Kurs:Mathematik (Osnabrück 2009-2011)/Teil III/Vorlesung 82
- Orientierungen auf reellen Vektorräumen
Es seien und zwei zweidimensionale reelle Vektorräume mit den Basen bzw. . Es sei eine lineare Abbildung
gegeben mit und . Die Matrix, die diese lineare Abbildung beschreibt, ergibt sich, indem man die Koordinaten des Bildvektors des -ten Basisvektors als -te Spalte schreibt. Bei der gegebenen Nummerierung ergibt sich also die Matrix
und ihre Determinante ist . Wenn man hingegen die Reihenfolge von und vertauscht (also mit der Basis und arbeitet), so ist die beschreibende Matrix
mit der Determinante . Abhängig von der gewählten Basis kann also die Determinante mal positiv, mal negativ sein (bei einem Endomorphismus kann das nicht passieren, wenn man vorne und hinten stets die gleiche Basis nimmt).
Im Folgenden ist es wichtig, dass man unter einer Basis nicht die Menge der Basisvektoren , sondern das geordnete Tupel der Basisvektoren versteht.
Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum. Man nennt zwei Basen und orientierungsgleich, wenn die Determinante ihrer Übergangsmatrix positiv ist.
Diese Relation zwischen Basen ist eine Äquivalenzrelation, und zwar eine, bei der es nur zwei Äquivalenzklassen (genannt Orientierungen oder Orientierungsklassen) gibt (außer beim Nullraum).
Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum. Eine Orientierung auf ist eine Äquivalenzklasse von Basen von unter der Äquivalenzrelation, orientierungsgleich zu sein.[1]
Es ist einfach, zu bestimmen, ob zwei Basen die gleiche oder die entgegengesetzte Orientierung besitzen, es macht aber keinen Sinn, die einzelnen Orientierungen zu benennen.
Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum. Er heißt orientiert, wenn auf ihm eine Orientierung erklärt ist.
Ein Vektorraum wird dadurch orientiert, indem man beispielsweise sagt, dass die Orientierung tragen möge, die durch die Basis repräsentiert wird. Der Standardraum trägt, wenn nichts anderes gesagt wird, die sogenannte Standardorientierung, die durch die Standardbasis repräsentiert wird.
Es seien und zwei endlichdimensionale orientierte reelle Vektorräume. Eine bijektive lineare Abbildung
heißt orientierungstreu, wenn für jede Basis , die die Orientierung auf repräsentiert, die Bildvektoren die Orientierung auf repräsentieren.
Es genügt, diese Eigenschaft für eine einzige, die Orientierung repräsentierende Basis nachzuweisen, siehe Aufgabe 82.4.
Bei einem eindimensionalen reellen Vektorraum (einer Geraden) ist eine Orientierung einfach durch einen einzigen Vektor gegeben, d.h. es wird einfach eine der beiden „Halbgeraden“ als positiv ausgezeichnet. Dies ist wiederum äquivalent zu einer Identifizierung von mit , der mit der Standardorientierung versehen ist, bei der positiv ist. Unter Bezug auf das Dachprodukt kann man generell die Orientierung auf einem reellen Vektorraum auf die Orientierung einer Geraden zurückführen, wie die folgende Aussage zeigt.
Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum der Dimension .
Dann entsprechen durch die Zuordnung
die Orientierungen auf den Orientierungen auf .
Es seien und zwei Basen von mit der Beziehung
Dann gilt nach Korollar 80.7
woraus die Wohldefiniertheit der Abbildung und die Aussage folgt.
- Orientierungen auf Mannigfaltigkeiten
Es sei eine differenzierbare Mannigfaltigkeit. Eine Karte
mit und offen heißt orientiert, wenn der orientiert ist.
Wenn man einen Atlas aus orientierten Karten hat, so haben die Orientierungen auf den umgebenden Zahlenräumen , in denen die offenen Bilder der Karten liegen, erstmal nichts miteinander zu tun (obwohl man stets schreibt). Ein Zusammenhang zwischen den Orientierungen wird erst durch die beiden folgenden Begriffe formulierbar.
Es sei eine differenzierbare Mannigfaltigkeit und es seien und orientierte Karten. Dann heißt der zugehörige Kartenwechsel
orientierungstreu, wenn für jeden Punkt das totale Differential
orientierungstreu ist.
Eine differenzierbare Mannigfaltigkeit mit einem Atlas heißt orientiert, wenn jede Karte orientiert ist und wenn sämtliche Kartenwechsel orientierungstreu sind.
Bei einer orientierten Mannigfaltigkeit besitzt jeder Tangentialraum eine Orientierung. Man kann einfach eine beliebige Kartenumgebung wählen und die Orientierung auf mittels nach transportieren. Wegen der Orientierungstreue der Kartenwechsel ist diese Orientierung unabhängig von der gewählten Kartenumgebung.
In einer orientierten Mannigfaltigkeit kann man auch zu zwei Basen in den Tangentialräumen zu zwei verschiedenen Punkten sagen, ob sie die gleiche Orientierung repräsentieren oder nicht. Dies ist der Fall, wenn beide Basen die Orientierung der Mannigfaltigkeit repräsentieren oder aber beide nicht.
Eine Mannigfaltigkeit heißt orientierbar, wenn sie diffeomorph zu einer orientierten Mannigfaltigkeit ist. D.h. wenn es einen Atlas gibt, der die gleiche differenzierbare Struktur definiert und der zusätzlich orientiert werden kann.
- Kompaktheit
Teilmengen eines euklidischen Raumes, die sowohl abgeschlossen als auch beschränkt sind, nennt man kompakt. Auf topologischen Räumen, die nicht durch eine Metrik gegeben sind, kann man nicht von beschränkt sprechen, aber auch bei einem metrischen Raum, der keine Teilmenge eines ist, führen die beiden Eigenschaften abgeschlossen und beschränkt nicht sehr weit. Schlagkräftiger ist das folgende Konzept.
Ein topologischer Raum heißt kompakt (oder überdeckungskompakt), wenn es zu jeder offenen Überdeckung
eine endliche Teilmenge derart gibt, dass
ist.
Diese Eigenschaft nennt man manchmal auch überdeckungskompakt. Häufig nimmt man zu kompakt noch die Eigenschaft Hausdorffsch mit hinzu. Es sei betont, dass diese Eigenschaft nicht besagt, dass es eine endliche Überdeckung aus offenen Mengen gibt (es gibt immer die triviale offene Überdeckung mit dem Gesamtraum), sondern dass man, wenn irgendeine irgendwie indizierte offene Überdeckung vorliegt, dann nur eine endliche Teilmenge aus der Indexmenge für die Überdeckung nötig ist.
Es sei ein topologischer Raum mit einer abzählbaren Basis.
Dann ist genau dann kompakt, wenn jede Folge in einen Häufungspunkt (in ) besitzt.
Es sei kompakt und sei eine Folge gegeben. Nehmen wir an, dass diese Folge keinen Häufungspunkt besitzt. Das bedeutet, dass es zu jedem eine offene Umgebung gibt, in der es nur endlich viele Folgenglieder gibt. Wegen
gibt es nach Voraussetzung eine endliche Teilüberdeckung
Es sei die Folgeneigenschaft erfüllt und sei eine Überdeckung mit offenen Mengen. Da eine abzählbare Basis besitzt, gibt es nach Aufgabe 63.4 eine abzählbare Teilmenge mit
Wir können
annehmen. Nehmen wir an, dass die Überdeckung
keine endliche Teilüberdeckung besitzt. Dann ist insbesondere
für jedes
und daher gibt es zu jedem
ein
mit .
Nach Voraussetzung besitzt diese Folge einen Häufungspunkt . Da eine Überdeckung
vorliegt, gibt es ein
mit
.
Da ein Häufungspunkt ist, liegen unendlich viele Folgenglieder in . Dies ist ein Widerspruch, da nach Konstruktion für
die Folgenglieder nicht zu gehören.
Der folgende Satz heißt Satz von Heine-Borel.
Es sei eine Teilmenge Dann sind folgende Aussagen äquivalent.
- ist überdeckungskompakt.
- Jede Folge in besitzt einen Häufungspunkt in .
- Jede Folge in besitzt eine in konvergente Teilfolge.
- ist abgeschlossen und beschränkt.
Die Äquivalenz von (1) und (2) wurde allgemeiner in
Lemma 82.10
bewiesen, für die Existenz einer abzählbaren Basis siehe
Aufgabe 63.9.
Die Äquivalenz von (2) und (3) ist klar.
Die Äquivalenz von (3) und (4) wurde in
Satz 22.3
gezeigt.
- Maße auf Mannigfaltigkeiten
Es sei eine Mannigfaltigkeit. Gibt es ein sinnvolles Volumen für (Teilmengen von) , wann kann man eine auf definierte Funktion sinnvoll integrieren? Wenn man die Maßtheorie als allgemeines Konzept zugrunde legt, so ergibt sich folgendes Bild: es sei vorausgesetzt, dass einen abzählbaren Atlas besitzt. Ein Maß auf den Borelmengen ist dann durch die Einschränkungen des Maßes auf die offenen Teilmengen eindeutig bestimmt. Für jedes definiert die Homöomorphie
das Bildmaß auf . Dabei stehen die Bildmaße , , untereinander in der Beziehung
für jede messbare Teilmenge . Mit den Kartenwechseln bedeutet dies
für jede messbare Menge , die ganz innerhalb des Definitionsbereiches der Übergangsabbildung liegt.
Nehmen wir nun an, dass sich die Bildmaße jeweils mit einer Dichte bezüglich des Borel-Lebesgue-Maßes schreiben lassen, sagen wir
mit auf definierten integrierbaren Funktionen . Für eine messbare Teilmenge gilt dann also
Für eine messbare Teilmenge gilt somit nach der Transformationsformel, angewendet auf die diffeomorphe Übergangsabbildung
die in überführt, die Gleichheit
Dies legt für die Dichtefunktionen , , das Transformationsverhalten
nahe (auch wenn es dies nicht erzwingt, da eine Dichte durch ihr Maß nicht eindeutig bestimmt ist). Wir werden die Integrationstheorie für Mannigfaltigkeiten auf dem Konzept der -Differentialformen aufbauen, die in natürlicher Weise dieses Transformationsverhalten (ohne den Betrag) besitzen.
- Fußnoten
- ↑ Bei einem -dimensionalen Vektorraum, also dem Nullraum, gibt es nur die leere Basis. Es ist aber dennoch sinnvoll, von zwei Orientierungen auf dem Nullraum zu sprechen, die wir durch und repräsentieren.
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