Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2019-2020)/Teil II/Vorlesung 44

Auch mit dem Ball spielt sie gern.




Bilinearformen

Reelle Skalarprodukte sind positiv definite symmetrische Bilinearformen. In dieser Vorlesung besprechen wir Bilinearformen allgemein. Neben Skalarprodukten sind die Minkowski-Formen, mit denen man die spezielle Relativitätstheorie beschreiben kann, und die Hesse-Formen wichtig, die in der höherdimensionalen Analysis betrachtet werden, um Extrema von Funktionen in mehreren Variablen zu bestimmen, siehe die folgenden Vorlesungen.


Es sei ein Körper und ein - Vektorraum. Eine Abbildung

heißt Bilinearform, wenn für alle die induzierten Abbildungen

und für alle die induzierten Abbildungen

- linear sind.

Bilinear bedeutet einfach multilinear in zwei Komponenten, diese Eigenschaft haben wir schon im Zusammenhang mit Determinanten kennengelernt. Ein extremes Beispiel ist die Nullform, die jedem Paar den Nullwert zuordnet. Es ist einfach, eine Vielzahl von Bilinearformen auf dem anzugeben.


Es sei und seien für fixiert. Dann ist die Zuordnung

eine Bilinearform. Bei

für alle ist dies die Nullform; bei

liegt das Standardskalarprodukt vor (wobei der Ausdruck für jeden Körper einen Sinn ergibt, aber die Eigenschaft, positiv definit zu sein, gegenstandslos ist). Bei und

spricht man von einer Minkowski-Form. Bei und

handelt es sich um die Determinante im zweidimensionalen Fall.




Die Gramsche Matrix

Es sei ein Körper, ein endlichdimensionaler - Vektorraum und eine Bilinearform auf . Es sei eine Basis von . Dann heißt die - Matrix

die Gramsche Matrix von bezüglich dieser Basis.

In Beispiel 44.2 bildet die Gramsche Matrix bezüglich der Standardbasis des . Wenn die Gramsche Matrix zu einer Bilinearform bezüglich einer Basis gegeben ist, so kann man daraus für beliebige Vektoren berechnen. Man schreibt und und erhält mit dem allgemeinen Distributivgesetz

Man erhält also den Wert der Bilinearform an zwei Vektoren, indem man die Gramsche Matrix auf das Koordinatentupel des zweiten Vektors anwendet und das Ergebnis (ein Spaltenvektor) mit dem Koordinatentupel des ersten Vektors als Zeilentupel von links multipliziert. Kurz und etwas ungenau ist also



Es sei ein Körper, ein endlichdimensionaler - Vektorraum und eine Bilinearform auf . Es seien und zwei Basen von und es seien bzw. die Gramschen Matrizen von bezüglich dieser Basen. Zwischen den Basiselementen gelte die Beziehungen

die wir durch die Übergangsmatrix ausdrücken.

Dann besteht zwischen den Gramschen Matrizen die Beziehung

Es ist




Symmetrische Bilinearformen

Es sei ein Körper, ein - Vektorraum und eine Bilinearform auf . Die Bilinearform heißt symmetrisch, wenn

für alle gilt.


Es sei ein Körper, ein - Vektorraum und eine symmetrische Bilinearform auf . Zwei Vektoren heißen orthogonal, wenn

ist.


Es sei ein Körper, ein - Vektorraum und eine symmetrische Bilinearform auf . Eine Basis , von heißt Orthogonalbasis, wenn

für alle

ist.

Für eine symmetrische Bilinearform ist es durchaus möglich, dass, anders als bei Skalarprodukten, ein von verschiedener Vektor zu sich selbst orthogonal ist. Es kann auch, im ausgearteten Fall, von verschiedene Vektoren geben, die orthogonal zu allen Vektoren sind. Wie im Fall eines Skalarproduktes gibt es Orthogonalbasen.



Es sei ein Körper, ein endlichdimensionaler - Vektorraum und eine symmetrische Bilinearform auf .

Dann besitzt eine Orthogonalbasis.

Beweis

Siehe Aufgabe 44.9.




Definitheit von Bilinearformen

Wir möchten die symmetrischen Bilinearformen über den reellen Zahlen klassifizieren.[1] Dabei spielen die Skalarprodukte als Extremfall eine Schlüsselrolle.


Es sei ein reeller Vektorraum mit einer symmetrischen Bilinearform . Diese Bilinearform heißt

  1. positiv definit, wenn für alle , ist.
  2. negativ definit, wenn für alle , ist.
  3. positiv semidefinit, wenn für alle ist.
  4. negativ semidefinit, wenn für alle ist.
  5. indefinit, wenn weder positiv semidefinit noch negativ semidefinit ist.

Positiv definite symmetrische Bilinearformen sind genau die reellen Skalarprodukte. Eine indefinite Form liegt vor, wenn es Vektoren und mit und gibt. Die Nullform ist zugleich positiv semidefinit und negativ semidefinit, aber weder positiv definit noch negativ definit (außer auf dem Nullraum).

Eine Bilinearform auf kann man auf einen Untervektorraum einschränken, wodurch sich eine Bilinearform auf ergibt. Wenn die ursprüngliche Form positiv definit ist, so überträgt sich dies auf die Einschränkung. Allerdings kann eine beliebige Form eingeschränkt auf gewisse Unterräume positiv definit werden und auf andere negativ definit. Dies führt zu folgender Definition.


Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum mit einer symmetrischen Bilinearform . Man sagt, dass eine solche Bilinearform den Typ

besitzt, wobei

und

ist.

Bei einem Skalarprodukt auf einem -dimensionalen reellen Vektorraum ist der Typ . Nach Aufgabe 44.11 ist stets

Die Matrix

ist die Gramsche Matrix zu einer symmetrischen Bilinearform auf dem , sagen wir bezüglich der Standardbasis. Die Einschränkung der Form auf ist positiv definit, die Einschränkung auf ist negativ definit, die Einschränkung auf ist die Nullform. Daher sind , es ist aber nicht unmittelbar klar, ob es nicht auch zweidimensionale Untervektorräume geben könnte, auf denen die Einschränkung positiv definit ist. Eine Untersuchung „aller“ Untervektorräume, wie es die Definition verlangt, scheint aussichtslos. Es gibt aber mehrere Möglichkeiten, den Typ einer symmetrischen Bilinearform zu bestimmen, ohne alle Untervektorräume von zu überblicken. Die folgende Aussage nennt man den Trägheitssatz von Sylvester.



Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum mit einer symmetrischen Bilinearform vom Typ .

Dann ist die Gramsche Matrix von bezüglich einer jeden Orthogonalbasis eine Diagonalmatrix mit positiven und negativen Einträgen.


Indem man die Orthogonalvektoren umskaliert, kann man erreichen, dass in der Diagonalen nur die Werte vorkommen. Die auf dem durch die Diagonalmatrix mit Einsen, Minuseinsen und Nullen gegebene Form zeigt, dass jeder Typ, der

erfüllt, realisiert werden kann. Man spricht von der Standardform zum Typ auf dem .



Typkriterien für symmetrische Bilinearformen

Es gibt mehrere Methoden, den Typ einer symmetrischen Bilinearform zu bestimmen, wobei der Sylvestersche Trägheitssatz eine erste Möglichkeit ist, die aber den Nachteil hat, dass man eine Orthogonalbasis bestimmen muss. Wir besprechen das Minorenkriterium und das Eigenwertkriterium. Unter einem Minor versteht man die Determinante einer quadratischen Untermatrix einer Matrix. Man könnte also bei dem folgenden Kriterium genauso gut von einem Determinantenkriterium sprechen.



Es sei eine symmetrische Bilinearform auf einem endlichdimensionalen reellen Vektorraum und sei eine Basis von . Es sei die Gramsche Matrix zu bezüglich dieser Basis. Die Determinanten der quadratischen Untermatrizen

seien für von verschieden. Es sei die Anzahl der Vorzeichenwechsel in der Folge

Dann ist vom Typ .



Es sei eine symmetrische Bilinearform auf einem endlichdimensionalen reellen Vektorraum und sei eine Basis von . Es sei die Gramsche Matrix zu bezüglich dieser Basis und es seien die Determinanten der quadratischen Untermatrizen

Dann gelten folgende Aussagen.
  1. Genau dann ist positiv definit, wenn alle positiv sind.
  2. Genau dann ist negativ definit, wenn das Vorzeichen in der Folge an jeder Stelle wechselt.


Wir erwähnen noch das folgende Eigenwertkriterium.


Es sei eine symmetrische Bilinearform auf einem endlichdimensionalen reellen Vektorraum und sei eine Basis von . Es sei die Gramsche Matrix zu bezüglich dieser Basis.

Dann besitzt der Typ der Form folgende Interpretation: ist die Summe der Dimensionen der Eigenräume zu zu positiven Eigenwerten und ist die Summe der Dimensionen der Eigenräume zu zu negativen Eigenwerten.



Fußnoten
  1. Unter einer Klassifikation versteht man in der Mathematik, eine Menge an mathematischen Objekten vollständig und übersichtlich zu beschreiben, Kriterien anzugeben, wann zwei Objekte im Wesentlichen gleich (oder äquivalent) sind und die verschiedenen Objekte durch numerische Invariante zu erfassen und für die Objekte möglichst einfache Vertreter anzugeben. Beispielsweise werden endlichdimensionale Vektorräume durch ihre Dimension klassifiziert, gleichdimensionale Vektorräume sind zueinander isomorph. Lineare Abbildungen von in sich werden über die jordansche Normalform klassifiziert. Die entscheidende Frage ist hierbei, welche Jordanblöcke mit welcher Länge und zu welchen Eigenwerten wie oft vorkommen? Hier besprechen wir den Typ einer reell-symmetrischen Bilinearform. Andere Klassifikationsresultate in der linearen Algebra beziehen sich auf quadratische Formen und auf endliche Bewegungsgruppen im Raum.


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