Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2011-2012)/Teil I/Vorlesung 24/kontrolle
- Der Mittelwertsatz der Integralrechnung
Zu einer Riemann-integrierbaren Funktion kann man
als die Durchschnittshöhe der Funktion ansehen, da dieser Wert mit der Länge des Grundintervalls multipliziert den Flächeninhalt unterhalb des Graphen zu ergibt. Der Mittelwertsatz der Integralrechnung besagt, dass für eine stetige Funktion dieser Durchschnittswert (oder Mittelwert) von der Funktion auch angenommen wird.
Über dem kompakten Intervall ist die Funktion nach oben und nach unten beschränkt, es seien und das Minimum bzw. das Maximum der Funktion, die aufgrund von Satz 16.10 angenommen werden. Dann ist insbesondere für alle und
Daher ist mit einem und aufgrund des Zwischenwertsatzes gibt es ein mit .
- Der Hauptsatz der Infinitesimalrechnung
Es ist geschickt auch Integralgrenzen zuzulassen, bei denen die untere Integralgrenze die obere Intervallgrenze und die obere Integralgrenze die untere Intervallgrenze ist. Dazu definieren wir für und eine integrierbare Funktion
Es sei ein reelles Intervall und sei
eine Riemann-integrierbare Funktion und . Dann heißt die Funktion
die Integralfunktion zu zum Startpunkt .
Man spricht auch von der Flächenfunktion oder einem unbestimmten Integral.
Die folgende Aussage heißt Hauptsatz der Infinitesimalrechnung.
Es sei ein reelles Intervall und sei
eine stetige Funktion. Es sei und es sei
die zugehörige Integralfunktion.
Dann ist differenzierbar und es gilt
für alle .
Es sei fixiert. Der Differenzenquotient ist
Wir müssen zeigen, dass für der Limes existiert und gleich ist. Nach dem Mittelwertsatz der Integralrechnung gibt es zu jedem ein mit
und damit ist
Für konvergiert gegen und wegen der Stetigkeit von konvergiert gegen .
- Stammfunktionen
Es sei ein Intervall und sei
eine Funktion. Eine Funktion
heißt Stammfunktion zu , wenn auf differenzierbar ist und für alle gilt.
Den Hauptsatz der Infinitesimalrechnung kann man zusammen mit Satz 23.14 als einen Existenzsatz für Stammfunktionen interpretieren.
Es sei ein beliebiger Punkt. Aufgrund von Satz 23.14 existiert das Riemann-Integral
und aufgrund des Hauptsatzes ist , d.h. ist eine Stammfunktion von .
Es sei ein reelles Intervall und sei
eine Funktion. Es seien und zwei Stammfunktionen von .
Dann ist eine konstante Funktion.
Die folgende Aussage ist ebenfalls eine Version des Hauptsatzes, der darin ausgedrückte Zusammenhang heißt auch Newton-Leibniz-Formel.
Es sei ein reelles Intervall und sei
eine stetige Funktion, für die eine Stammfunktion sei.
Dann gilt für die Gleichheit
Aufgrund von Satz 23.14 existiert das Integral. Mit der Integralfunktion
gilt die Beziehung
Aufgrund von Satz 24.3 ist differenzierbar mit
d.h. ist eine Stammfunktion von . Wegen Lemma 24.6 ist . Daher ist
Da eine Stammfunktion nur bis auf eine additive Konstante bestimmt ist, schreibt man manchmal
und nennt eine Integrationskonstante. In gewissen Situationen, insbesondere im Zusammenhang mit Differentialgleichungen, wird diese Konstante durch zusätzliche Bedingungen festgelegt.
Es sei ein reelles Intervall und eine Stammfunktion zu . Es seien . Dann setzt man
Diese Notation wird hauptsächlich bei Rechnungen verwendet, vor allem beim Ermitteln von bestimmten Integralen.
Mit den früher bestimmten Ableitungen von differenzierbaren Funktionen erhält man sofort eine Liste von Stammfunktionen zu einigen wichtigen Funktionen. In der nächsten Vorlesung werden wir weitere Regeln zum Auffinden von Stammfunktionen kennenlernen, die auf Ableitungsregeln beruhen. Im Allgemeinen ist das Auffinden von Stammfunktionen schwierig.
Die Stammfunktion zu , wobei und , , ist, ist .
Zwischen zwei (punktförmig gedachten) Massen und bestehe der Abstand . Aufgrund der Gravitation besitzt dieses System eine gewisse Lageenergie. Wie ändert sich die Lageenergie, wenn die beiden Massen auf einen Abstand von auseinander gezogen werden?
Die aufzubringende Energie ist Anziehungskraft mal Weg, wobei die Anziehungskraft allerdings selbst vom Abstand der Massen abhängt. Nach dem Gravitationsgesetz ist die Kraft beim Abstand gleich
wobei die Gravitationskonstante bezeichnet. Daher ist die Energie (oder Arbeit), die man aufbringen muss, um den Abstand von auf zu erhöhen, gleich
Damit kann man der Differenz der Lageenergien zum Abstand bzw. einen sinnvollen Wert zuweisen, nicht aber den Lageenergien selbst.
Die Stammfunktion der Funktion ist der natürliche Logarithmus.
Die Stammfunktion der Exponentialfunktion ist die Exponentialfunktion selbst.
Die Stammfunktion von ist , die Stammfunktion von ist .
Die Stammfunktion von ist , es ist ja Stammfunktion/1 durch 1+x^2/Fakt/Beweis
Die Stammfunktion von (für ) ist , es ist ja
In der übernächsten Vorlesung werden wir eine Verfahren angeben, wie man zu einer beliebigen rationalen Funktion
(also einem Quotienten aus zwei Polynomen)
eine Stammfunktion finden kann.
Siehe hier für eine Tabelle von wichtigen Stammfunktionen.
Achtung! Integrationsregeln sind nur anwendbar auf Funktionen, die im gesamten Intervall definiert sind. Z.B. gilt nicht
da hier über eine Definitionslücke hinweg integriert wird.
Wir betrachten die Funktion
mit
Diese Funktion ist nicht Riemann-integrierbar, da sie weder nach oben noch nach unten beschränkt ist. Es existieren also weder untere noch obere Treppenfunktionen für . Trotzdem besitzt eine Stammfunktion. Dazu betrachten wir die Funktion
Diese Funktion ist differenzierbar. Für ergibt sich die Ableitung
Für ist der Differenzenquotient gleich
Für existiert der Grenzwert und ist gleich , sodass überall differenzierbar ist (aber nicht stetig differenzierbar). Der erste Summand in ist stetig und besitzt daher nach Korollar 24.5 eine Stammfunktion . Daher ist eine Stammfunktion von . Dies ergibt sich für aus der expliziten Ableitung und für aus
- Stammfunktionen zu Potenzreihen
Wir erinnern daran, dass die Ableitung einer konvergenten Potenzreihe gliedweise gewonnen werden kann.
Es sei eine auf konvergente Potenzreihe.
Dann ist die Potenzreihe
ebenfalls auf konvergent und stellt dort eine Stammfunktion für dar.
Beweis
Mit dieser Aussage kann man manchmal die Taylor-Polynome
(bzw. die Taylor-Reihe)
einer Funktion bestimmen, indem man die Taylor-Polynome der Ableitung verwendet. Wir geben dazu ein typisches Beispiel.
Wir wollen die Taylor-Reihe des natürlichen Logarithmus im Entwicklungspunkt bestimmen. Die Ableitung des natürlichen Logarithmus ist nach Korollar 21.3 gleich . Diese Funktion besitzt nach Satz 14.13 die Potenzreihenentwicklung
im Entwicklungspunkt (die für konvergiert). Daher besitzt nach Lemma 24.11 der natürliche Logarithmus die Potenzreihe
Mit ist dies die Reihe
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