Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2020-2021)/Teil II/Vorlesung 44
- Bilinearformen
Reelle Skalarprodukte sind positiv definite symmetrische Bilinearformen. In dieser Vorlesung besprechen wir Bilinearformen allgemein. Neben Skalarprodukten sind die Minkowski-Formen, mit denen man die spezielle Relativitätstheorie beschreiben kann, und die Hesse-Formen wichtig, die in der höherdimensionalen Analysis betrachtet werden, um Extrema von Funktionen in mehreren Variablen zu bestimmen, siehe die folgenden Vorlesungen.
Es sei ein Körper und ein - Vektorraum. Eine Abbildung
heißt Bilinearform, wenn für alle die induzierten Abbildungen
und für alle die induzierten Abbildungen
- linear sind.
Bilinear bedeutet einfach multilinear in zwei Komponenten, diese Eigenschaft haben wir schon im Zusammenhang mit Determinanten kennengelernt. Ein extremes Beispiel ist die Nullform, die jedem Paar den Nullwert zuordnet. Es ist einfach, eine Vielzahl von Bilinearformen auf dem anzugeben.
Sei und seien für fixiert. Dann ist die Zuordnung
eine Bilinearform. Bei
für alle ist dies die Nullform; bei
liegt das Standardskalarprodukt vor (wobei der Ausdruck für jeden Körper einen Sinn ergibt, aber die Eigenschaft, positiv definit zu sein, gegenstandslos ist). Bei und
spricht man von einer Minkowski-Form. Bei und
handelt es sich um die Determinante im zweidimensionalen Fall.
- Die Gramsche Matrix
Es sei ein Körper, ein endlichdimensionaler - Vektorraum und eine Bilinearform auf . Es sei eine Basis von . Dann heißt die - Matrix
die Gramsche Matrix von bezüglich dieser Basis.
In Beispiel 44.2 bildet die Gramsche Matrix der Bilinearform bezüglich der Standardbasis des , im Fall des Standardskalarproduktes ist das die Einheitsmatrix. Wenn die Gramsche Matrix zu einer Bilinearform bezüglich einer Basis gegeben ist, so kann man daraus für beliebige Vektoren berechnen. Man schreibt und und erhält mit dem allgemeinen Distributivgesetz (siehe Aufgabe 44.26)
Man erhält also den Wert der Bilinearform an zwei Vektoren, indem man die Gramsche Matrix auf das Koordinatentupel des zweiten Vektors anwendet und das Ergebnis (ein Spaltenvektor) mit dem Koordinatentupel des ersten Vektors als Zeilentupel von links multipliziert. Kurz und etwas ungenau ist also
Es sei ein Körper, ein endlichdimensionaler - Vektorraum und eine Bilinearform auf . Es seien und zwei Basen von und es seien bzw. die Gramschen Matrizen von bezüglich dieser Basen. Zwischen den Basiselementen gelte die Beziehungen
die wir durch die Übergangsmatrix ausdrücken.
Dann besteht zwischen den Gramschen Matrizen die Beziehung
Es ist
- Symmetrische Bilinearformen
Es sei ein Körper, ein - Vektorraum und eine Bilinearform auf . Die Bilinearform heißt symmetrisch, wenn
für alle gilt.
Es sei ein Körper, ein - Vektorraum und eine symmetrische Bilinearform auf . Zwei Vektoren heißen orthogonal, wenn
ist.
Es sei ein Körper, ein - Vektorraum und eine symmetrische Bilinearform auf . Eine Basis , von heißt Orthogonalbasis, wenn
für alle
ist.
Für eine symmetrische Bilinearform ist es durchaus möglich, dass, anders als bei Skalarprodukten, ein von verschiedener Vektor zu sich selbst orthogonal ist. Es kann auch, im ausgearteten Fall, von verschiedene Vektoren geben, die orthogonal zu allen Vektoren sind. Wie im Fall eines Skalarproduktes gibt es Orthogonalbasen.
Es sei ein Körper, ein endlichdimensionaler - Vektorraum und eine symmetrische Bilinearform auf .
Dann besitzt eine Orthogonalbasis.
Beweis
- Definitheit von Bilinearformen
Wir möchten die symmetrischen Bilinearformen über den reellen Zahlen klassifizieren.[1] Dabei spielen die Skalarprodukte als Extremfall eine Schlüsselrolle.
Es sei ein reeller Vektorraum mit einer symmetrischen Bilinearform . Diese Bilinearform heißt
- positiv definit, wenn für alle , ist.
- negativ definit, wenn für alle , ist.
- positiv semidefinit, wenn für alle ist.
- negativ semidefinit, wenn für alle ist.
- indefinit, wenn weder positiv semidefinit noch negativ semidefinit ist.
Positiv definite symmetrische Bilinearformen sind genau die reellen Skalarprodukte. Eine indefinite Form liegt vor, wenn es Vektoren und mit und gibt. Die Nullform ist zugleich positiv semidefinit und negativ semidefinit, aber weder positiv definit noch negativ definit (außer auf dem Nullraum).
Eine Bilinearform auf kann man auf einen Untervektorraum einschränken, wodurch sich eine Bilinearform auf ergibt. Wenn die ursprüngliche Form positiv definit ist, so überträgt sich dies auf die Einschränkung. Allerdings kann eine beliebige Form eingeschränkt auf gewisse Unterräume positiv definit werden und auf andere negativ definit. Dies führt zu folgender Definition.
Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum mit einer symmetrischen Bilinearform . Man sagt, dass eine solche Bilinearform den Typ
besitzt, wobei
und
ist.
Bei einem Skalarprodukt auf einem -dimensionalen reellen Vektorraum ist der Typ . Nach Aufgabe 44.11 ist stets
Die Matrix
ist die Gramsche Matrix zu einer symmetrischen Bilinearform auf dem , sagen wir bezüglich der Standardbasis. Die Einschränkung der Form auf ist positiv definit, die Einschränkung auf ist negativ definit, die Einschränkung auf ist die Nullform. Daher sind , es ist aber nicht unmittelbar klar, ob es nicht auch zweidimensionale Untervektorräume geben könnte, auf denen die Einschränkung positiv definit ist. Eine Untersuchung „aller“ Untervektorräume, wie es die Definition verlangt, scheint aussichtslos. Es gibt aber mehrere Möglichkeiten, den Typ einer symmetrischen Bilinearform zu bestimmen, ohne alle Untervektorräume von zu überblicken. Die folgende Aussage nennt man den Trägheitssatz von Sylvester.
Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum mit einer symmetrischen Bilinearform vom Typ .
Dann ist die Gramsche Matrix von bezüglich einer jeden Orthogonalbasis eine Diagonalmatrix mit positiven und negativen Einträgen.
Bezüglich einer Orthogonalbasis von (die es nach Fakt ***** gibt) hat die Gramsche Matrix natürlich Diagonalgestalt. Es sei die Anzahl der positiven Diagonaleinträge und die Anzahl der negativen Diagonaleinträge. Die Basis sei so geordnet, dass die ersten Diagonaleinträge positiv, die folgenden Diagonaleinträge negativ und die übrigen seien. Auf dem -dimensionalen Unterraum ist die eingeschränkte Bilinearform positiv definit, sodass gilt. Sei , auf diesem Unterraum ist die Bilinearform negativ semidefinit. Dabei ist , und diese beiden Räume sind orthogonal zueinander.
Angenommen, es gebe einen Unterraum , auf dem die Bilinearform positiv definit ist, und dessen Dimension größer als ist. Die Dimension von ist und daher ist nach Fakt *****.
Für einen Vektor , , ergibt sich aber direkt der Widerspruch und .
Indem man die Orthogonalvektoren umskaliert, kann man erreichen, dass in der Diagonalen nur die Werte vorkommen. Die auf dem durch die Diagonalmatrix mit Einsen, Minuseinsen und Nullen gegebene Form zeigt, dass jeder Typ, der
erfüllt, realisiert werden kann. Man spricht von der Standardform zum Typ auf dem .
- Typkriterien für symmetrische Bilinearformen
Es gibt mehrere Methoden, den Typ einer symmetrischen Bilinearform zu bestimmen, wobei der Sylvestersche Trägheitssatz eine erste Möglichkeit ist, die aber den Nachteil hat, dass man eine Orthogonalbasis bestimmen muss. Wir besprechen das Minorenkriterium und das Eigenwertkriterium. Unter einem Minor versteht man die Determinante einer quadratischen Untermatrix einer Matrix. Man könnte also bei dem folgenden Kriterium genauso gut von einem Determinantenkriterium sprechen.
Es sei eine symmetrische Bilinearform auf einem endlichdimensionalen reellen Vektorraum und sei eine Basis von . Es sei die Gramsche Matrix zu bezüglich dieser Basis. Die Determinanten der quadratischen Untermatrizen
seien für von verschieden. Es sei die Anzahl der Vorzeichenwechsel in der Folge
Dann ist vom Typ .
Da nach Voraussetzung insbesondere die Determinante der Gramschen Matrix nicht ist, ist nach Aufgabe ***** die Bilinearform nicht ausgeartet und daher hat der Typ die Form . Wir müssen zeigen, dass ist. Wir beweisen die Aussage durch Induktion über die Dimension von , wobei der Induktionsanfang trivial ist. Die Aussage sei bis zur Dimension bewiesen und es liege ein -dimensionaler Raum mit einer Basis mit den angegebenen Eigenschaften vor. Der Untervektorraum
hat die Dimension und die Folge der Determinanten der Untermatrizen der Gramschen Matrix zur eingeschränkten Form stimmt mit der vorgegebenen Folge überein, wobei lediglich das letzte Glied
weggelassen wird. Nach Induktionsvoraussetzung besitzt den Typ , wobei die Anzahl der Vorzeichenwechsel in der Folge
ist. Aufgrund der Definition des Typs ist
da ein -dimensionaler Untervektorraum , auf dem die Bilinearform negativ definit ist, zu einem Untervektorraum
führt, der die Dimension oder besitzt und auf dem die eingeschränkte Form ebenfalls negativ definit ist. Nach Aufgabe ***** ist das Vorzeichen von gleich und das Vorzeichen von gleich . Das bedeutet, dass zwischen und ein zusätzlicher Vorzeichenwechsel (und somit ) genau dann vorliegt, wenn
ist.
Es sei eine symmetrische Bilinearform auf einem endlichdimensionalen reellen Vektorraum und sei eine Basis von . Es sei die Gramsche Matrix zu bezüglich dieser Basis und es seien die Determinanten der quadratischen Untermatrizen
- Genau dann ist positiv definit, wenn alle positiv sind.
- Genau dann ist negativ definit, wenn das Vorzeichen in der Folge an jeder Stelle wechselt.
(1). Wenn die Bilinearform
positiv definit
ist, so ist nach
Aufgabe *****
das Vorzeichen der
Determinante
der
Gramschen Matrix
gleich
,
also positiv. Da die Einschränkung der Form auf die Unterräume
ebenfalls positiv definit ist, sind auch die Determinanten zu den Untermatrizen positiv.
Wenn umgekehrt die Determinanten alle positiv sind, so folgt aus
Fakt *****, dass die Bilinearform positiv definit ist.
(2) folgt aus (1), indem man die negative Bilinearform, also , betrachtet.
Wir erwähnen noch das folgende Eigenwertkriterium.
Es sei eine symmetrische Bilinearform auf einem endlichdimensionalen reellen Vektorraum und sei eine Basis von . Es sei die Gramsche Matrix zu bezüglich dieser Basis.
Dann besitzt der Typ der Form folgende Interpretation: ist die Summe der Dimensionen der Eigenräume zu zu positiven Eigenwerten und ist die Summe der Dimensionen der Eigenräume zu zu negativen Eigenwerten.
- Fußnoten
- ↑ Unter einer Klassifikation versteht man in der Mathematik, eine Menge an mathematischen Objekten vollständig und übersichtlich zu beschreiben, Kriterien anzugeben, wann zwei Objekte im Wesentlichen gleich (oder äquivalent) sind und die verschiedenen Objekte durch numerische Invariante zu erfassen und für die Objekte möglichst einfache Vertreter anzugeben. Beispielsweise werden endlichdimensionale Vektorräume durch ihre Dimension klassifiziert, gleichdimensionale Vektorräume sind zueinander isomorph. Lineare Abbildungen von in sich werden über die jordansche Normalform klassifiziert. Die entscheidende Frage ist hierbei, welche Jordanblöcke mit welcher Länge und zu welchen Eigenwerten wie oft vorkommen? Hier besprechen wir den Typ einer reell-symmetrischen Bilinearform. Andere Klassifikationsresultate in der linearen Algebra beziehen sich auf quadratische Formen und auf endliche Bewegungsgruppen im Raum.
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