bei einer häufigen Wiederholung des Experimentes die relative Häufigkeit, wie oft Kopf fällt, sich in der Nähe von befindet, wenn die Anzahl der Wiederholungen bezeichnet. In diesem Kontext ist es zunächst wichtig, sich klar zu machen, was eine sinnvolle Formulierung sein könnte und wie hier „in der Nähe von“ zu verstehen ist. Insbesondere muss man sich klar machen, was zu viel erwartet wäre. Beispielsweise ist die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem -fachen Münzwurf (mit gerade) genau -oft Kopf fällt, gleich nach Korollar 56.10. Dies ist wahrscheinlicher als jedes andere Ergebnis für die Anzahl der Kopfwürfe. Wenn aber gegen unendlich strebt, so wird diese Wahrscheinlichkeit beliebig klein, sie konvergiert gegen . Auch wenn man einen gewissen Abstand zu der Mitte fixiert, wie wenn man sagt, dass die Anzahl der Kopfwürfe zwischen und liegen soll, so geht die Wahrscheinlichkeit dafür gegen für gegen unendlich. Dies klingt einleuchtend, wenn man ein sehr großes betrachtet. Dass bei einer Million an Münzwürfen die Kopfanzahl im (relativ gesehen kleinen) Intervall liegen soll, ist doch nicht zu erwarten. Anders sieht es aus, wenn man „in der Nähe von “ anteilig bzw. prozentual versteht. Wenn man sich Intervalle der Form

anschaut, so sind dies für einige Zehnerpotenzen die Intervalle , , , , und unser stochastisches Gefühl sagt uns, dass die Wahrscheinlichkeiten zunehmend größer werden, dass die Anzahlen der Kopfwürfe in diesen Intervallen liegen. Diese Beobachtung wird durch das Gesetz der großen Zahlen präzisiert. Es gibt eine ganze Reihe von Aussagen unter diesem Namen, wir beschränken uns auf den Fall eines Münzwurfes. Das folgende Lemma beinhaltet die entscheidenden Abschätzungen, um das Gesetz der großen Zahlen für den Münzwurf zu beweisen. Zur Orientierung: Im zuletzt erwähnten Beispiel muss man nehmen, es ist und . Der Beweis liefert eine Abschätzung nach oben dafür, dass bei einem millionenfachen Münzwurf höchstens -mal Zahl geworfen wird.


Es sei , , fixiert und gerade. Dann gelten folgende Aussagen.

  1. Es ist für .
  2. Es ist
  3. Es ist
  4. Für konvergiert der Ausdruck

    gegen .

  1. Siehe Aufgabe 56.18.
  2. Nach Aufgabe 13.18 ist

    Somit besteht zwischen und der Zusammenhang

    Dies bedeutet umgekehrt

    Die Faktoren sind alle von der Form

    mit . Sie sind alle und für das maximale , also für , am größten. Da es viele Faktoren gibt, kann man das Produkt unter Verwendung von Lemma 25.18  (1), Lemma 53.5  (6) und Lemma 53.5  (8) durch

    nach oben abschätzen. Also ist

  3. Dies folgt aus (2), da die Binomialkoeffizienten in diesem Bereich wachsend sind und da es Summanden gibt.
  4. Nach (1) konvergiert gegen . Nach (3) genügt es daher, zu zeigen, dass

    gegen konvergiert. Dieser Ausdruck ist aber (beschränkt durch) von der Form

    mit , also nach Satz 27.12 konvergent gegen .


Die geeignet normierte Binomialverteilung zu „konvergiert“ gegen die sogenannte Normalverteilung.



Zu jedem

konvergiert die Folge

gegen .

Das bedeutet, dass die relative Häufigkeit bei einem -fach wiederholten Bernoulli-Experiment zur Wahrscheinlichkeit bei hinreichend groß mit beliebig hoher Wahrscheinlichkeit im Intervall liegt.

Wir schreiben

Somit ergibt sich die Aussage direkt aus Lemma 56.11  (4).


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