Kurs:Riemannsche Flächen (Osnabrück 2022)/Vorlesung 23



Auswertung von Kohomologieklassen längs eines Weges

Es sei eine topologische Mannigfaltigkeit, wir betrachten die Garbe der lokal konstanten Funktionen auf mit Werten in , wobei für oder für steht. Das Symbol verwenden wir auch für die zugehörige Garbe. Eine erste Kohomologieklasse wird repräsentiert durch einen Čech-Kozykel, also durch eine offene Überdeckung

und lokal konstante Funktionen auf mit der Eigenschaft, dass

auf gilt. Die lokale Konstanz bedeutet insbesondere, dass auf den Zusammenhangskomponenten von konstant ist. Auch wenn die , die man oft als homöomorph zu Bällen ansetzt, zusammenhängend sind, gilt dies in der Regel nicht für die Durchschnitte. Die Trivialität einer Kohomologieklasse bedeutet, dass es lokal konstante Funktionen auf gibt mit . Wir wollen diese Trivialität mit der Hilfe von geschlossenen Wegen charakterisieren.


Zu einer offenen Überdeckung eines topologischen Raumes nennt man eine geordnete endliche Auswahl mit (mit einer Abbildung ) und eine topologische Kette der Überdeckung.



Es sei eine topologische Mannigfaltigkeit und sei ein erster Čech-Kozykel in der Garbe der lokal konstanten Funktionen auf mit Werten in , der durch zur Überdeckung mit zusammenhängend repräsentiert sei.

Dann gilt für die zugehörige Kohomologieklasse genau dann, wenn für jede topologische Kette zur Überdeckung und jede Auswahl von Punkten die Summe nur von und abhängt.

Es sei zuerst . Dann gibt es lokal konstante Funktionen auf mit . Dann ist

da auf konstant ist.

Es sei nun umgekehrt die Unabhängigkeitseigenschaft erfüllt. Wir können annehmen, dass zusammenhängend ist. Zunächst sind die Funktionen auf konstant, da andernfalls sich für die Kette sofort ein Widerspruch zur Unabhängigkeit der Punktwahl ergeben würde. Wir definieren konstante Funktionen auf den in folgender Weise. Wir fixieren eine offene Menge als und legen darauf den Wert fest. Zu einer offenen Menge gibt es einen stetigen Weg von nach und damit auch eine topologische Kette . Wir wählen Punkte und setzen

Nach Voraussetzung ist dies unabhängig von der gewählten Kette und den gewählten Punkten. Wir behaupten, dass der Korand zu den den gegebenen Kozykel realisiert. Es haben und einen nichtleeren Durchschnitt, andernfalls ist nichts zu zeigen. Dann können wir eine topologische Kette von nach um zu einer Kette von nach erweitern. Dabei gilt



Es sei eine topologische Mannigfaltigkeit und sei ein erster Čech-Kozykel in der Garbe der lokal konstanten Funktionen auf mit Werten in , der durch zur Überdeckung mit zusammenhängend repräsentiert sei. Zu einem stetigen Weg

definiert man die Auswertung des Kozykels längs des Weges in folgender Weise. Man wählt eine topologische Kette aus der Überdeckung mit und und Punkte und setzt


Wir betrachten auf dem Kreis die Überdeckung mit zwei offenen (zu reellen Intervallen homöomorphen) Kreissegmenten , deren Durchschnitt die disjunkte Vereinigung von zwei Intervallen ist. Die Kohomologieklasse sei auf dem Durchschnitt durch

gegeben. Für den Weg , der den Kreis einfach durchläuft, ist , , eine topologische Kette für den Weg. Beim Übergang von nach werde und beim Übergang von nach werde durchlaufen. Die Auswertung ist dann , das Minuszeichen vorne beruht darauf, dass man nimmt, unten hinten muss man beim Übergang von nach die Funktion nehmen.


Die Wohldefiniertheit der Auswertung ergibt sich aus der folgenden Aussage.


Es sei eine topologische Mannigfaltigkeit und sei ein erster Čech-Kozykel in der Garbe der lokal konstanten Funktionen auf mit Werten in , der durch zur Überdeckung mit zusammenhängend repräsentiert sei. Es sei

ein stetiger Weg. Dann gelten folgende Aussagen.

  1. Die Auswertung ist wohldefiniert.
  2. Die Auswertung ist linear im Kozykel.
  3. Die Auswertung ist additiv bezüglich der Verknüpfung von Wegen.
  4. Wenn man den Weg in umgekehrter Richtung durchläuft, so negiert sich die Auswertung.
  5. Für einen geschlossenen Weg und einen Kozykel, der die triviale Kohomologieklasse repräsentiert, ist .
  6. Die Auswertung hängt nur von der Homotopieklasse des Weges ab.
  1. Es sei eine gewählte topologische Kette um den Weg. Die Auswertung ist zunächst einmal unabhängig von der Wahl der Punkte , da der Ausschnitt des Weges zusammenhängend ist. Es sei eine zusätzliche offene Umgebung (aus der Überdeckung), die trifft, und mit der wir die Kette erweitern wollen. Es sei . Bei können wir die Kette zu abändern. Für die beiden Übergänge können wir den gleichen Punkt wählen und erhalten den gleichen Funktionswert mit unterschiedlichem Vorzeichen (da sich die Reihenfolge des Überganges ändert), was sich weghebt. Es sei nun . Wir betrachten die abgeänderte Kette Wir können davon ausgehen, dass zu den drei Mengen gehört. Die Gesamtänderung der Auswertung bei dieser Abänderung ist dann

    In dieser Weise können wir sukzessive von jeder Kette zu jeder Kette übergehen. Wenn man die Klasse durch eine andere Überdeckung repräsentiert, so kann man annehmen, dass es sich um eine Verfeinerung (im Sinne von es kommen offene Mengen hinzu) handelt und dann wie soeben schließen.

  2. Ist klar.
  3. Ist klar.
  4. Ist klar.
  5. Folgt aus Lemma 23.2.
  6. Es seien und homotope Wege mit dem gleichen Start- und Zielpunkt und sei

    eine Homotopie zwischen den Wegen. D.h. ist stetig und eingeschränkt auf den linken Rand des Quadrates gleich und eingeschränkt auf den rechten Rand gleich . Wegen der Kompaktheit von besitzt die offene Überdeckung , , eine endliche Teilüberdeckung. Daher gibt es auch eine Gittereinteilung des Quadrates in Teilquadrate der Seitenlänge derart, dass sie ganz in einem der liegen. Es ist also stets

    Wir verkleinern nochmal die Teilquadrate, um sicherzustellen, dass benachbarte Quadrat in einer der offenen Mengen landen. Um die Gleichheit zwischen und zu zeigen, können wir sukzessive Wege auf einem einzigen kleinen Quadrat abändern. Wir betrachten Wege der Form

    und den Übergang von nach . Es sei die offene Umgebung, in der das Rechteck landet, in dem sich die Abänderung des Weges abspielt. Diese offene Umgebung können wir als Teil einer topologischen Kette nehmen mit , die beide Wege umfasst. Da und Punkte gemeinsam haben und da eine einfache Wegverzweigung zusammenhängend ist, stimmen beide Auswertungen überein. Durch eine endlich Anzahl solcher kleinen Abwandlungen können wir in überführen.



Es sei eine topologische Mannigfaltigkeit, sei eine erste Kohomologieklasse in der Garbe der lokal konstanten Funktionen auf mit Werten in und sei

ein stetiger geschlossener Weg. Dann gelten folgende Aussagen.

  1. Die Auswertung ist wohldefiniert.
  2. Die Auswertung ist linear in der Kohomologieklasse.
  3. Die Auswertung ist additiv bezüglich der Verknüpfung von Wegen.
  4. Wenn man den Weg in umgekehrter Richtung durchläuft, so negiert sich die Auswertung.
  5. Die Auswertung hängt nur von der Homotopieklasse des Weges ab.

(1) folgt aus Lemma 23.5  (5), alles weitere folgt ebenfalls aus dem Lemma.



Es sei eine topologische Mannigfaltigkeit und eine erste Kohomologieklasse in der Garbe der lokal konstanten Funktionen auf mit Werten in .

Dann ist genau dann, wenn für alle geschlossenen Wege in ist.

Die Hinrichtung ist klar. Für die Rückrichtung verwenden wir Lemma 23.2. Es sei ein repräsentierender Kozykel der Klasse. Aus der Eigenschaft, dass für alle geschlossenen Wege gleich ist, folgt, dass die Auswertung für jeden Weg nur vom Anfangs- und Endpunkt abhängt (zwei Wege ergeben einen geschlossenen Weg, indem man den zweiten in umgekehrter Richtung durchläuft). In jede topologische Kette lässt sich ein stetiger Weg hineinlegen derart, dass die Auswertung des Kozykels an der Kette mit der Auswertung des Kozykels am Weg übereinstimmt. Daher hängt die Auswertung längs der Kette auch nur von der Anfangs- und der Endmenge ab.



Es sei eine zusammenhängende topologische Mannigfaltigkeit und eine erste Kohomologieklasse der Garbe der lokal konstanten Funktionen auf mit Werten in . Dann nennt man den Gruppenhomomorphismus

die Periodenabbildung zu .

Die Periodenabbildung ist wegen Lemma 23.6  (3) ein Gruppenhomomorphismus. Da eine kommutative Gruppe ist, wird die Kommutatoruntergruppe der Fundamentalgruppe unter jeder Periodenabbildung auf abgebildet. Daher faktorisiert die Periodenabbildung durch die erste Homologiegruppe (die man als die Fundamentalgruppe modulo der Kommutatoruntergruppe definieren kann), also

Für die Gesamtzuordnung gilt die folgende Aussage.



Es sei eine zusammenhängende topologische Mannigfaltigkeit.

Dann gibt es einen natürlichen injektiven Gruppenhomomorphismus

von der ersten Kohomologie der Garbe der lokal konstanten Funktionen auf mit Werten in in den Homorphismenraum von der Fundamentalgruppe nach .

Die Homomorphieeigenschaft ist Lemma 23.6  (2), die Injektivität ergibt sich aus Lemma 23.7.



Es sei eine einfach zusammenhängende topologische Mannigfaltigkeit.

Dann ist .

Auf einem einfach zusammenhängenden Raum ist , daher folgt die Aussage aus Korollar 23.9.


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