Kurs:Singularitätentheorie (Osnabrück 2019)/Vorlesung 22



Schnittverhalten von Untervarietäten

In einem -dimensionalen Vektorraum mit Untervektorräumen der Dimension bzw. ist nach Korollar 9.8 (Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025)) der Durchschnitt ein Untervektorraum, dessen Dimension zumindest ist (die Kodimension des Durchschnittes ist also höchstens die Summe der beiden Kodimensionen). Wenn die Untervektorräume hinreichend generisch gewählt sind, so ist diese Dimension genau . Wir fragen uns, ob die Dimensionen sich entsprechend verhalten, wenn man nicht den Durchschnitt von Untervektorräumen, sondern den Durchschnitt von abgeschlossenen Untervarietäten in einer Varietät betrachtet. Wenn beispielsweise zweidimensional (eine Fläche) ist, und und eindimensional sind (Kurven), so besteht der Durchschnitt aus einzelnen Punkten (er kann generell auch leer sein), es sei denn, die beiden Kurven haben eine gemeinsame irreduzible Komponente. Für verschiedene irreduzible Kurven besteht der Durchschnitt aus einzelnen Punkten und die Dimensionen verhalten sich wie im linearen Kontext. Man braucht keine weitere Bedingung an die Fläche stellen. Im Allgemeinen hängt das Dimensionsverhalten aber von den Singularitäten der umgebenden Varietät , wie das folgende Beispiel zeigt.


Es sei ein Körper. Im Polynomring betrachten wir die Primideale . Hierbei ist ein Primhauptideal und hat die Höhe und und sind Primideale der Höhe . Die zugehörigen Varietäten und sind affine Ebenen im und haben die Dimension . Wir betrachten die entsprechende Situation im Restklassenring

der die Dimension besitzt. Die Dimensionen der beiden Primideale bzw. der dadurch definierten Ebenen sind nach wie vor , allerdings ist ihre Höhe bzw. Kodimension jetzt . Der Durchschnitt dieser beiden Ebenen ist

also einfach ein Punkt der Kodimension . Der Ring mit den beiden Untervarietäten und liefert also ein Beispiel, das zeigt, dass die Summe der Kodimensionen von Untervarietäten kleiner als die Kodimension ihres Schnittes sein kann. Dabei sind die Untervarietäten glatt, die Gesamtvarietät ist aber eine isolierte Hyperflächensingularität.


Über den reellen Zahlen gilt das erwähnte Dimensionsverhalten noch nicht einmal im , wie das folgende Beispiel zeigt.


Im betrachten wir die Ebene und das Paraboloid . Der Durchschnitt besteht allein aus dem Nullpunkt. Das bedeutet, dass der Durchschnitt der beiden Flächen, die jeweils die Kodimension haben, die Kodimension besitzt. Allerdings sieht diese Berechnung anders aus, wenn man die Krulldimensionen der Ringe und nicht die „sichtbaren“ reellen Punkte betrachtet. Es ist

und der zugehörige Koordinatenring des Durchschnittes ist , der eindimensional ist.


Für einen glatten Punkt über einem algebraisch abgeschlossenen Körper gilt hingegen die Verallgemeinerung des erwähnten linearen Schnittverhaltens. Um dies zu zeigen bedarf es einiger Vorbereitungen. Das erste Lemma macht eine Aussage, wenn eine der beteiligten Untervarietäten geometrisch durch die minimal mögliche Anzahl von Gleichungen beschrieben wird (man spricht von einem lokal geometrisch vollständigen Durchschnitt). Im vorstehenden Beispiel können die beiden Flächen nicht durch eine Gleichung beschrieben werden.


Es sei ein algebraisch abgeschlossener Körper, es sei eine Varietät über und affin-algebraische Teilmengen mit irreduzibel. Es sei ein Punkt und das zugehörige Primideal zu im lokalen Ring . Es sei die Höhe von und es gebe Elemente mit

Dann erfüllt jede Komponente des Durchschnittes die Dimensionseigenschaft

Ohne Einschränkung sei ebenfalls irreduzibel und entspreche einem Primideal der Höhe . Es sei mit einem Primideal der Höhe , das minimal über ist. Wegen Korollar 19.6 ist zu zeigen. In ist minimal über

Nach Satz 18.7 ist dort die Höhe von höchstens . Zurückübersetzt nach bedeutet dies



Es sei ein algebraisch abgeschlossener Körper, es seien und affine Varietäten und glatte Punkte.

Dann ist ein glatter Punkt der Produktvarietät .

Es sei wobei durch die Polynome auf dem affinen Raum beschrieben werde, deren Jacobimatrix im Punkt einen Rang besitze. Entsprechend sei wobei durch die Polynome auf dem affinen Raum beschrieben werde, deren Jacobimatrix im Punkt einen Rang besitze. Dann beschreiben die Polynome

(wobei die nur von den vorderen und die nur von den hinteren Variablen abhängen) die Produktvarietät . Die Jacobimatrix zu ist eine Blockmatrix, deshalb ist ihr Rang gleich der Summe der Einzelränge und insbesondere . Die Dimension von ist nach Satz 20.8 gleich , daher erfüllen insgesamt die Rangbedingung und ist ein glatter Punkt.


Unsere weitere Beweisstrategie läuft unter dem Stichwort Reduktion zur Diagonalen. Damit ist folgendes gemeint. Zu einer beliebigen Menge nennt man die Teilmenge

die Diagonale. Es gibt eine natürliche Bijektion

Wenn ein topologischer Raum (Mannigfaltigkeit, Varietät) ist, so ist dies häufig eine abgeschlossene Einbettung und und haben die gleichen Eigenschaften. Zu Teilmengen ergibt sich eine natürliche Bijektion zwischen einerseits und andererseits. Insofern kann man Eigenschaften des Durchschnittes dadurch verstehen, dass man Eigenschaften des Durchschnittes versteht. Der Vorteil hierbei ist, dass die Diagonale häufig schönere Eigenschaften als eine beliebige Teilmenge besitzt. Zunächst halten wir fest, dass die Diagonale isomorph zu selbst ist.


Es sei ein Körper und sei eine affin-algebraische Menge über .

Dann ist die Diagonale

eine abgeschlossene Einbettung.

Insbesondere ist das Bild der Diagonalen homöomoph zu .

Beweis

Siehe Aufgabe 22.7.



Es sei ein kommutativer Ring, ein Ideal und ein multiplikatives System. In der Nenneraufnahme gelte

Dann gibt es ein und Elemente mit

Beweis

Siehe Aufgabe 22.11.

Es sei ein algebraisch abgeschlossener Körper und sei eine affine Varietät der Dimension . Es sei ein glatter Punkt.

Dann wird die Diagonale im Punkt lokal durch Funktionen auf beschrieben.

Es sei der Koordinatenring von und sei das maximale Ideale zu in . Im lokalen Ring gibt es nach Voraussetzung und Satz 21.6 eine Beschreibung der Form . Wir können nach Lemma 22.6 verkleinern, d.h. zu einer affinen offenen Teilmenge

übergehen und dann annehmen, dass und dort bereits gilt. Es ist nach Lemma 20.2 und Lemma 20.4 der Koordinatenring des Produktes . Wir betrachten die Funktionen

diese Funktionen wirken auf durch

Bezüglich der Einbettung (vergleiche Lemma 20.6)

erhält man durch einschränken aus den die zurück. Da die modulo linear unabhängig sind, gilt dies auch für modulo .


Für die Diagonale ist offenbar

Der Punkt ist in nach Lemma 22.4 ein glatter Punkt und damit ist der lokale Ring regulär nach Satz 21.6. Seine Dimension ist nach Satz 20.8. Nach Lemma 21.4 ist regulär der Dimension . Insbesondere ist nach Satz 21.5 ein Primideal in der Dimension und daher muss gelten.



Es sei ein algebraisch abgeschlossener Körper und eine affine Varietät über der Dimension . Es sei ein glatter Punkt und Untervarietäten der Dimension bzw. .

Dann besitzt jede Komponente des Durchschnitts im Punkt eine Dimension .

Wir betrachten die Diagonaleinbettung

das Bild sei mit bezeichnet. Es liegt dadurch nach Lemma 22.5 ein Isomorphismus (insbesondere ein Homöomorphismus) von Varietäten vor. Unter diesem Isomorphismus entsprechen sich die Mengen und , wobei rechts das Produkt in natürlicher Weise als abgeschlossene Untervarietät von aufgefasst wird. Damit entsprechen sich auch die Komponenten des Schnittes im Punkt und die Komponenten des Schnittes im Punkt . Nach Satz 20.8 besitzt die Dimension . Nach Lemma 22.7 wird im Punkt lokal durch Funktionen beschrieben. Nach Lemma 22.3 ist daher



Es sei ein algebraisch abgeschlossener Körper und seien abgeschlossene Untervarietäten der Dimension bzw. .

Dann besitzt jede Komponente des Durchschnitts eine Dimension .

Dies ist ein Spezialfall von Satz 22.8.



Es sei ein algebraisch abgeschlossener Körper, sei eine abgeschlossene Untervarietät und ein Punkt der lokalen Dimension .

Dann besitzt jede irreduzible Komponente durch des Durchschnittes von mit jedem linearen Unterraum der Dimension eine Dimension ( ist also kein isolierter Punkt des Durchschnittes), und es gibt lineare Unterräume der Dimension durch , deren Durchschnitt mit den Punkt isolieren.

Die erste Aussage folgt aus Satz 22.9. Für die andere Richtung verwenden wir Induktion über , wobei die Aussage bei klar ist. Wenn der ganze Raum ist, so ist die Aussage ebenfalls wahr, da dann der Durchschnitt mit dem nulldimensionalen Raum den Punkt selbst herausschneidet. Es sei also nicht der ganze Raum und . Wir können annehmen, dass jede irreduzible Komponente von durch den Punkt verläuft. Für eine Hyperebene durch und gilt, dass der Durchschnitt eine Dimension besitzt, die kleiner als die Dimension von ist, da dies für jede Komponente gilt. Die Induktionsvoraussetzung, angewendet auf , liefert die Behauptung.


Die vorstehende Aussage ermöglicht eine weitere Definition für die Dimension einer affinen Varietät

nämlich als

Man betrachte unter diesem Aspekt Aufgabe 5.7, Aufgabe 5.8, Aufgabe 5.9, Aufgabe 5.12 und Aufgabe 5.20.


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