Kurs:Analysis (Osnabrück 2014-2016)/Teil II/Vorlesung 53/kontrolle
- Der Satz über implizite Abbildungen
Die Faser zu einem Punkt ist also einfach das Urbild von . Zu einem Punkt nennt man die Faser über auch die Faser durch . Bei sagt man statt Fasern auch Niveaumengen oder, insbesondere bei , auch Höhenlinien. In meteorologischen Kontexten spricht man von Isothermen oder von Isobaren.
Wir betrachten die Funktion
Da diese nur nichtnegative Werte annimmt, sind die Fasern zu leer. Die Faser zum Wert besteht aus dem einzigen Punkt . Die Faser zu einem positiven Wert ist
das ist der Kreis mit dem Radius . Zu jedem Punkt ist die Faser (oder die Niveaumenge) durch diesen Punkt also ein Kreis . Eine hinreichend kleine offene Ballumgebung von enthält nur einen Teil des Kreisbogens, der homöomorph zu einem offenen Intervall ist. Die differenzierbare Abbildung
(mit geeignet gewählten Intervallgrenzen) induziert dabei eine Homöomorphie zwischen und dem Kreisbogenausschnitt .
Es sei , , eine Funktion in einer Variablen. Dazu kann man die Funktion in zwei Variablen,
betrachten. Die Fasern von über sind durch
charakterisiert. D.h. die Faser über ist einfach der Graph der durch definierten Funktion. Alle Fasern gehen durch eine Verschiebung ineinander über, sie sind parallel zueinander. Die Punkte einer jeden Faser stehen in Bijektion mit der -Achse, indem nämlich auf abgebildet wird.
Der Satz über implizite Abbildungen wird zeigen, dass unter gewissen Differenzierbarkeitsvoraussetzungen die Fasern einer Abbildung sich lokal als Graphen von Abbildungen realisieren lassen.
Eine Abbildung mit
führt unmittelbar zu einem Gleichungssystem
Die Lösungsmenge eines solchen Gleichungssystems ist gerade die Faser über . Man kann sich fragen, wie zu gegebenem die Lösungsmenge aussieht, welche Struktur sie hat und wie sie sich mit verändert. Das „grobe Muster“ zeigt sich schon deutlich bei einem linearen Gleichungssystem in Variablen und Gleichungen. Dort sind bei
und wenn die Gleichungen linear unabhängig sind, die Lösungsmengen -dimensionale affine Untervektorräume des . Insbesondere sind alle Lösungsmengen gleich und besitzen die gleiche Dimension.
Das Bestimmen der Lösungsmengen ist im Allgemeinen sehr viel schwieriger als im linearen Fall und auch gar nicht effektiv durchführbar. Dennoch vermittelt die lineare Approximation durch das totale Differential den richtigen Ansatz für das Studium allgemeiner Fasern. Eine reichhaltige Strukturaussage über die Gestalt der Faser in einem Punkt ist nur dann zu erwarten, wenn das totale Differential in surjektiv ist. In diesem Fall ist der Kern des totalen Differentials, also die Lösungsmenge des durch diese lineare Abbildung gegebenen linearen Gleichungssystems, tangential an die Faser durch , und man kann auf hinreichend kleinen offenen Mengen eine Bijektion zwischen dem Kern und der Faser stiften.
Wir betrachten die Abbildung
Der Punkt gehört zur Faser über , was kann man über die Gestalt der Faser durch diesen Punkt sagen? Die partiellen Ableitungen sind
Im Nullpunkt ist dies , der Kern dieser linearen Abbildung ist somit . Die Gleichung
lässt sich sowohl nach als auch nach in gewissen Umgebungen der auflösen. Für muss sein. Für ist
bzw. (für )
Dabei konvergiert die Lösung
für gegen , die Lösung
divergiert hingegen für gegen . Daher liegt der Nullpunkt auf dem ersten „Lösungsstrang“, und in einer gewissen kleinen Umgebung des Nullpunktes wird die Faser vollständig durch den ersten Strang beschrieben (für gehen diese beiden Stränge ineinander über). Die Auflösung nach ist durch
gegeben. Hier treffen sich beide Stränge im Nullpunkt. Die Projektion der Faser auf die -Achse ist in keiner noch so kleinen Umgebung der eine Bijektion.
Die folgende Aussage heißt Satz über implizite Abbildungen.
Es sei offen und sei
eine stetig differenzierbare Abbildung. Es sei und es sei die Faser durch . Das totale Differential sei surjektiv.
Dann gibt es eine offene Menge , , eine offene Menge und eine stetig differenzierbare Abbildung
derart, dass ist und eine Bijektion
induziert.
Die Abbildung ist in jedem Punkt regulär und für das totale Differential von gilt
Es sei der Kern des totalen Differentials . Aufgrund der vorausgesetzten Surjektivität und der Dimensionsformel ist dies ein - dimensionaler Untervektorraum von . Durch einen Basiswechsel können wir annehmen, dass von den ersten Standardvektoren erzeugt ist (Der Unterraum wird dann bijektiv auf abgebildet). Es sei
die lineare Projektion auf und es sei
die zusammengesetzte Abbildung. Diese ist selbst stetig differenzierbar und das totale Differential davon im Punkt ist bijektiv, sodass wir darauf den Satz über die Umkehrabbildung anwenden können. Es gibt also offene Umgebungen , , und , , derart, dass die eingeschränkte Abbildung
bijektiv ist mit stetig differenzierbarer Umkehrabbildung. Für die offene Menge gibt es offene Mengen
mit
Wir können den Diffeomorphismus auf das (offene) Urbild von einschränken. Wir betrachten das kommutative Diagramm
bzw. die Einschränkung davon
Die Faser über
ist . Diese Menge steht über die horizontale Abbildung in Bijektion mit der Faser von über , also mit .
Wir betrachten nun die Abbildung
Es ist
sodass das Bild von in der Tat in landet. Die Injektivität von ist klar. Es sei nun . Dann ist
und daher ist
Also ist
im Bild von .
Die Abbildung
ist nach Konstruktion stetig differenzierbar und das totale Differential ist in jedem Punkt injektiv, da die Hintereinanderschaltung einer affin-linearen Injektion und eines Diffeomorphismus ist. Da in der Faser von über liegt, ist konstant. Nach der Kettenregel ist
Die Bedingung, dass das totale Differential surjektiv ist, kann man auch so ausdrücken, dass
ist und dass der Punkt
regulär
ist.
Den Satz über implizite Abbildungen kann man auch so formulieren: Es seien und endlichdimensionale reelle Vektorräume, offen und es sei eine stetig differenzierbare Abbildung. Es sei ein Punkt, in dem das totale Differential surjektiv sei, und es sei eine direkte Summenzerlegung von in Untervektorräume und (mit ) derart, dass und surjektiv (und damit bijektiv ist) ist (dadurch ist , aber nicht eindeutig festgelegt). Dann gibt es offene Mengen und mit und eine stetig differenzierbare Abbildung
derart, dass der Graph von , also
mit der Faser über , geschnitten mit , also
übereinstimmt. Sind auf und jeweils Basen fixiert mit Koordinaten bzw. ( und seien die Dimensionen von und ), so wird lokal die Faser durch den Graphen von Funktionen in den Variablen gegeben. Die Faser ist dann nach den Variablen „aufgelöst“, d.h. diese Koordinaten lassen sich unter der impliziten Bedingung, dass die Punkte zur Faser gehören sollen, explizit durch die anderen, frei wählbaren Koordinaten ausdrücken.
Definition Definition 53.7 ändern
Es seien und endlichdimensionale reelle Vektorräume, es sei offen und sei
eine stetig differenzierbare Abbildung. Es sei ein Punkt, in dem das totale Differential surjektiv sei, und sei die Faser von durch . Dann nennt man
den Tangentialraum an die Faser in .
Häufig wird auch der an angelegte affine Raum
als Tangentialraum bezeichnet. In diesem Sinne ist der Tangentialraum kein Untervektorraum von , da er nicht durch den Nullpunkt verlaufen muss, er ist aber die Verschiebung eines Untervektorraums. Solche Räume nennt man affin-lineare Unterräume. Sie besitzen eine sinnvoll definierte Dimension, nämlich die Dimension des zugehörigen Vektorraumes. Der Tangentialraum an einem regulären Punkt zu einer Abbildung besitzt die Dimension . Der Satz über implizite Abbildungen besagt, dass eine offene Teilmenge des Tangentialraumes an sich bijektiv und differenzierbar auf eine offene Umgebung von auf der Faser abbilden lässt. Der Tangentialraum ist also eine lineare Approximation der Faser.
Wir betrachten die differenzierbare Funktion
Die Jacobi-Matrix dieser Funktion ist
sodass die Funktion in jedem Punkt regulär ist und der Satz über implizite Abbildungen anwendbar ist. In diesem Fall kann man die Fasern auch direkt bestimmen. Die Bedingung
mit führt auf , sodass die Fasern der Abbildung die punktierten Geraden (d.h. ein Punkt ist rausgenommen) durch den Nullpunkt sind (außer der -Achse, auf der die Abbildung nicht definiert ist). Damit hat man explizit eine Auflösung der Faser nach gegeben. Dass die Fasern unter dieser Divisionsabbildung (punktierte) Geraden sind ist ein Ausdruck davon, dass man Brüche erweitern kann, ohne ihren Wert zu ändern.
Der Tangentialraum in wird nach der Definition durch den Kern der Jacobi-Matrix gegeben, und dieser wird durch den Vektor selbst aufgespannt. Der Tangentialraum an ist hier also die Gerade, die durch und den Nullpunkt definiert ist, und stimmt (bis auf den Nullpunkt) mit der Faser überein.
Wir betrachten die Abbildung
und knüpfen an Beispiel 50.4 an. Der einzige kritische Punkt ist , ansonsten ist die Abbildung in jedem Punkt regulär und daher lassen sich lokal die Fasern als Graphen beschreiben. Die Faser über besteht aus der durch gegebenen Geraden und der durch gegebenen Halbgeraden, die sich im kritischen Punkt senkrecht schneiden. Ansonsten sind die Fasern durch die Gleichung
mit einem , , bestimmt (für nichtpositives sind die Fasern leer). Wir schreiben diese Bedingung als und daher als
Wegen kann man dies zu auflösen und wegen zu
Die Faser besteht jeweils aus zwei Komponenten, die bzw. entsprechen.
- Fußnoten
- ↑ Dass man solche singulären Punkte in der Natur nur selten antrifft, liegt daran, dass das Höhenprofil der Erde nur endlich viele kritische Punkte und damit nur endlich viele Gipfel und Sattelpunkte besitzt. Es ist daher unwahrscheinlich, dass der Meeresspiegel genau auf der Höhe eines solchen kritischen Punktes liegt. Wenn man aber Ebbe und Flut betrachtet, so werden solche Punkte immer wieder durchlaufen.