Kurs:Bündel, Garben und Kohomologie (Osnabrück 2019-2020)/Vorlesung 1



Parameterabhängige lineare Gleichungssysteme

Wir betrachten die reelle lineare Gleichung

Die Lösungsmenge

ist ein zweidimensionaler reeller Untervektorraum des . Das Lösen einer solchen linearen Gleichung bedeutet u.A. eine Basis für anzugeben, im vorliegenden Fall ist beispielsweise

Die Lösungsmethoden sind hierbei weitgehend (siehe unten für Einschränkungen zu dieser Behauptung) unabhängig von den konkreten Koeffizienten der linearen Gleichung. Wenn man statt konkreter Zahlen die Koeffizienten in irgendeiner funktionalen Weise von Parametern abhängen lässt, so kann man sich fragen, inwiefern der Lösungsraum mit diesen Parametern variiert. Betrachten wir beispielsweise die von einem Parameter abhängige lineare Gleichung

Zu jedem hängt der Lösungsraum von ab, er ist nach wie vor ein zweidimensionaler Untervektorraum , der Lösungsraum ist eine mit wandernde Ebene im Raum. Man kann sich fragen, für welche der Vektor eine Lösung ist, also zu gehört. Oder, ob es verschiedene Parameter gibt, für die die Lösungsräume übereinstimmen, also als Untervektorräume des gilt. Oder, ob es stets eine Basis des Lösungsraumes der Form wie oben gibt. Oder, ob es stets einen Lösungsvektor der Form gibt. Wir erinnern daran, dass der Lösungsalgorithmus für lineare Gleichungssysteme (also die Gaußelimination) dann verzweigt, wenn gewisse Koeffizienten sind bzw. im Verlauf des Algorithmus werden. Die Gleichung

besitzt den Lösungsraum und enthält keinen Vektor der Form . Da Nullstellen des quadratischen Polynoms sind, wird in der obigen parametrisierten Gleichung für diese Parameterwerte die Gleichung zu und daher besitzt für diese beiden Werte der Lösungsraum keinen Vektor der Form . Für alle anderen Parameterwerte besitzt der Lösungsraum den Vektor . Ein gewisser Aspekt des Lösungsraumes hängt also selbst wieder funktional von dem Parameter ab.

Es ist naheliegend, die Abhängigkeit einer linearen Gleichung oder eines linearen Gleichungssystems von Parametern in zwei Schritten zu untersuchen. Im ersten Schritt setzt man die Koeffizienten der Gleichungen selbst als Variablen (universelle Parameter) an und studiert, wie die Lösungsräume mit diesen Parametern variieren. Insbesondere möchte man qualitative Sprünge im Verhalten der Lösungsräume verstehen. In einem zweiten Schritt stellt man zusätzliche mehr oder weniger restriktive Bedingungen an die universellen Parameter oder man lässt diese funktional von anderen Parametern abhängen.


Wir betrachten die allgemeine reelle lineare Gleichung

in den Variablen und den Parametern , die als unbestimmte Koeffizienten der linearen Gleichung dienen. Wir möchten den Lösungsraum

in Abhängigkeit von den Parametern verstehen. Ein Extremfall liegt bei vor, dann ist die Gleichung für beliebige erfüllt und der Lösungsraum ist der volle zweidimensionale . Bei ist der Lösungsraum eindimensional, und ein Basisvektor für diese Lösungsgerade ist durch gegeben. Insbesondere kann man den Lösungsraum über dem Parameterraum pauschal beschreiben, es ist

Eine kompaktere Interpretation dieses Sachverhaltes ergibt sich, wenn man den Gesamtlösungsraum der Gleichung als

ansetzt. Man beachte, dass kein linearer Untervektorraum des ist. Der Lösungsraum zu einem speziellen Parameterwert ergibt sich daraus, wenn man mit den affinen Ebenen schneidet. Unter der Gesamtabbildung

ist die Faser zu . Im Gesamtlösungsraum ist die Variation der Lösungsgeraden in Abhängigkeit vom Parameter und die Degenerierung zu einer Lösungsebene über dem Nullpunkt sichtbar. Das Verhalten außerhalb des Parameternullpunktes wird durch die eingeschränkte Abbildung

beschrieben. Jede Faser dieser eingeschränkten Projektion ist der eindimensionale Lösungsraum. Ferner gibt es eine bijektive Abbildung

die für jeden Parameter linear ist. Links steht ein direktes Produkt aus dem Basisraum und der Faser , die unabhängig vom Basispunkt ist, und rechts steht eine Familie von variierenden Geraden im , doch die angegebene Bijektion zeigt, dass man das eine in das andere übersetzen kann.



Wir betrachten die allgemeine reelle lineare Gleichung

in den Variablen und den Parametern , die als unbestimmte Koeffizienten der lineare Gleichung dienen. Wir möchten den Lösungsraum

in Abhängigkeit von den Parametern verstehen. Ein Extremfall liegt bei vor, dann ist der Lösungsraum der volle . Bei ist der Lösungsraum zweidimensional. Wir schließen den Nullpunkt als Parameter aus und betrachten den Gesamtlösungsraum der Gleichung

zusammen mit der Projektion auf . Die Faser unter zu einem speziellen Parameterwert ist der Lösungsraum zu der durch dieses Parametertupel definierten Gleichung.

Kann man in diesem Beispiel eine Basis für den jeweiligen Lösungsraum angeben, die in einer übersichtlichen, rechnerischen, algebraischen Weise von den Parametern abhängt? Da wir den Nullpunkt rausgeworfen haben, gilt

man kann also den Basisraum als eine Vereinigung von drei offenen Mengen schreiben. Wenn man das Verhalten über einer solchen offenen Menge betrachtet, sagen wir über die durch gegebene, so kann man darüber eine Basis angeben, nämlich durch

Dabei sichert , dass die beiden Vektoren linear unabhängig sind. Die beiden Lösungsvektoren sind sogar überall wohldefinierte Lösungen, verlieren aber bei ihre lineare Unabhängikeit und bilden also nicht überall eine Basis. Aber jedenfalls ist

eine rechnerisch einfache Bijektion zwischen dem Produktraum der Basis und dem einerseits und dem Lösungsraum oberhalb von .

Wir fragen uns, ob es möglich ist, global, also auf ganz , eine mit dem Basisraum variiende Basis des Lösungsraums anzugeben. Gefragt ist also nach der Existenz von zwei Funktionen und mit Werten im und der Eigenschaft, dass sie stets eine Basis des Lösungsraumes bilden (und insbesondere zum Lösungsraum gehören). Ohne jede weitere Bedingung an und ist dies möglich, da man ja durch eine Fallunterscheidung solche Funktionen definieren kann. Aber schon wenn man fordert, dass die beiden Funktionen stetig sein sollen, ist dies nicht mehr möglich. Wegen der Stetigkeit sind die Funktionen und bereits auf der offenen Teilmenge

festgelegt, da man jeden Punkt aus durch eine Folge aus der offenen Menge approximieren kann. Mit der oben angegebenen Basis oberhalb dieser Menge kann man jedenfalls

und

mit stetigen reellwertigen Funktionen auf der offenen Menge schreiben. Wir können nicht erwarten, dass diese Funktionen auf dem ganzen definiert sind, weshalb im stetigen Fall die Argumentation komplizierter werden würde. Das Resultat wird sich aus Satz 2.3 ergeben, siehe Bemerkung 2.4. Daher beschränken wir uns auf den Fall, dass diese Funktionen rationale Funktionen sind, in deren Nenner eine Potenz von vorkommen kann (das sind die rationalen Funktionen auf ). Betrachten wir

mit Polynomen und , wobei der Faktor rausgekürzt sei. Da insgesamt auf ganz definiert ist, kann (ebenso ) höchstens sein (sonst hätte einen Pol). Die erste Zeile führt (bei ) auf eine polynomiale Gleichung der Form

mit Polynomen . In diesem Fall ist (Stichwort Koszul-Auflösung)

mit Polynomen . Entsprechend ergibt sich für eine Darstellung mit bzw. . Wir betrachten die Abbildung

Unter dieser Abbildung werden die Polynomtupel bzw. (die wir als Abbildungen auffassen) auf bzw. abgebildet. Da diese nach Voraussetzung in jedem Punkt eine Basis der zugehörigen Faser von bilden, sind und in jedem Punkt linear unahängig. Das Tupel wird unter in jedem Punkt auf (in der Faser) abgebildet. Daher bilden die und in jedem Punkt eine Basis von , da in keinem Punkt als Linearkombination von und geschrieben werden kann. Die Determinante der Matrix

ist aber eine Linearkombination der Variablen im Polynomring. Daher ist dies keine Einheit im Polynomring. Im reellen Fall kann man daraus noch nicht schließen, dass die Determinante eine reelle Nullstelle in hat (wenn die Determinante beispielsweise die Form besitzt). Wenn man aber statt mit mit arbeitet, so ändert sich an der algebraischen Argumentation nichts und man kann folgern, dass die Determinante in

Nullstellen besitzt und daher nicht überall eine Basis vorliegen kann.



Wir betrachten das allgemeine reelle lineare Gleichungssystem

und

in den Variablen und den Parametern , die als unbestimmte Koeffizienten des linearen Gleichungssystems dienen. Wenn die Parameter hinreichend allgemein sind, genauer, wenn zwischen den beiden Gleichungen keine lineare Relation besteht, so ist der Lösungsraum

jeweils eine Gerade im . Die Parameter definieren also unter dieser Bedingung eine Familie von variierenden Geraden im . Der relevante (für die Geradenfamilie) Parameterraum ist

es liegt insgesamt der totale Lösungsraum

mit der Projektion auf vor.

Kann man diese Gerade bzw. ein Basiselement dafür in Abhängigkeit der Parameter global angeben? Wenn man die beiden zu erfüllenden Gleichungen als Orthogonalitätsrelationen betrachtet, so geht es um einen nichttrivialen Vektor, der auf beiden Bedingungsvektoren und senkrecht steht. Diese Eigenschaft erfüllt bekanntlich das Kreuzprodukt der beiden Vektoren, also (siehe Lemma 33.3 (Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025)) für die relevanten Eigenschaften des Kreuzproduktes).

Insgesamt liegt also eine Bijektion

vor.


In Beispiel 1.1 und in Beispiel 1.3 liegen sogenannte globale polynomiale Trivialisierungen vor, das gegebene komplizierte geometrische Objekt lässt sich also mit Hilfe von polynomialen Funktionen in das einfache Objekt , wobei den Basisraum bezeichnet, übersetzen. Dagegen war eine solche globale Trivialisierung in Beispiel 1.2 nicht möglich, obwohl dort auf den drei angegebenen offenen Teilmengen des Basisraumes lokal Trivialisierung existieren. Solche geometrischen Objekte nennt man Vektorbündel.



Reelle Vektorbündel

Es sei ein topologischer Raum und . Ein reelles Vektorbündel vom Rang ist ein topologischer Raum zusammen mit einer stetigen Abbildung derart, dass jede Faser ein - dimensionaler reeller Vektorraum ist und dass es eine offene Überdeckung und Homöomorphismen

über gibt, die in jeder Faser einen linearen Isomorphismus

induzieren.

Dabei nennt man auch den Totalraum und den Basisraum des Vektorbündels. Für die Faser schreibt man oft auch . In den obigen Beispielen ist der relevante Parameterraum, also der Ort der Parameter, für die die Lösungsräume die minimale Dimension haben. Diese Dimension ist der Rang der vorstehenden Definition, also . Im ersten und im dritten Beispiel besteht die offene Überdeckung allein aus dem Basisraum selbst, diese Bündel haben eine globale Trivialisierung, im zweiten Beispiel liegt eine offene Überdeckung mit drei offenen Mengen vor, über der die Trivialisierungen angegeben wurden. In der Homöomorphie ist die rechte Seite mit der Produkttopologie und der mit der natürlichen euklidischen Topologie und ist mit der induzierten Topologie von versehen. Somit tragen alle Fasern die natürliche Topologie eines endlichdimensionalen reellen Vektorraumes. Mit Homöomorphismus über ist gemeint, dass das Diagramm

kommutiert. Das Produkt ist ein Vektorbündel, das das triviale Vektorbündel heißt.



Es sei ein reelles Vektorbündel über einem topologischen Raum .

Dann ist zu jeder offenen Menge die Einschränkung

ebenfalls ein Vektorbündel.

Dies ist klar, man muss einfach nur die faserweise linearen Homöomorphismen

zu

einschränken.


Die Einschränkung eines Vektorbündels auf die ist trivial. Lokal ist also jedes Vektorbündel trivial.


Es seien und reelle Vektorbündel auf einem topologischen Raum . Ein Homomorphismus von Vektorbündeln ist eine stetige Abbildung über derart, dass für jeden Punkt die induzierte Abbildung

- linear ist.


Es seien und reelle Vektorbündel auf einem topologischen Raum . Ein Homomorphismus von Vektorbündeln heißt Isomorphismus, wenn es einen Homomophismus gibt, der verknüpft mit (in beiden Reihenfolgen) die Identität ergibt.



Das Tangentialbündel auf einer Mannigfaltigkeit

Wir besprechen ein weiteres besonders wichtigens Vektorbündel, das es auf jeder Mannigfaltigkeit gibt, das Tangentialbündel.

Zu jedem Punkt einer Mannigfaltigkeit gehört der Tangentialraum . Der Tangentialraum ist ein -dimensionaler Vektorraum, wobei die Dimension der Mannigfaltigkeit ist. Seine Elemente sind die Tangentenvektoren, das sind „infinitesimale Richtungen“ an diesem Punkt. Solche Tangenten-Richtungen an zwei verschiedenen Punkten haben zunächst einmal nichts miteinander zu tun, da ihre präzise Definition jeweils nur von beliebig kleinen offenen Umgebungen der Punkte abhängt, und da diese aufgrund der Hausdorff-Eigenschaft disjunkt gewählt werden können.

Dem steht radikal die Vorstellung gegenüber, die sich mit einer offenen Menge verbindet. Dort kann man für jeden Punkt den Tangentialraum mit dem umgebenden Vektorraum in natürlicher Weise identifizieren, indem man dem Vektor den Tangentenvektor zuordnet, der durch die lineare Kurve definiert wird. Da diese Identifizierung für jeden Punkt gilt, besteht zwischen den Tangentialräumen zu

eine direkte Parallelität.

Da eine Mannigfaltigkeit durch offene Mengen überdeckt wird, die diffeomorph zu offenen Mengen in einem euklidischen Raum sind, liegt die Vermutung nahe, dass die verschiedenen Tangentialräume doch nicht völlig isoliert dastehen. Das Konzept des Tangentialbündels vereinigt alle Tangentialräume und ermöglicht es, die lokale Verbundenheit der Tangentialräume wiederzuspiegeln.

Zwei Visualisierungen des Tangentialbündels einer Kreislinie. Oben wird zu jedem Punkt des Kreises der Tangentialraum an den Kreis „tangential“ angelegt und als eindimensionaler affiner Unterraum im umgebenden realisiert. Diese Einbettung führt zu Überschneidungen, die es im Tangentialbündel aber nicht gibt, da der Basispunkt mitbedacht werden muss. Unten werden zu jedem Punkt des Kreises die Tangentialräume parallel angeordnet und es ergibt sich ein Zylinder.



Es sei eine differenzierbare Mannigfaltigkeit. Dann nennt man die Menge

versehen mit der Projektionsabbildung

das Tangentialbündel von .

Ein Punkt in einem Tangentialbündel besitzt also stets einen Basispunkt und ist ein Element im Tangentialraum . Man schreibt einen solchen Punkt zumeist als mit und . Für eine offene Menge ist also ein Produktraum. Dies gilt im Allgemeinen nicht für eine beliebige Mannigfaltigkeit. Das Tangentialbündel bringt zunächst einmal nur die verschiedenen Tangentialräume disjunkt zusammen, ohne dass verschiedene Tangentialräume miteinander identifiziert würden; allerdings entsteht durch die Topologie, die wir auf dem Tangentialbündel gleich einführen werden, eine zusätzliche „Nachbarschaftsstruktur“ zwischen den Tangentialräumen.


Es seien und differenzierbare Mannigfaltigkeiten und

eine differenzierbare Abbildung. Es seien und die zugehörigen Tangentialbündel. Dann versteht man unter der Tangentialabbildung

die disjunkte Vereinigung der Tangentialabbildungen in den einzelnen Punkten, also


Es sei eine differenzierbare Mannigfaltigkeit und

eine Karte mit offen. Dann induziert die Karte eine natürliche Bijektion

Dabei bewegt sich in einem reellen Intervall derart, dass ist (vergleiche Lemma 77.5 (Analysis (Osnabrück 2014-2016))). Da ein Produkt von topologischen Räumen ist, ist selbst ein topologischer Raum, und es liegt nahe, diese Topologie auf zu übertragen und daraus insgesamt eine Topologie auf dem Tangentialbündel zu konstruieren.



Es sei eine differenzierbare Mannigfaltigkeit der Dimension und

das Tangentialbündel, versehen mit der Projektionsabbildung

Das Tangentialbündel wird mit derjenigen Topologie versehen, bei der eine Teilmenge genau dann offen ist, wenn für jede Karte

die Menge offen in ist.

Insbesondere ist für jede offene Menge das Urbild offen, d.h. die Projektion ist stetig. Mit diesen Festlegungen ist das Tangentialbündel einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit ein reelles Vektorbündel. Wenn

eine offene Überdeckung der Mannigfaltigkeit ist, bei der die homöomorph zu offenen Telmengen des sind, so liefern die Karten

direkt Trivialisierungen

Erstaunlich viele Eigenschaften einer Mannigfaltigkeit schlagen sich in Eigenschaften ihres Tangentialbündels nieder. Es ist möglich, dass das Tangentialbündel trivial ist, obwohl nicht homöomorph zu einer offenen Teilmenge des ist.


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