Kurs:Mathematik (Osnabrück 2009-2011)/Teil I/Vorlesung 17

Wir wollen einen systematischen Weg beschreiben, die Eigenwerte eines Endomorphismus aufzufinden. Dafür brauchen wir einige Grundtatsachen über Polynome, die wir dann auf das charakteristische Polynom eines Endomorphismus anwenden können.



Der Polynomring über einem Körper

Der Polynomring über einem Körper besteht aus allen Polynomen

mit , , und mit komponentenweiser Addition und einer Multiplikation, die durch distributive Fortsetzung der Regel

definiert ist.

Ein Polynom

ist formal gesehen nichts anderes als das Tupel , die die Koeffizienten des Polynoms heißen. Zwei Polynome sind genau dann gleich, wenn sie in allen ihren Koeffizienten übereinstimmen. Der Körper heißt in diesem Zusammenhang der Grundkörper des Polynomrings. Aufgrund der komponentenweisen Definition der Addition liegt unmittelbar eine Gruppe vor, mit dem Nullpolynom (bei dem alle Koeffizienten sind) als neutralem Element. Die Polynome mit

für alle heißen konstante Polynome, man schreibt sie einfach als .

Die für ein einfaches Tupel zunächst ungewöhnliche Schreibweise deutet in suggestiver Weise an, wie die Multiplikation aussehen soll, das Produkt ist nämlich durch die Addition der Exponenten gegeben. Dabei nennt man die Variable des Polynomrings. Für beliebige Polynome ergibt sich die Multiplikation aus dieser einfachen Multiplikationsbedingung durch distributive Fortsetzung gemäß der Vorschrift, „alles mit allem“ zu multiplizieren. Die Multiplikation ist also explizit durch folgende Regel gegeben:

Die Multiplikation ist assoziativ, kommutativ, distributiv und besitzt das konstante Polynom als neutrales Element, siehe Aufgabe *****.

Der Graph einer Polynomfunktion von nach vom Grad .

In ein Polynom kann man ein Element einsetzen, indem man die Variable an jeder Stelle durch ersetzt. Dies führt zu einer Abbildung

die die durch das Polynom definierte Polynomfunktion heißt.


Der Grad eines von verschiedenen Polynoms

mit ist .

Das Nullpolynom bekommt keinen Grad. Der Koeffizient , der zum Grad des Polynoms gehört, heißt Leitkoeffizient des Polynoms. Der Ausdruck heißt Leitterm.



Es sei ein Körper und sei der Polynomring über . Es seien Polynome mit .

Dann gibt es eindeutig bestimmte Polynome mit

Wir beweisen die Existenzaussage durch Induktion über den Grad von . Wenn der Grad von größer als der Grad von ist, so ist und eine Lösung, sodass wir dies nicht weiter betrachten müssen. Bei ist nach der Vorbemerkung auch , also ist ein konstantes Polynom, und damit ist (da und ein Körper ist) und eine Lösung. Es sei nun und die Aussage für kleineren Grad schon bewiesen. Wir schreiben und mit . Dann gilt mit die Beziehung

Dieses Polynom hat einen Grad kleiner als und darauf können wir die Induktionsvoraussetzung anwenden, d.h. es gibt und mit

Daraus ergibt sich insgesamt

sodass also und eine Lösung ist. Zur Eindeutigkeit sei mit den angegebenen Bedingungen. Dann ist . Da die Differenz einen Grad kleiner als besitzt, ist aufgrund der Gradeigenschaften diese Gleichung nur bei und lösbar.




Es sei ein Körper und sei der Polynomring über . Es sei ein Polynom und .

Dann ist genau dann eine Nullstelle von , wenn ein Vielfaches des linearen Polynoms ist.

Wenn ein Vielfaches von ist, so kann man

mit einem weiteren Polynom schreiben. Einsetzen ergibt

Im Allgemeinen gibt es aufgrund der Division mit Rest eine Darstellung

wobei oder aber den Grad besitzt, also so oder so eine Konstante ist. Einsetzen ergibt

Wenn also ist, so muss der Rest sein, und das bedeutet, dass ist.



Es sei ein Körper und sei der Polynomring über . Es sei ein Polynom () vom Grad .

Dann besitzt maximal Nullstellen.

Wir beweisen die Aussage durch Induktion über . Für ist die Aussage offensichtlich richtig. Es sei also und die Aussage sei für kleinere Grade bereits bewiesen. Es sei eine Nullstelle von (falls keine Nullstelle besitzt, sind wir direkt fertig). Dann ist nach Lemma 17.4 und hat den Grad , sodass wir auf die Induktionsvoraussetzung anwenden können. Das Polynom hat also maximal Nullstellen. Für gilt . Dies kann nach Lemma 5.9  (5) nur dann sein, wenn einer der Faktoren ist, sodass eine Nullstelle von gleich ist oder aber eine Nullstelle von ist. Es gibt also maximal Nullstellen von .



Es sei ein Körper und sei der Polynomring über .

Dann besitzt jedes , , eine Produktzerlegung

mit und einem nullstellenfreien Polynom .

Dabei sind die auftretenden verschiedenen Zahlen und die zugehörigen Exponenten (bis auf die Reihenfolge) eindeutig bestimmt.

Beweis

Siehe Aufgabe 17.7.

Es gilt allgemeiner, dass die Zerlegung eines Polynoms in irreduzible Faktoren im Wesentlichen eindeutig ist.

Man kann auch Brüche von Polynomen als Funktionen auffassen, die außerhalb der Nullstellen des Nenners definiert sind. Das Beispiel zeigt den Graph der rationalen Funktion .

Der Polynomring ist ein kommutativer Ring, aber kein Körper. Man kann aber einen Körper konstruieren, der den Polynomring enthält, ähnlich wie man aus die rationalen Zahlen konstruieren kann. Dazu definiert man

wobei man wieder zwei Brüche

und miteinander identifiziert, wenn ist. Auf diese Weise entsteht der Körper der rationalen Funktionen (über ). Wir brauchen diesen Körper, um das charakteristische Polynom zu einem Endomorphismus korrekt definieren zu können.



Das charakteristische Polynom

Zu einer - Matrix mit Einträgen in einem Körper heißt das Polynom

das charakteristische Polynom von .

Für bedeutet dies

In dieser Definition nehmen wir Bezug auf die Determinante von Matrizen, die wir nur für Matrizen mit Einträgen in einem Körper definiert haben. Die Einträge sind jetzt aber Elemente im Polynomring . Da wir sie aber als Elemente im Körper der rationalen Funktionen auffassen können, ist dies eine sinnvolle Definition. Gemäß der Definition ist diese Determinante ein Element in , da aber alle Einträge der Matrix Polynome sind und bei der rekursiven Definition der Determinante nur addiert und multipliziert wird, ist das charakteristische Polynom wirklich ein Polynom. Der Grad des charakteristischen Polynoms ist und der Leitkoeffizient ist , d.h. die Gestalt ist

Es gilt die wichtige Beziehung

für jedes , siehe

Aufgabe 17.19.

Für eine lineare Abbildung

auf einem endlichdimensionalen Vektorraum definiert man das charakteristische Polynom
wobei eine beschreibende Matrix sei. Das gleiche Argument, das wir in der Vorlesung 15 angewendet haben, zeigt, dass diese Definition unabhängig von der Wahl der Basis ist.



Es sei ein Körper und es sei ein - dimensionaler Vektorraum. Es sei

eine lineare Abbildung.

Dann ist genau dann ein Eigenwert von , wenn eine Nullstelle des charakteristischen Polynoms ist.

Es sei eine beschreibende Matrix für , und sei vorgegeben. Es ist

genau dann, wenn die lineare Abbildung

nicht bijektiv (und nicht injektiv) ist (wegen Satz 14.13 und Lemma 13.8). Dies ist nach Lemma 16.8 und Lemma 12.7 äquivalent zu

was bedeutet, dass der Eigenraum zu nicht der Nullraum ist, also ein Eigenwert zu ist.


Für eine genauere Untersuchung der Eigenräume ist die folgende Begrifflichkeit sinnvoll. Es sei

eine lineare Abbildung und . Man nennt dann den Exponenten des linearen Polynoms im charakteristischen Polynom die algebraische Vielfachheit von , die wir mit bezeichnen, und die Dimension des zugehörigen Eigenraumes, also

die geometrische Vielfachheit von . Der vorstehende Satz besagt also, dass die eine Vielfachheit genau dann positiv ist, wenn dies für die andere gilt. Im Allgemeinen können die beiden Vielfachheiten aber auseinander fallen, wobei eine Abschätzung immer gilt.


Es sei ein Körper und es sei ein endlichdimensionaler - Vektorraum. Es sei

eine lineare Abbildung und .

Dann besteht zwischen der geometrischen und der algebraischen Vielfachheit die Beziehung

Sei und sei eine Basis von diesem Eigenraum, die wir durch zu einer Basis von ergänzen. Bezüglich dieser Basis hat die beschreibende Matrix die Gestalt

Das charakteristische Polynom ist daher nach Aufgabe ***** gleich , sodass die algebraische Vielfachheit mindestens ist.



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