Kurs:Einführung in die mathematische Logik (Osnabrück 2018)/Vorlesung 5



Das Lemma von Zorn

Wir möchten im Folgenden zeigen, dass eine widerpruchsfreie Menge von Aussagen nicht nur bei einer abzählbaren Aussagenvariablenmenge zu einer maximal widerspruchsfreien Aussagenmenge aufgefüllt werden kann, sondern dass dies bei einer beliebigen Variablenmenge möglich ist. Bei einer Variablenmenge mit einer großen Mächtigkeit gibt es im Allgemeinen kein konstruktiv durchführbares Auffüllungsverfahren; es gibt lediglich Existenzaussagen, dass es solche maximal widerspruchsfreien Mengen geben muss. Diese Existenzaussagen beruhen auf stärkeren mengentheoretischen Konzepten, nämlich auf dem Auswahlaxiom und dem Lemma von Zorn.


Es sei eine Menge und , , eine Familie von nichtleeren Mengen . Dann gibt es eine Abbildung

mit für alle .

Das Auswahlaxiom ist intuitiv einleuchtend, da es lediglich die Existenz eines Tupels garantiert, wobei es für jedes im Allgemeinen viele Kandidaten gibt. Da jedes nicht leer ist, gibt es zu einem festen mindestens ein . Der Inhalt des Auswahlaxiomes ist, dass man diese Elemente als Werte einer Abbildung realisieren kann. Die Abbildung wählt also in jeder der Mengen ein Element aus. Das Auswahlaxiom ist ein starkes Axiom mit teilweise überraschenden (und manchmal kontraintuitiven?) Konsequenzen.

Das Lemma von Zorn wird für geordnete Mengen formuliert. Wir erinnern an die relevanten Definitionen.


Eine Relation auf einer Menge heißt Ordnungsrelation oder Ordnung, wenn folgende drei Bedingungen erfüllt sind.

  1. Es ist für alle .
  2. Aus und folgt stets .
  3. Aus und folgt .

Diese Eigenschaften heißen Reflexivität, Transitivität und Antisymmetrie. Eine Menge mit einer fixierten Ordnung heißt geordnete Menge. Eine Ordnung heißt total (oder linear), wenn oder für je zwei Elemente gilt. Die reellen Zahlen sind mit der üblichen Ordnung total geordnet, die Potenzmenge zu einer Menge ist mit der Inklusion eine nicht total geordnete Menge. Die Menge der natürlichen Zahlen mit der Teilbarkeitsbeziehung als Ordnungsrelation ist ebenfalls nicht total geordnet.


Es sei eine geordnete Menge. Ein Element heißt größtes Element von , wenn für jedes gilt.


Es sei eine geordnete Menge. Ein Element heißt maximal (in ) oder ein maximales Element (von ), wenn es kein Element , , mit gibt.

Bei einer total geordneten Menge fallen diese beiden Begriffe zusammen. Ein größtes Element ist, wenn es existiert, eindeutig bestimmt, maximale Elemente im Allgemeinen nicht.


Es sei eine geordnete Menge und eine Teilmenge. Ein Element heißt obere Schranke für , wenn für jedes gilt.

Die folgende Aussage heißt Lemma von Zorn.


Es sei eine geordnete Menge mit der Eigenschaft, dass jede total geordnete Teilmenge eine obere Schranke in besitzt.

Dann gibt es in maximale Elemente.

Beweis

Diese Aussage kann man aus dem Auswahlaxiom herleiten; der Beweis ist aber ziemlich kompliziert und wenig erhellend, sodass wir auf ihn verzichten.


Da die leere Menge total geordnet ist, kann insbesondere die Menge nicht leer sein. Dies wird manchmal in Formlierungen des Lemmas extra mitaufgeführt. Häufig nennt man die total geordneten Teilmengen auch Ketten. Eine geordnete Menge, die die Voraussetzung des Lemmas erfüllt, in der also jede Kette eine obere Schranke besitzt, heißt induktiv geordnet. Das Lemma von Zorn ist ein grundlegender mengentheoretischer Sachverhalt, der zum Auswahlaxiom äquivalent ist. Wir geben einige typische Beispiele, wie man mittels des Lemmas von Zorn die Existenz von gewissen mathematischen Objekten nachweisen kann.


Eine Teilmenge eines kommutativen Ringes heißt Ideal, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind:

  1. .
  2. Für alle ist auch .
  3. Für alle und ist auch .

Ein Ideal in einem kommutativen Ring heißt maximales Ideal, wenn ist und wenn es zwischen und keine weiteren Ideale gibt.



In einem kommutativen Ring

gibt es maximale Ideale.

Wir betrachten die Menge

Diese Menge enthält das Nullideal und ist somit nicht leer. Wir wollen das Lemma von Zorn auf (mit der Inklusion als Ordnungsrelation) anwenden. Dazu sei eine total geordnete Teilmenge. Wir setzen

Man zeigt nun, dass ein Ideal ist, das nicht die enthält. Also gehört es zu und es bildet eine obere Schranke für . Das Lemma von Zorn liefert dann maximale Elemente in , und dies sind maximale Ideale.


Eine Variante dieser Aussage ist, dass jedes Ideal , das nicht die enthält, in einem maximalen Ideal enthalten ist. Für verhältnismäßig einfache Ringe kann man die Existenz maximaler Ideale auch ohne das Lemma von Zorn sichern. Das Lemma von Zorn etabliert aber auch in überraschenden Situationen die Existenz von maximalen Idealen, wie das folgende Beispiel zeigt.


Wir betrachten die Menge

Diese Menge ist mit komponentenweiser Addition und Multiplikation ein kommutativer Ring (mit der konstanten Nullfolge bzw. Einsfolge als und ). Zu jedem festen ist die Menge

ein maximales Ideal. Die Idealeigenschaft kann man unmittelbar nachprüfen, die Maximalität ergibt sich daraus, dass ein größeres Ideal

ein Element mit enthält. Dann ist

mit und daher ist . Mit dieser Konstruktion bekommt man also direkt maximale Ideale. Die Restklassenkörper zu diesen maximalen Idealen sind (isomorph zu) , der Restklassenhomomorphismus ist einfach die Projektion auf die -te Komponente.

Wir betrachten nun das Ideal

das ist also die Menge aller Folgen, die bis auf endlich viele Glieder mit der Nullfolge übereinstimmen. Es gibt daher nach (einer Variante von) Lemma 5.9 maximale Ideale mit

Es ist

da die Folge, die an der -ten Stelle eine und sonst überall eine stehen hat, links dazu gehört, aber nicht rechts. Ein solches maximales Ideal kann man nicht explizit beschreiben. Selbst wenn man sich auf Folgen beschränkt, die lediglich die beiden Werte oder annehmen, so ist kein explizites Verfahren bekannt, zu bestimmen, ob die Folge zu gehören soll oder nicht. Für jede Folge mit unendlich vielen Nullen und mit unendlich vielen Einsen gibt es ein solches maximales Ideal , das diese Folge enthält, und auch eines, das sie nicht enthält.

Die Restklassenkörper zu einem solchen maximalen Ideal sind nicht isomorph zu . Die dabei auftretenden Körper sind vielmehr der Gegenstand der sogenannten Nichtstandardanalysis.



Es sei ein topologischer Raum. Ein System aus offenen Teilmengen von heißt Filter, wenn folgende Eigenschaften gelten ( seien offen).

  1. .
  2. Mit und ist auch .
  3. Mit und ist auch .

Ein topologischer Filter heißt Ultrafilter, wenn und wenn maximal mit dieser Eigenschaft ist.



Es sei ein topologischer Raum und ein topologischer Filter auf mit .

Dann gibt es einen Ultrafilter .

Beweis

Siehe Aufgabe 5.14.


Wir beweisen den Satz von Hamel über die Existenz von Vektorraumbasen als eine weitere Anwendung des Lemmas von Zorn. Eine Basis eines Vektorraumes über einem Körper ist ein linear unabhängiges Erzeugendensystem. Für endlich erzeugte Vektorräume (wie den ) ist dieser Satz auch ohne das Lemma von Zorn direkt beweisbar. Das Problem sind Vektorräume ohne endliches Erzeugendensystem, beispielsweise die Menge der reellen Zahlen als Vektorraum über den rationalen Zahlen oder der oben betrachtete Folgenraum.



Jeder Vektorraum

besitzt eine Basis.

Es sei ein Vektorraum über einem Körper . Es sei

Die leere Menge gehört zu , also ist nicht leer. Es sei eine total geordnete Teilmenge. Wir behaupten, dass

ebenfalls linear unabhängig ist und daher eine obere Schranke von in bildet. Andernfalls gäbe es nämlich eine endliche Teilmenge , deren Elemente linear abhängig sind, und es gäbe auch ein , das umfasst und daher selbst linear abhängig wäre. Nach dem Lemma von Zorn besitzt also maximale Elemente, d.h. es gibt eine Teilmenge , die linear unabhängig ist und derart, dass es keine echt größere linear unabhängige Teilmenge von gibt. Wir behaupten, dass auch ein Erzeugendensystem von ist. Es sei dazu . Bei sind wir fertig. Bei ist linear abhängig, d.h. es gibt eine Linearkombination

mit Elementen und Koeffizienten , die nicht alle sind. Dabei kann nicht sein, da sonst eine lineare Abhängigkeit zwischen Elementen aus vorliegen würde. Also kann man als Linearkombination der ausdrücken.


Eine totale Ordnung auf einer Menge heißt Wohlordnung, wenn jede nichtleere Teilmenge ein kleinstes Element besitzt.

Beispielsweise sind die natürlichen Zahlen wohlgeordnet, die reellen Zahlen nicht, siehe Aufgabe 5.25. Da eine totale Ordnung vorliegt, stimmen jeweils die Begriffe kleinstes Element und minimales Element überein. Die folgende Aussage heißt Wohlordnungssatz. Er folgt aus dem Auswahlaxiom und ist zu diesem und zum Lemma von Zorn äquvalent. Wir verzichten auf einen Beweis.


Auf jeder Menge

gibt es eine Wohlordnung.

Auch diese Aussage ist lediglich eine Existenzaussage. Es ist im Allgemeinen nicht möglich, explizit eine Wohlordnung zu konstruieren. Auf den reellen Zahlen ist keine Wohlordnung bekannt.



Der Vollständigkeitssatz der Aussagenlogik II



Es sei eine Menge an Aussagenvariablen und eine widerspruchsfreie Teilmenge der zugehörigen Sprache der Aussagenlogik.

Dann gibt es eine maximal widerspruchsfreie Teilmenge , die enthält.

Wir betrachten die Menge

mit der durch Inklusion gegebenen Ordnung. Wegen ist diese Menge nicht leer. Es sei eine nichtleere total geordnete Teilmenge. Die Vereinigung

ist ebenfalls widerspruchsfrei, da ein Widerspruch schon aus einer endlichen Teilmenge ableitbar wäre, die ganz in einem der enthalten wäre. Also besitzt die Kette in eine obere Schranke. Nach dem Lemma von Zorn gibt es also in maximale Elemente. Ein solches ist maximal widerspruchsfrei.



Es sei eine Menge an Aussagenvariablen und eine widerspruchsfreie Teilmenge der zugehörigen Sprache der Aussagenlogik.

Dann ist erfüllbar.

Nach Lemma 5.17 (bzw. Lemma 4.9 im abzählbaren Fall) kann man zu einer maximal widerspruchsfreien Ausdrucksmenge auffüllen. Nach Lemma 4.8 ist erfüllbar, d.h., es gibt eine Wahrheitsbelegung derart, dass unter der zugehörigen Interpretation alle Ausdrücke aus gültig sind. Dann sind unter dieser Belegung insbesondere die Ausdrücke aus gültig.


Die folgende Aussage ist der Vollständigkeitssatz für die Aussagenlogik.


Es sei eine Menge an Aussagenvariablen und eine Teilmenge der zugehörigen Sprache der Aussagenlogik. Es sei .

Dann ist

Dass die Ableitungsbeziehung die Folgerungsbeziehung impliziert, wurde bereits im Rahmen der Korrektheitsüberlegungen zu den Ableitungsregeln gezeigt. Für die Umkehrung nehmen wir an. Dies bedeutet nach Aufgabe 4.10, dass widerspruchsfrei ist. Nach Satz 5.18 ist dann auch erfüllbar. Es gibt also eine Wahrheitsbelegung mit und . Also ist .



Es sei eine Menge an Aussagenvariablen und .

Dann ist

Ein Ausdruck ist also eine semantische Tautologie genau dann, wenn es eine syntaktische Tautologie ist.

Dies ist der Spezialfall von Satz 5.19 bei .



<< | Kurs:Einführung in die mathematische Logik (Osnabrück 2018) | >>

PDF-Version dieser Vorlesung

Arbeitsblatt zur Vorlesung (PDF)