Kurs:Algebraische Kurven (Osnabrück 2012)/Vorlesung 26



Die Schnittmultiplizität

Es seien zwei ebene algebraische Kurven gegeben, die keine Komponente gemeinsam haben. Dann besteht der Durchschnitt nach Satz 4.8 nur aus endlich vielen Punkten. Wir wollen das Schnittverhalten der beiden Kurven in einem Punkt quantitativ erfassen. Dabei empfiehlt es sich, eine etwas allgemeinere Situation zu betrachten, und zwar schreiben wir und und berücksichtigen, dass in und in Primfaktoren (jeweils) mehrfach vorkommen können. D.h. wir unterscheiden von nun an zwischen den Kurven und , obwohl es sich geometrisch um das gleiche Objekt handelt.



Es sei ein Körper und seien Polynome ohne gemeinsamen Primteiler. Es sei und die zugehörige Lokalisierung.

Dann besitzt der Restklassenring eine endliche -Dimension.

Es sei das maximale Ideal in . Da und keinen gemeinsamen Teiler haben, gibt es in zwischen und kein weiteres Primideal. Daher ist in jede Nichteinheit nilpotent. Daher gilt in die Beziehung für ein . Es liegt daher eine Surjektion

vor. Nach Lemma 23.3 besitzt der Restklassenring links eine endliche -Dimension, sodass dies auch für den Restklassenring rechts gilt.


Aufgrund von diesem Lemma ist die folgende Definition sinnvoll.


Es sei ein Körper und seien zwei nichtkonstante Polynome ohne gemeinsame Komponente und sei

Dann nennt man die Dimension

die Schnittmultiplizität der beiden Kurven und im Punkt . Sie wird mit

bezeichnet.


Sei und eine Gerade in der affinen Ebene gegeben, die keine Komponente von sei. Es sei ein Punkt des Durchschnitts. Den Restklassenring

berechnet man, indem man mittels des linearen Terms nach einer der Variablen oder auflöst. Damit kann man eine Variable eliminieren und der Restklassenring ist isomorph zu , wobei man erhält, indem man in die Variable durch ersetzt. Dies kann man auch so sehen, dass man zuerst berechnet und dann an dem Punkt lokalisiert. Das Polynom hat in eine Faktorisierung in Linearfaktoren (der Körper sei algebraisch abgeschlossen)

Da der Punkt eine Nullstelle ist, muss für ein sein. Bei der Lokalisierung werden die anderen Linearfaktoren zu Einheiten gemacht und „übrig“ bleibt

Dieser Ring hat die Dimension .




Es sei ein algebraisch abgeschlossener Körper, sei , , ein Polynom in homogener Zerlegung und eine Gerade durch den Nullpunkt , die keine Komponente von sei.

Dann ist

d.h. die Schnittmultiplizität einer Kurve mit einer Geraden ist mindestens so groß wie die Multiplizität der Kurve im Schnittpunkt.

Wenn keine Tangente der Kurve ist, so gilt hierbei Gleichheit.

Wir setzen und , und wir nehmen an, sodass wir schreiben können. Es sei zunächst die Gerade keine Tangente von in , also keine Komponente von . Es ist dann

Hierbei ist und es wird mit einer Einheit rausdividiert, sodass der Restklassenring die - Dimension besitzt. Im allgemeinen Fall gibt es ein minimales , , mit (sonst wäre eine Komponente von ). Dann ist mit dem gleichen Argument die Dimension des Restklassenringes gleich .



Es sei ein algebraisch abgeschlossener Körper und seien Polynome ohne gemeinsame Komponente und sei ein Punkt. Dann gelten folgende Aussagen.

  1. Es ist genau dann, wenn ist.
  2. Es ist .
  3. Die Schnittmultiplizität ändert sich nicht bei einer affinen Variablentransformation.
  4. Wenn mit ist, so ist .
  5. Es ist für jedes .

Beweis

Das ist trivial.


Teil (4) der letzten Aussage kann man auch so formulieren, dass die Schnittmultiplizität nur von den Komponenten von und abhängen, die durch gehen.

Ein transversaler und ein nichttransversaler Schnitt.



Es seien und . Dann sagt man, dass sich und im Punkt transversal schneiden, wenn sowohl auf als auch auf ein glatter Punkt ist und wenn die Tangenten der beiden Kurven im Punkt verschieden sind.



Es sei ein Körper und seien Polynome ohne gemeinsame Komponente. Es sei

ein Schnittpunkt.

Dann schneiden sich und in genau dann transversal, wenn die Schnittmultiplizität ist.

Es sei der lokale Ring zum (Null-)Punkt in der Ebene. Es sei zunächst der Schnitt als transversal vorausgesetzt. Dann sind insbesondere beide Kurven in glatt, und ist nach Lemma 23.2 ein diskreter Bewertungsring. Da die Tangenten verschieden sind, können wir annehmen, dass die Tangente an durch und die Tangente an durch gegeben ist. Nach dem Beweis zu Lemma 23.2 ist dann eine Ortsuniformisierende von . Da die Form mit hat, ist ebenfalls eine Ortsuniformisierende in und daher ist . Daher ist die Schnittmultiplizität eins.

Für die Rückrichtung folgt aus Lemma 26.4, dass die Multiplizität der beiden Kurven in eins sein muss und daher beide Kurven in glatt sind. Nehmen wir an, dass die Tangenten übereinstimmen. Dann können wir annehmen, dass sowohl als auch die Form Terme von größerem Grad besitzen. Man kann die Idealerzeuger durch ersetzen, und dabei ist . Dann erzeugt aber in nicht das maximale Ideal, und die Schnittmultiplizität kann nicht eins sein.



Es seien Polynome ohne gemeinsamen Primteiler mit Faktorzerlegungen

Dann ist

Diese Aussage folgt durch Induktion aus dem Spezialfall (und ). Sei . Wegen hat man eine surjektive Abbildung . Andererseits induziert die Multiplikation mit einen - Modulhomomorphismus . Wir behaupten, dass eine kurze exakte Sequenz

vorliegt. Dabei ist die Surjektivität klar und ebenso, dass die hintereinander geschalteten Abbildungen die Nullabbildung sind. Es sei ein Element, das rechts auf abgebildet wird. Dann kann man in schreiben: . Dann repräsentiert ebenfalls diese Klasse in , und dieses kommt von links. Es sei nun ein Element, das durch Multiplikation mit auf abgebildet wird, also . Wir schreiben dies als

Da und keinen gemeinsamen Primteiler besitzen, gilt dies erst recht für und . Also muss ein Teiler von sein und es ergibt sich eine Beziehung , woraus folgt, dass bereits ist.

Aus der Additivitätseigenschaft von kurzen exakten Sequenzen folgt die gewünschte Identität



Es sei ein noetherscher kommutativer Ring mit nur endlich vielen Primidealen , die alle maximal seien.

Dann gibt es eine kanonische Isomorphie

Die maximalen Ideale sind zugleich die minimalen Primideale. Daher besteht der Durchschnitt aller maximaler Ideale nur aus nilpotenten Elementen. Da der Ring noethersch ist, gibt es dann auch ein mit . Zu jedem maximalen Ideal betrachten wir die Lokalisierung . Wir behaupten, dass diese Lokalisierung isomorph zum Restklassenring

ist. Wegen ist und daher ist auch . Sei . Zu jedem gibt es ein mit . Daher gilt für jedes Element die Beziehung

Wegen bedeutet dies, dass unter der Lokalisierungsabbildung auf geht. Wir erhalten also einen Ringhomomorphismus

Damit ist die Lokalisierung rechts auch eine Lokalisierung des Restklassenringes links. Die maximalen Ideale erzeugen paarweise das Einheitsideal. Dies gilt dann auch für beliebige Potenzen davon. Daraus folgt zunächst, dass das Ideal nur in enthalten ist. Daher ist der Restklassenring links selbst ein lokaler Ring. Also muss die Abbildung ein Isomorphismus sein.

Die gegebene Abbildung kann man also auch schreiben als

Hierbei erzeugen die paarweise das Einheitsideal, sodass nach einer Form des Chinesischen Restsatzes eine Isomorphie vorliegt.



Es sei ein algebraisch abgeschlossener Körper und seien Polynome ohne gemeinsamen Primteiler. Es seien die endlich vielen Punkte aus mit den zugehörigen maximalen Idealen in .

Dann gibt es eine kanonische Isomorphie

Da und keinen gemeinsamen Primteiler haben, umfasst das Ideal nur endlich viele Primideale, die alle maximal sind. Daher erfüllt Der Restklassenring die Bedingungen aus Satz 26.9. Da der Körper algebraisch abgeschlossen ist, entsprechen die maximalen Ideale eindeutig den Punkten im Schnitt der beiden zugehörigen Kurven und , sodass sich die Aussage ergibt.



Es sei ein algebraisch abgeschlossener Körper und seien Polynome ohne gemeinsamen Primteiler.

Dann ist

Dies folgt direkt aus der in Korollar 26.10 bewiesenen Isomorphie.

Wir erwähnen noch abschließend ohne Beweis folgenden Satz, der eine Abschätzung zwischen der Schnittmultiplizität und den Multiplizitäten der beiden Kurven angibt.


Es seien und .

Dann gilt die Abschätzung

Siehe Fulton, Algebraic Curves, Chapter III.3.



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