Kurs:Riemannsche Flächen (Osnabrück 2022)/Vorlesung 5/kontrolle
- Die Tangentialabbildung
Zu einer holomorphen Abbildung
mit offen ist zu einem Punkt das totale Differential
die lineare Approximation der Abbildung in dem Punkt. Auf einer komplexen Mannigfaltigkeit kann man ebenfalls eine holomorphe Abbildung durch eine lineare Abbildung zwischen den Tangentialräumen approximieren.
Es seien und komplexe Mannigfaltigkeiten und es sei
eine holomorphe Abbildung. Es sei und und es seien
zwei holomorphe Kurven mit einem offenen Ball und . Es seien und im Punkt tangential äquivalent.
Dann sind auch die Verknüpfungen und tangential äquivalent in .
Beweis
Aufgrund dieses Lemmas ist der folgende Begriff wohldefiniert.
Es seien und komplexe Mannigfaltigkeiten und es sei
eine holomorphe Abbildung. Es sei und . Dann nennt man die Abbildung
die zugehörige Tangentialabbildung im Punkt . Sie wird mit bezeichnet.
Es seien und komplexe Mannigfaltigkeiten und es sei
eine holomorphe Abbildung. Es sei , und es sei
die zugehörige Tangentialabbildung. Dann gelten folgende Aussagen.
- Wenn und offene Teilmengen sind und die Tangentialräume mit den umgebenden komplexen Räumen identifiziert werden, so ist die Tangentialabbildung gleich dem totalen Differential .
- Wenn
mit und und
mit und Karten sind, so ist das Diagramm
kommutativ, wobei die vertikalen Abbildungen durch die Isomorphismen bzw. gegeben sind.
- ist - linear.
- Wenn eine weitere komplexe Mannigfaltigkeit,
und
eine weitere holomorphe Abbildung mit ist, so gilt
- Wenn eine biholomorphe Abbildung ist, dann ist ein Isomorphismus.
- Für eine
holomorphe Kurve
mit einem offenen Ball , und gilt im Tangentialraum die Gleichheit
(1). Jeder Tangentialvektor wird repräsentiert durch einen affin-linearen Weg mit einem Vektor , sodass wir zwischen diesen Vektoren und den durch sie definierten Tangentialvektoren hin- und herwechseln können. Für den zusammengesetzten Weg gilt nach der Kettenregel
(2). Die Kettenregel angewendet auf (wobei man eventuell und durch kleinere offene Mengen ersetzen muss)
liefert
was gerade die Kommutativität des Diagramms ist.
(3). Die Aussage folgt aus (2) und der Linearität des
totalen Differentials.
(4). Durch Übergang zu Karten folgt dies aus (2) und der Kettenregel.
(5) folgt aus (4) angewendet auf die Umkehrabbildung .
(6). Das Element
ist als Tangentenvektor an einem Punkt
als der Weg zu interpretieren. Bei
ist dies der identische Weg. Daher ist
Die Tangentialabbildungen in den einzelnen Punkten kann man zu einer gesamtabbildung zwischen den Tangentialbündeln zusammenfassen.
Es seien und komplexe Mannigfaltigkeiten und
eine holomorphe Abbildung. Es seien und die zugehörigen Tangentialbündel. Dann versteht man unter der Tangentialabbildung
die disjunkte Vereinigung der Tangentialabbildungen in den einzelnen Punkten, also
Diese Abbildung zwischen den Tangentialbündel ist selbst eine holomorphe Abbildung. Es liegt ein kommutatives Diagramm
von holomorphen Abbildungen zwischen komplexen Mannigfaltigkeiten vor.
- Der projektive Raum
Jede riemannsche Fläche besitzt lokal die gleichen Eigenschaften, da sie über die Karten lokal biholomorph zu einer offenen Kreisscheibe von ist. Daher stehen die globalen Eigenschaften einer riemannschen Fläche im Mittelpunkt. Da wir riemannsche Flächen häufig als zusammenhängend voraussetzen (bei einer nicht zusammenhängenden riemannschen Fläche kann man die einzelnen Zusammenhangskomponenten hintereinander untersuchen), ist die Kompaktheit die wichtigste globale Eigenschaft. Kompakte riemannsche Flächen nennt man auch „geschlossen“, die nicht kompakten dann auch offen, und in der Tat sind diese insofern offen, dass man sie unter gewissen Bedingungen zu einer kompakten riemannschen Fläche auffüllen kann und diese dann nicht mehr weiter sinnvoll aufgefüllt werden können und daher abgeschlossen sind. Offene Teilmengen von sind nicht kompakt. Als einzige kompakte riemannsche Fläche kennen wir bisher die projektive Gerade (die riemannsche Zahlenkugel) aus Beispiel 2.6. Wir besprechen die Konstuktion von komplex-projektiven Räumen , die kompakte komplexe Mannigfaltigkeiten in jeder Dimension liefern. Mit einer geeigneten Version des Satzes über implizite Abbildungen erhält man dann als abgeschlossene Teilmengen der projektiven Räume eine Vielzahl an kompakten riemannschen Flächen. Die Konstruktion der projektiven Räume kann man zunächst für jeden Körper durchführen, später konzentrieren wir uns auf die Grundkörper und . Im Kontext der projektiven Geometrie bezeichnet man zur Abgrenzung den „üblichen“ Raum auch als den affinen Raum über und schreibt dafür auch .
Es sei ein Körper. Der projektive -dimensionale Raum besteht aus allen Geraden des durch den Nullpunkt, wobei diese Geraden als Punkte aufgefasst werden. Ein solcher Punkt wird repräsentiert durch homogene Koordinaten , wobei nicht alle sein dürfen, und wobei zwei solche Koordinatentupel genau dann den gleichen Punkt repräsentieren, wenn sie durch Multiplikation mit einem Skalar ineinander übergehen.
Es sei ein Körper und sei ein projektiver Raum. Es sei fixiert.
Dann gibt es eine natürliche Abbildung
Diese Abbildung ist injektiv und induziert eine Bijektion zu denjenigen Punkten des projektiven Raumes, bei denen die -te homogene Koordinate nicht ist. Die Umkehrabbildung wird durch
gegeben.
Der projektive Raum wird überdeckt von diesen affinen Räumen. Das Komplement eines solchen affinen Raumes ist ein -dimensionaler projektiver Raum.
Die Abbildung ist offensichtlich wohldefiniert, da die sicher stellt, dass mindestens eine homogene Koordinate nicht ist. Die Abbildung ist injektiv, da aus einer Gleichung der Form (für homogene Koordinaten)
sofort wegen der folgt. Die Umkehrabbildung ist auf der angegebenen Teilmenge wohldefiniert, und ist invers zu der Abbildung. Die Überdeckungseigenschaft ist klar, da für jeden Punkt des projektiven Raumes mindestens eine homogene Koordinate nicht ist. Das Komplement zu ist
mit keinerlei weiteren Einschränkung an die übrigen Variablen und mit der Identifizierung von zwei solchen Tupeln, wenn sie durch Multiplikation mit einem Skalar ineinander übergehen.
Die offenen Mengen werden wir gleich als Kartengebiete und die Umkehrabbildungen als Kartenabbildungen auffassen, um auf den projektiven Räumen eine Mannigfaltigkeitssstruktur zu erhalten.
Die Abbildung
die einem Punkt die durch diesen Punkt und den Nullpunkt bestimmte Gerade zuordnet, heißt Kegelabbildung.
Wir beschränken uns nun auf den Fall . Mit der Kegelabbildung definieren wir zunächst eine Topologie auf den projektiven Räumen.
Definition Definition 5.8 ändern
Der reell-projektive Raum und der komplex-projektive Raum wird mit der Quotiententopologie zur Kegelabbildung
versehen.
Für den reell-projektiven und den komplex-projektiven Raum sind
die Teilmengen offen in der natürlichen Topologie und homöomorph zu bzw. .
Insbesondere sind die reell- und komplex-projektiven Räume topologische Mannigfaltigkeiten.
Das Urbild von unter der kanonischen Abbildung ist , also das Komplement eines -dimensionalen Untervektorraumes und damit offen in der natürlichen Topologie. Wir betrachten die stetigen Abbildungen
Die Gesamtabbildung ist eine Bijektion und trägt die Quotiententopologie unter der zweiten Abbildung. Wir müssen zeigen, dass die Bijektion eine Homöomorphie ist. Dazu genügt es, die Offenheit der Abbildung zu zeigen. Es sei also offen und das zugehörige Bild in . Die Offenheit von ist nach Definition der Quotiententopologie äquivalent dazu, dass das Urbild von offen ist. Diese Menge besteht aus allen Punkten in , die auf einer Geraden durch den Nullpunkt und durch einen Punkt aus liegen. Es sei ein solcher Punkt, und mit und . Es sei eine offene Ballumgebung um in . Dann ist auch der dadurch definierte Kegel in offen und liegt ganz in .
Man kann den reell-projektiven Raum durch die -dimensionale Sphäre modulo der Äquivalenzrelation repräsentieren, die antipodale Punkte miteinander identifiziert.
Den komplex-projektiven Raum kann man durch die -dimensionale Sphäre modulo der Äquivalenzrelation repräsentieren, die zwei Punkte miteinander identifiziert, wenn man mit einem schreiben kann.
Wir behandeln die beiden Fälle parallel. Jeder Punkt der Sphäre definiert eine (reelle oder komplexe) Gerade durch den Nullpunkt im umliegenden Raum oder und damit einen Punkt im projektiven Raum. Zwei Punkte definieren genau dann die gleiche Gerade, wenn es einen Skalar mit gibt. Wegen der Multiplikativität der Norm ist dann auch , woraus sich wegen sofort ergibt. Dies bedeutet im reellen Fall und im komplexen Fall, dass ist, also zum Einheitskreis gehört.
Die reell-projektiven und die komplex-projektiven Räume sind kompakt und hausdorffsch in der natürlichen Topologie.
Es gibt eine surjektive stetige Abbildung von einer Sphäre auf einen jeden projektiven Raum. Die Sphäre ist eine abgeschlossene und beschränkte Teilmenge eines reellen endlichdimensionalen Vektorraumes und daher nach dem Satz von Heine-Borel kompakt. Da das Bild einer kompakten Menge unter einer stetigen Abbildung nach Satz Anhang 2.9 wieder kompakt ist, folgt, dass die projektiven Räume kompakt sind.
Für die Hausdorff-Eigenschaft seien zwei verschiedene Punkte. Man kann annehmen, dass sie beide auf einem der affinen überdeckenden Räume liegen. Damit gibt es nach Lemma 5.9 trennende Umgebungen.
Die reell-projektiven Räume sind reell - differenzierbare Mannigfaltigkeiten und die komplex-projektiven Räume sind komplexe Mannigfaltigkeiten.
- Glatte ebene Kurven und riemannsche Flächen
Es sei ein Körper. Zu einem homogenen Polynom bezeichnet man die Menge
als die projektive Nullstellenmenge zu .
Aufgrund der Homogenität ist diese Nullstellenmenge wohldefiniert, siehe Aufgabe 5.11.
Wenn man bestimmen möchte, so kann man die disjunkte Zerlegung
(ebenso für jede andere Variable) ausnutzen. Zur Bestimmung von setzt man in die Variable gleich (das nennt man Dehomogenisierung) und muss die Lösungen im affinen Raum von finden. Dabei wird das Polynom inhomogen, gleichzeitig eliminiert man eine Variable. Die Dimension bleibt gleich, die Situation wird aber affin. Zur Bestimmung von setzt man in die Variable gleich und muss die Lösungen im projektiven Raum von finden. Hier eliminert man eine Variable, das Polynom bleibt homogen, man bleibt projektiv, die Dimension reduziert sich um .
Wir beschränken uns nun auf die Situation , man spricht von komplex-projektiven ebenen Kurven (wobei Kurven hier komplex-eindimensional bedeutet, reell gesehen handelt es sich um Flächen).
Es sei ein homogenes Polynom vom Grad . Für jeden Punkt sei zumindest eine partielle Ableitung ungleich .
Dann ist eine kompakte riemannsche Fläche.
Wir betrachten die Situation auf dem affinen Stück
Dabei ist , wobei hier die Dehomogenisierung von bezüglich der Variablen bezeichnet, also in einfach gesetzt wird und die verbleibenden Variablen und sich auf beziehen. Bei diesem Prozess ist (siehe Aufgabe 5.13)
und
Wegen Aufgabe 5.12 ist in jedem Punkt der Kurve zumindest eine dieser partiellen Ableitungen . Somit sind auf und ebenso auf den beiden anderen affinen Ausschnitten die Bedingungen aus Satz 2.7 erfüllt und die sind jeweils eine riemannsche Fläche. Auf passen die komplexen Strukturen zusammen, da der Satz über implizite Abbildungen eine eindeutige komplexe Struktur festlegt.
Die Kompaktheit ergibt sich aus Lemma 5.11.
Wir geben dazu zwei konkrete Korollare.
Zu ist die ebene projektive Kurve eine kompakte riemannsche Fläche.
Wir verwenden Satz 5.14. Die partiellen Ableitungen sind . Diese Ableitungen sind nur bei simultan gleich , doch diese Koordinaten repräsentieren keinen Puntk der projektiven Ebene und keinen Punkt der Kurve.
Solche Kurven nennt man Fermat-Kurven.
Es sei ein homogenes Polynom vom Grad , das in (homogen) verschiedene homogene Linearfaktoren der Form mit zerfalle.
Dann ist die durch die Gleichung gegebene projektive Kurve im eine kompakte riemannsche Fläche.
Wir verwenden Satz 5.14. Auf der offenen Menge erhält man die Gleichung , wobei als Polynom in der einen Variablen keine mehrfache Nullstelle besitzt. Die partiellen Ableitungen sind und . Wenn diese beiden in einem Punkt der Kurve verschwinden, so ist und damit , was wegen der Nullstellenbedingung nicht sein kann. Auf dem Komplement wird die Gleichung zu
mit einem Vorfaktor , woraus folgt. Es gibt also nur noch den weiteren Punkt mit den Koordinaten . Eine affine Umgebung dieses Punktes ist , die dehomogenisierte Version der Gleichung auf diesem Teilstück ist . Die partielle Ableitung nach ist mit . Im Nullpunkt, der dem Punkt entspricht, ist dies gleich , daher verschwinden dort ebenfalls nicht alle partiellen Ableitungen.