Kurs:Funktionentheorie (Osnabrück 2023-2024)/Vorlesung 19



Das Residuum

Es sei

eine holomorphe Funktion auf einer punktierten Kreisscheibe. Es sei die Laurent-Entwicklung von . Dann nennt man den Koeffizienten das Residuum von in . Es wird mit bezeichnet.



Es sei und

eine auf einer punktierten offenen Umgebung von definierte holomorphe Funktion.

Dann gilt

wobei ein einfacher Umlaufweg um ist.

Dies ist ein Spezialfall von Satz 16.10.



Es sei eine offene Teilmenge und ein Punkt. Dann erfüllt das Residuum die folgenden Eigenschaften.

  1. Für eine holomorphe Funktion auf ist
  2. Es ist
  3. Für ist
  4. Die Abbildung

    ist - linear.

Dies ist in allen Fällen aus den Laurent-Reihen der Funktionen ablesbar, (4) ergibt sich aus Lemma 16.15.


Die folgende Charakterisierung wird manchmal auch als Definition für das Residuum verwendet, da man für sie nicht die Existenz der Laurent-Entwicklung voraussetzen muss.


Es sei eine offene Teilmenge, ein Punkt und sei eine holomorphe Funktion.

Dann ist das Residuum von in diejenige eindeutig bestimmte Zahl mit der Eigenschaft, dass lokal eine Stammfunktion besitzt.

Es sei

die Laurent-Entwicklung von in . Entsprechend ist

Die hintere Summe besitzt lokal nach Korollar 14.3 und nach Aufgabe 11.4 eine Stammfunktion. Daher besitzt wegen Beispiel 12.6 die Gesamtfunktion genau dann eine Stammfunktion, wenn der vordere Term gleich ist, also bei .



Es sei eine offene Teilmenge, ein Punkt und sei eine holomorphe Funktion.

Dann ist das Residuum von in genau dann gleich , wenn lokal in einer punktierten Umgebung von eine Stammfunktion besitzt.

Dies ist ein Spezialfall von Lemma 19.4.



Das Residuum einer meromorphen Funktion

Das Residuum zu einer holomorphen Funktion auf im Punkt ist insbesondere für jede auf definierte meromorphe Funktion definiert und besitzt dort gewisse zusätzliche Eigenschaften. Nach Aufgabe 17.4 ist

für ein mit einer holomorphen Funktion und das Residuum kann aus der Potenzreihe von abgelesen werden. Daher kann das Residuum auch mit der Ableitung berechnet werden.


Es sei eine meromorphe Funktion auf einer offenen Menge und sei ein Punkt. Es sei zumindest so groß wie die Polordnung von in und sei

mit einer holomorphen Funktion auf .

Dann ist

Wir schreiben

mit der holomorphen Funktion

Dann besitzt die Laurent-Reihe

und das Residuum von in ist gleich . Somit ist

nach Satz 8.16.


Zu einer nullstellenfreien differenzierbare Funktion nennt man die logarithmische Ableitung von , siehe Aufgabe 19.10 für den Grund für diese Bezeichnung.



Es sei eine meromorphe Funktion auf einer offenen Menge .

Dann ist die (Nullstellen)-Ordnung von in einem Punkt gleich

Wir können annehmen, es sei

die Laurent-Entwicklung von im Nullpunkt mit , d.h. ist die Ordnung von im Nullpunkt. Es ist dann

Der Ansatz

zeigt, dass die meromorphe Funktion mit beginnt und daher das Residuum besitzt.


Die vorstehende Aussage kann man auch als Korollar zu der folgenden Aussage erhalten.


Es sei eine meromorphe Funktion auf einer offenen Menge und es sei eine holomorphe Funktion auf .

Dann ist

Es sei die Ordnung von in . Dann ist

mit einer in holomorphen Funktion mit . Mit der Produktregel ist

Hierbei ist holomorph und daher kann man aus der rechten Seite direkt die Laurent-Reihe im Punkt ablesen, sie ist nämlich eine Potenzreihe. Daher ist das Residuum der linken Seite im Punkt gleich .



Es sei eine meromorphe Funktion auf einer offenen Menge .

Dann ist für

Dies folgt aus Lemma 19.8 mit der Funktion .


Beachte, dass in der vorstehenden Aussage eine Gleichheit von komplexen Zahlen ausgesprochen wird.



Das Residuum einer meromorphen Differentialform

Für eine meromorphe Differentialform

auf einer offenen Menge , die durch eine meromorphe Funktion auf gegeben ist (und die also außerhalb der Pole von eine holomorphe Differentialform ist), definiert man das Residuum in jedem Punkt durch das Residuum von . Entsprechend kann man das Residuum zu einer außerhalb von isolierten Punkten definierten holomorphen Differentialform in den isolierten Punkten definieren.



Es sei

eine holomorphe Abbildung mit für einen Punkt . Es sei eine offene Umgebung von und sei eine holomorphe Differentialform auf .

Dann gilt

Wir können und annehmen. Es sei

die Potenzreihe von mit und

die Laurent-Reihe von . Es geht, aufgrund der expliziten Beschreibung des Rückzuges in Lemma 11.15, um das Residuum der Funktion

bzw.

und es ist zu zeigen, dass daber der Koeffizient zu gleich ist. Wir betrachten die Situation für verschiedene Exponenten getrennt. Für besitzt die Funktion eine Stammfunktion, nämlich , daher ist das Residuum von diesen Summanden (bzw. von ) gleich . Für müssen wir das Residuum von

ausrechnen. Die invertierte Funktion zu ist von der Form , daher beginnt die Laurent-Reihe des gesamten Ausdruckes mit , und das Residuum ist .


Wir erwähnen noch einen weiteren Beweis.


Wegen liegt nach Korollar 5.3 lokal um eine biholomorphe Abbildung vor. Eine einfache Umrundung von wird daher auf die topologisch einfache Umrundung von abgebildet. Nach Lemma 19.2 und Lemma 12.8 ist somit


Hierbei haben wir verwendet, dass man mit dem Wegintegral zum Weg das Residuum ausrechnen kann, was wir aber noch nicht bewiesen haben. Es ist zwar ein bijektives Abbild der Standardumrundung ist, aber selbst keine Standardumrundung. In den folgenden Vorlesungen werden wir zeigen, dass man mit solchen topologisch deformierten Wegen ebenfalls die relevanten Wegintegrale ausrechnen kann. Wir erwähnen einen weiteren Satz, den wir vollständig erst nach einigen topologischen Vorbereitungen mit dem Residuuensatz beweisen können. Zur Formulierung verwenden wir die Sprache der exakten Komplexe. Man sagt, dass eine (endliche oder unendliche) Folge

von Vektorräumen (oder kommutativen Gruppen oder Moduln über einem kommutativen Ring) und linearen Abbildungen ein exakter Komplex ist, wenn

für alle (als Unterräume von ) ist. In der folgenden Aussage wird der -Vektorraum der holomorphen Funktionen auf einer offenen Menge , hier mit bezeichnet, mittels der Ableitung auf den Vektorraum der holomorphen Differentialformen auf , bezeichnet mit , abgebildet. Ferner werden die Residuen der holomorphen Differentialformen in isolierten Punkten ausgewertet.



Es sei ein sternförmiges Gebiet, es seien Punkte und .

Dann ist der Komplex

exakt. Insbesondere ist der Restklassenraum der holomorphen Differentialformen modulo der exakten Differentialformen isomorph zu .

Beweis

Die Abbildungen sind nach

Lemma 11.2  (4) und Lemma 19.3  (4) - linear. Da selbst ein Gebiet ist, stimmen die konstanten Funktionen mit den Funktionen überein, deren Ableitung gleich ist. Deshalb ist der Komplex in exakt. Die Surjektivität hinten ist klar, da die auf holomorphe Differentialform auf das Residuentupel abbildet.

Es sei eine holomorphe Funktion auf gegeben, und es sei die Laurent-Reihe von in . Die zugehörige Differentialform

besitzt dann in eine Laurent-Reihe mit verschwindendem Residuum. Es sei nun umgekehrt eine holomorphe Differentialform auf , deren Residuen in den Punkten gleich seien. Dies bedeutet nach Korollar 19.5, dass es zu jedem Punkt eine offene Umgebung

gibt, auf der eine Stammfunktion besitzt. Es ist aber im Moment noch nicht klar, warum es auf ganz eine Stammfunktion geben muss.



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