Kurs:Analysis (Osnabrück 2014-2016)/Teil II/Vorlesung 56
- Differential- und Integralgleichungen
Mit dem Begriff des Integrals einer Kurve kann man Differentialgleichungen auch als Integralgleichungen schreiben.
Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum, ein reelles Intervall, eine offene Menge und
ein stetiges Vektorfeld auf . Es sei vorgegeben.
Dann ist eine stetige Abbildung
auf einem Intervall mit genau dann eine Lösung des Anfangswertproblems (insbesondere muss differenzierbar sein)
wenn die Integralgleichung
erfüllt.
Es sei die Integralbedingung erfüllt. Dann ist
und aufgrund
des Hauptsatzes der Infinitesimalrechnung
gilt
.
Insbesondere sichert die Integralbedingung, dass
differenzierbar
ist.
Wenn umgekehrt eine Lösung des Anfangswertproblems ist, so ist
und daher
- Der Satz von Picard-Lindelöf
Wir kommen nun zum wichtigsten Existenz- und Eindeutigkeitssatz für die Lösungen von gewöhnlichen Differentialgleichungen.
Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum, ein reelles Intervall, eine offene Menge und
ein Vektorfeld auf . Es sei vorausgesetzt, dass dieses Vektorfeld stetig sei und lokal einer Lipschitz-Bedingung genüge.
Dann gibt es zu jedem ein offenes Intervall mit derart, dass auf diesem Intervall eine eindeutige Lösung für das Anfangswertproblem
existiert.
Nach Lemma 56.1 ist eine stetige Abbildung
genau dann eine Lösung des Anfangswertproblems, wenn die Integralgleichung
erfüllt. Wir wollen die Existenz und Eindeutigkeit einer Lösung für diese Integralgleichung unter Verwendung des Banachschen Fixpunktsatzes dadurch erweisen, dass wir für die Abbildung (man spricht von einem Funktional)
einen Fixpunkt finden. Hierbei stehen links und rechts Abbildungen in (aus einem gewissen Teilintervall von mit Werten in ). Die Fixpunkteigenschaft bedeutet gerade, dass ist. Um den Fixpunktsatz anwenden zu können müssen wir ein Definitionsintervall festlegen, und eine Metrik auf dem Abbildungsraum nach definieren, diesen metrischen Raum dann als vollständig und das Funktional als stark kontrahierend nachweisen. Aufgrund der Voraussetzung über die lokale Lipschitz-Bedingung gibt es eine offene Umgebung
und ein mit
für alle und . Durch Verkleinern der Radien können wir annehmen, dass der Abschluss von , also das Produkt des abgeschlossenen Intervalls mit der abgeschlossenen Kugel, ebenfalls in liegt. Aufgrund von Satz 36.12 gibt es ein mit
(da diese Beschränktheit auf dem Abschluss gilt). Wir ersetzen nun durch ein kleineres Intervall
mit
,
und
.
Wir betrachten nun die Menge der
stetigen Abbildungen
Dabei wird also mit der
Maximumsnorm
auf versehen. Dieser Raum ist nach
Satz 55.9
und nach
Aufgabe 36.16
wieder ein vollständiger metrischer Raum.
Wir betrachten nun auf diesem konstruierten Intervall bzw. der zugehörigen Menge die Abbildung
Dazu müssen wir zunächst zeigen, dass wieder zu gehört. Für ist aber nach Satz 39.1
und ist stetig, da es durch ein Integral definiert wird.
Zum Nachweis der Kontraktionseigenschaft seien
gegeben. Für ein
ist
Da dies für jedes gilt, folgt aus dieser Abschätzung direkt
d.h. es liegt eine
starke Kontraktion
vor. Daher besitzt ein eindeutiges Fixelement
,
und diese Abbildung löst die Differentialgleichung. Dies gilt dann erst recht auf jedem offenen Teilintervall von .
Damit haben wir insbesondere bewiesen, dass es in nur eine Lösung geben kann, wir wollen aber generell auf dem Intervall Eindeutigkeit erhalten. Für eine Lösung
gilt aber wegen der Integralbeziehung wieder
und die gleichen Abschätzungen wie weiter oben zeigen, dass die Lösung zu gehören muss.
- Die Picard-Lindelöf-Iteration
Der Beweis des Satzes von Picard-Lindelöf ist prinzipiell konstruktiv. Darauf beruht die Picard-Lindelöf-Iteration, mit der man Lösungen approximieren kann. Die Güte der Approximationen wird dabei durch geeignete Normen auf Funktionenräumen gemessen, was wir nicht ausführen.
Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum, ein reelles Intervall, eine offene Menge und
ein Vektorfeld auf . Es sei eine Anfangsbedingung. Es sei vorausgesetzt, dass dieses Vektorfeld stetig sei und lokal einer Lipschitz-Bedingung genüge. In der Picard-Lindelöf-Iteration definiert man iterativ eine Folge von Funktionen
durch (dies ist also die konstante Funktion mit dem Wert ) und durch
Dann gibt es ein Teilintervall mit derart, dass für die Folge gegen einen Punkt konvergiert, wobei gleichmäßige Konvergenz vorliegt. Die Grenzfunktion ist dann eine Lösung des Anfangswertproblems
Bei einer linearen Differentialgleichung mit stetigen Koeffizientenfunktionen konvergiert dieses Verfahren auf ganz .
Zu einem ortsunabhängigen Vektorfeld
und der Anfangsbedingung führt die erste Picard-Lindelöf-Iteration auf
wobei eine Stammkurve zu mit sei. Die erste Iteration liefert hier also direkt die Lösung. Die kontrahierende Abbildung im Beweis zu Satz 56.2 ist in dieser Situation konstant.
Wir wenden dieses approximative Verfahren auf eine Differentialgleichung mit getrennten Variablen an, für die wir die Lösung schon kennen (siehe Aufgabe 30.6).
Wir wenden die Picard-Lindelöf-Iteration auf die Differentialgleichung
mit der Anfangsbedingung
an (die Lösung ist ). Daher ist . Die erste Iteration liefert
Die zweite Iteration liefert
Die dritte Iteration liefert
Dabei stimmt die -te Iteration mit der Taylor-Entwicklung der Ordnung der Lösung überein.
Es sei
eine lineare Differentialgleichung mit konstanten Koeffizienten auf dem und es sei eine Anfangsbedingung gegeben. Wir behaupten, dass die -te Picard-Lindelöf-Iteration gleich
ist, wobei die -fache Potenz der Matrix bezeichnet. Diese Aussage zeigen wir durch Induktion nach . Für steht rechts einfach die konstante Kurve . Es sei die Aussage nun für schon bewiesen. Dann ist
und die Aussage ist auch für richtig. Diese Approximationen sind die Anfangsglieder in der „Exponentialreihe in dem Ausdruck“ . Man kann zeigen, dass diese Exponentialreihe auf konvergiert und in der Tat die Lösung des Anfangswertproblems ist (der Satz von Picard-Lindelöf sichert nur die Konvergenz auf einer Intervallumgebung).
Wir wenden die Picard-Lindelöf-Iteration auf das Anfangswertproblem
zum Vektorfeld
an. Es ist
Daher ist
Es ist
und daher
Wegen
und daher
<< | Kurs:Analysis (Osnabrück 2014-2016)/Teil II | >> |
---|