Kurs:Körper- und Galoistheorie (Osnabrück 2018-2019)/Vorlesung 15



Normale Körpererweiterungen

Ein irreduzibles Polynom hat in dem Erweiterungskörper

eine Nullstelle, nämlich die Restklasse von und damit in auch den Linearfaktor . Es besteht aber kein Grund, warum das Polynom über in Linearfaktoren zerfallen sollte. Vielmehr handelt es sich um eine erweiterungstheoretische Besonderheit, wenn mit einer Nullstelle bereits schon alle Nullstellen vollzählig vorhanden sind.


Eine Körpererweiterung heißt normal, wenn es zu jedem ein Polynom , , mit gibt, das über zerfällt.

Eine normale Körpererweiterung ist insbesondere algebraisch. Wir werden gleich noch dazu äquivalente Eigenschaften kennenlernen. Einfache Eigenschaften von normalen Erweiterungen werden im folgenden Lemma zusammengefasst.


  1. Die Identität ist eine normale Körpererweiterung.
  2. Jede quadratische Körpererweiterung ist normal.
  3. Wenn eine normale Körpererweiterung ist und ein Zwischenkörper, so ist auch normal.
  4. Eine Erweiterung von endlichen Körpern ist normal.

(1) ist trivial.
(2). Sei mit dem Minimalpolynom , das den Grad oder besitzt. In besitzt einen Linearfaktor, der andere Faktor ist wegen der Gradbedingung konstant oder auch ein Linearfaktor.
(3). Zu jedem gibt es ein Polynom , , mit , das über zerfällt. Wegen gilt diese Eigenschaft auch für .
(4). Nach (3) können wir sofort eine Körpererweiterung mit einer Primzahl und einer Primzahlpotenz betrachten. Jedes Element ist nach dem Satz von Lagrange eine Nullstelle des Polynoms , sodass dieses Polynom über zerfällt.



Das Polynom ist irreduzibel nach Aufgabe 3.17 und definiert daher eine Körpererweiterung

vom Grad . Die Restklasse von in sei mit bezeichnet. Nach Aufgabe 11.7 sind auch die Elemente aus

und

Nullstellen der definierenden Gleichung und daher zerfällt das Polynom bereits über . Daher ist die Körpererweiterung normal nach Satz 15.4  (3).




Es sei eine endliche Körpererweiterung. Dann sind folgende Aussagen äquivalent.

  1. Die Körpererweiterung ist normal.
  2. Wenn ein irreduzibles Polynom eine Nullstelle in besitzt, so zerfällt es in .
  3. Es gibt ein - Algebraerzeugendensystem , , von und über zerfallende Polynome ,  , , mit .
  4. Für jede Körpererweiterung und jeden - Algebrahomomorphismus

    ist .

. Es sei irreduzibel und . Dann ist nach Lemma 7.12 das Minimalpolynom zu . Nach (1) gibt es ein über zerfallendes Polynom mit . Da ein Vielfaches von ist, muss auch über zerfallen.
. Zu gehört das Minimalpolynom , das nach Lemma 7.12 irreduzibel ist und nach Voraussetzung (2) über in Linearfaktoren zerfällt.
. Die Familie aller Elemente mit ihren Minimalpolynomen besitzt diese Eigenschaft.
. Seien und gegeben. Es sei ein Element aus der erzeugenden Familie und sei das zugehörige zerfallende Polynom mit , das wir als irreduzibel annehmen dürfen. Es ist

daher ist eine Nullstelle des über zerfallenden Polynoms . Das heißt aber, dass ist. Diese Zugehörigkeit gilt dann für alle , da sie für ein Algebraerzeugendensystem gilt.
. Es sei irreduzibel und sei mit . Wir können nach Lemma 7.12 annehmen, dass das Minimalpolynom von ist. Wir setzen und ergänzen dies zu einem endlichen - Algebraerzeugendensystem von , sagen wir

Es seien die Minimalpolynome von über . Wir betrachten das Produkt und den Zerfällungskörper von über , der zugleich der Zerfällungskörper über ist. Es sei eine Nullstelle von . Wir müssen zeigen. Es gibt einen - Isomorphismus

mit . Der Körper ist der Zerfällungskörper von über als auch über . Daher gibt es nach Satz 11.6 ein kommutatives Diagramm

mit einem -Isomorphismus . Nach Voraussetzung ist dabei , also ist .


Insbesondere die zweite Eigenschaft von Satz 15.4 zeigt, dass es sich hierbei um eine recht starke Eigenschaft handelt. Wenn man mit einem Primpolynom startet und sich den Restklassenkörper anschaut, so besitzt in eine Nullstelle, nämlich die Restklasse von . Daher gilt in die Beziehung mit einem Polynom . Es gibt aber keinen allgemeinen Grund, warum über in Linearfaktoren zerfallen sollte.


Wir geben ein Beispiel, das zeigt, dass die Verkettung von normalen Körpererweiterungen nicht normal sein muss.


Wir betrachten die Körperkette , wobei und ist. Das sind zwei quadratische Körpererweiterungen, die beide nach Lemma 15.2  (2) normal sind. Wir setzen , und dieses Element erzeugt über . Wir können als einen Unterkörper von auffassen, indem wir für und dann für die positiven reellen Wurzeln wählen. Wir haben

d.h. das Polynom wird von annulliert. Dieses Polynom besitzt über die Zerlegung

Wegen und ist das hintere quadratische Polynom über unzerlegbar. Dieses Polynom zerfällt also über nicht in Linearfaktoren und somit ist nicht normal.


Wir setzen weiterhin voraus, dass eine endliche Körpererweiterung vorliegt. Dann sind die normalen Körpererweiterungen genau die Zerfällungskörper von Polynomen.


Es sei eine endliche Körpererweiterung.

Dann ist genau dann eine normale Körpererweiterung, wenn Zerfällungskörper eines Polynoms ist.

Sei normal. Wegen der vorausgesetzten Endlichkeit ist . Zu sei das Minimalpolynom. Wegen der Normalität zerfällt jedes in in Linearfaktoren. Daher ist der Zerfällungskörper des Produktes .
Es sei nun ein Zerfällungskörper, und sei die Faktorzerlegung zu den Nullstellen , die den Körper erzeugen. Wir werden das Kriterium Satz 15.4  (4) anwenden. Es sei also eine Körpererweiterung und sei

ein - Algebrahomomorphismus. Es ist dann

da sich die Koeffizienten von nicht ändern (vergleiche Lemma 10.15), und somit gehört zur Nullstellenmenge und damit insbesondere zu . Daher gilt generell .



Es sei eine endliche normale Körpererweiterung und , , ein Zwischenkörper. Es sei ein - Algebrahomomorphismus.

Dann besitzt eine Fortsetzung zu einem Automorphismus auf .

Aufgrund von Satz 15.7 wissen wir, dass der Zerfällungskörper eines Polynoms ist. ist auch der Zerfällungskörper von . Es sei das isomorphe Bild von in unter . Somit ist auch der Zerfällungskörper von . Daher gibt es nach Satz 11.6 einen Isomorphismus , der mit den Abbildungen und verträglich ist.



Es sei eine endliche normale Körpererweiterung und es seien .

Dann sind und genau dann konjugiert, wenn es einen - Automorphismus mit gibt.

Wenn es einen -Automorphismus mit gibt, so induziert dieser einen Isomorphismus . Da diese erzeugten Unterkörper jeweils durch die Minimalpolynome von bzw. festgelegt sind, müssen die Minimalpolynome übereinstimmen. Also sind und konjugiert.
Wenn umgekehrt[1] die beiden Elemente konjugiert sind, so gibt es einen -Isomorphismus . Mit der Inklusion führt dies zu einem -Homomorphismus

den man nach Korollar 15.8 zu einem Automorphismus auf fortsetzen kann.


In der nichtnormalen Erweiterung aus Beispiel 15.6 sind und zueinander konjugiert (und es gibt einen Automorphismus , der in überführt), es gibt aber keinen Automorphismus , der in überführt. Aufgrund der Faktorzerlegung des Minimalpolynoms zu sind die Identität und die durch festgelegte Abbildung die einzigen Automorphismen, und beide sind eingeschränkt auf die Identität.



Es sei eine endliche normale Körpererweiterung und sei , , ein Zwischenkörper.

Dann ist genau dann normal, wenn für jeden - Algebraautomorphismus

die Beziehung gilt.

Wenn normal ist, so gilt die Homomorphismuseigenschaft aufgrund von Satz 15.4  (4).
Zur Umkehrung verwenden wir das Kriterium Satz 15.4  (2). Es sei also ein irreduzibles (normiertes) Polynom, das in eine Nullstelle, sagen wir , besitzt. Dieses Polynom zerfällt über in Linearfaktoren, und wir müssen zeigen, dass die zugehörigen Nullstellen zu gehören. Es sei eine weitere Nullstelle von . Wegen der Irreduzibilität und Lemma 7.12 ist das Minimalpolynom von und auch von , d.h. die beiden Elemente sind konjugiert. Nach Korollar 15.9 gibt es daher einen -Automorphismus mit . Nach Voraussetzung ist .



Wir betrachten die Körpererweiterung

wobei

die dritte primitive Einheitswurzel ist und wobei wir mit die reelle Zahl meinen. Dies ist eine Erweiterung vom Grad , wie die Kette

zeigt. Die Erweiterung ist nicht normal, da die beiden anderen dritten Wurzeln der , nämlich und , nicht zu gehören, weil sie nicht reell sind. Sie gehören aber zu und da mit auch zu gehört ist nach Satz 15.4  (3) die Gesamterweiterung normal. Nach Korollar 15.10 muss es - Automorphismen mit geben. In der Tat gibt es einen Automorphismus auf , der auf sich selbst und auf abbildet. Dabei ist




Fußnoten
  1. Die Umkehrung folgt auch aus Satz 14.5.


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