Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2011-2012)/Teil II/Vorlesung 51
- Der Satz über die Umkehrabbildung
Es sei ein reelles Intervall und
eine stetig differenzierbare Funktion mit in einem Punkt . Nehmen wir an es gelte . Da die Ableitung stetig ist, gibt es auch ein offenes Intervall derart, dass für alle ist. Aufgrund von Satz 20.7 (2) ist somit auf streng wachsend. Daher ist insbesondere auf injektiv. Das Bild ist nach dem Zwischenwertsatz ein Intervall und daher liegt eine Bijektion
vor. Nach Satz 19.9 ist die Umkehrfunktion
ebenfalls differenzierbar, und ihre Ableitung in ist . Daher ist die Umkehrfunktion auf auch stetig differenzierbar. Eine ähnliche Argumentation ist durchführbar, wenn ist. Insgesamt bedeutet dies, dass aus dem Nichtverschwinden der Ableitung in einem Punkt folgt, dass die Funktion sich in einer kleinen offenen Umgebung des Punktes bijektiv verhält mit stetig differenzierbarer Umkehrabbildung.
Der Satz über die (lokale) Umkehrabbildung verallgemeinert diese Beobachtung auf höhere Dimensionen. Er gehört zu den wichtigsten Sätzen der mehrdimensionalen Analysis und besagt, dass eine stetig differenzierbare Abbildung zwischen endlichdimensionalen Vektorräumen, für die das totale Differential in einem Punkt bijektiv ist (was voraussetzt, dass die Dimension des Definitionsraum mit der Dimension des Zielraums übereinstimmt), die Abbildung selbst auf geeigneten kleinen offenen Umgebungen von und von eine Bijektion ist. D.h. die Abbildung verhält sich lokal so wie das totale Differential.
Der folgende Satz heißt Satz über die Umkehrbarkeit. Wir verzichten auf den recht aufwändigen Beweis.
Es seien und endlichdimensionale reelle Vektorräume, sei offen und es sei
eine stetig differenzierbare Abbildung. Es sei ein Punkt derart, dass das totale Differential
bijektiv ist.
Dann gibt es eine offene Menge und eine offene Menge mit und mit derart, dass eine Bijektion
induziert, und dass die Umkehrabbildung
ebenfalls stetig differenzierbar ist.
Wir beginnen mit einigen Reduktionen. Zuerst kann man durch Verschiebungen im Definitionsraum und im Zielraum annehmen, dass und ist. Es sei die durch das totale Differential gegebene bijektive lineare Abbildung mit der linearen Umkehrabbildung . Wir betrachten die Gesamtabbildung
Diese ist wieder stetig differenzierbar, und das totale Differential davon ist
.
Wenn wir für diese zusammengesetzte Abbildung die Aussage zeigen können, so folgt die Aussage auch für , da eine lineare Abbildung stetig differenzierbar ist. Wir können also annehmen, dass
eine stetig differenzierbare Abbildung mit
ist, deren totales Differential in die Identität ist. Wir werden dennoch von
und
sprechen, um klar zu machen, ob sich etwas im Definitionsraum oder im Zielraum abspielt.
Sei
fixiert. Wir betrachten die Hilfsabbildung
Diese Hilfsabbildung erfüllt folgende Eigenschaft: Ein Punkt
ist genau dann ein
Fixpunkt
von , also ein Punkt mit
,
wenn
ist, d.h. wenn ein Urbild von unter ist. Die Abbildungen sind selbst stetig differenzierbar und es gilt
.
Wir möchten den
Banachschen Fixpunktsatz
auf anwenden, um dafür einen Fixpunkt zu gewinnen und diesen als Urbildpunkt von unter nachweisen zu können. Wir fixieren eine euklidische Norm. Wegen der Stetigkeit von und wegen
gibt es ein , , derart, dass für alle die Abschätzung
gilt. Für jedes gilt daher nach der Mittelwertabschätzung die Abschätzung
Für und gilt
Für jedes liegt also eine Abbildung
vor.
Wegen der oben formulierten Ableitungseigenschaft und aufgrund der
Mittelwertabschätzung
gilt für zwei Punkte
die Abschätzung
sodass eine
stark kontrahierende Abbildung
ist. Da ein euklidischer Vektorraum und damit auch die abgeschlossene Kugel
vollständig
sind
(siehe
Aufgabe *****
und
Aufgabe *****),
besitzt jede Abbildung aufgrund des
Banachschen Fixpunktsatzes
genau einen Fixpunkt aus , den wir mit bezeichnen. Aufgrund der eingangs gemachten Überlegung ist
.
Zu
gehört das eindeutige Urbild
zur offenen Kugel , wie die obige Abschätzung zeigt. Wir setzen
und ,
wobei aufgrund der Stetigkeit von offen ist. Die eingeschränkte Abbildung
ist wieder stetig und bijektiv. Insbesondere gibt es eine Umkehrabbildung
die wir als stetig differenzierbar nachweisen müssen.
Wir zeigen zuerst, dass
Lipschitz-stetig
ist mit der
Lipschitz-Konstanten
. Seien
gegeben mit den eindeutigen Elementen
mit
und .
Es gelten die Abschätzungen
wobei die letzte Abschätzung auf obiger Überlegung beruht. Durch Umstellung ergibt sich
Aufgrund von Fakt ***** ist auch differenzierbar und es gilt die Formel
Aus dieser Darstellung lässt sich auch die stetige Abhängigkeit der Ableitung von ablesen, da stetig ist, da das totale Differential von nach Voraussetzung stetig von
abhängt und da das Bilden der Umkehrmatrix ebenfalls stetig ist.
Dabei ergibt sich das totale Differential der Umkehrabbildung in einem Punkt
aufgrund der Kettenregel
einfach als Umkehrabbildung des totalen Differentials in .
Es seien und endlichdimensionale reelle Vektorräume, sei offen, sei und sei
eine in differenzierbare Abbildung. Dann heißt ein regulärer Punkt von , wenn
ist. Andernfalls heißt ein kritischer Punkt oder ein singulärer Punkt.
Eine differenzierbare Abbildung ist genau dann regulär in einem Punkt , wenn das totale Differential den maximal möglichen Rang besitzt. Der Rang ist nach Lemma 11.2 und nach Lemma 11.3 gleich dem Spalten- bzw. Zeilenrang einer beschreibenden Matrix. Daher ist der Rang maximal gleich der Anzahl der Zeilen und maximal gleich der Anzahl der Spalten, also maximal gleich dem Minimum der beiden Dimensionen.
Bei ist ein regulärer Punkt genau dann, wenn nicht die Nullabbildung ist. Daher stimmt diese Definition von regulär mit Definition 49.12 überein. Bei bedeutet die Regularität wiederum, dass ist. Generell bedeutet bei die Regularität, dass injektiv ist, und bei bedeutet die Regularität, dass surjektiv ist. Insbesondere bedeutet bei die Regularität in , dass das totale Differential bijektiv ist und dass daher die Voraussetzung im Satz über die lokale Umkehrbarkeit erfüllt ist.
Wir betrachten die Abbildung
Diese Abbildung ist differenzierbar und die Jacobi-Matrix in einem Punkt ist
Die Determinante davon ist
sodass die Bedingung
die regulären Punkte der Abbildung charakterisiert. Im Nullpunkt liegt beispielsweise ein regulärer Punkt vor, sodass dort aufgrund des Satzes über die lokale Umkehrbarkeit lokal eine Bijektion vorliegt, d.h. es gibt offene Umgebungen und von derart, dass die eingeschränkte Abbildung
bijektiv ist (mit stetig differenzierbarer Umkehrabbildung).
Wie groß kann dabei gewählt werden? Wir beschränken uns auf offene Ballumgebungen . Bei enthält eine solche Kreisscheibe zwei Punkte der Form
Diese werden unter auf
abgebildet, also auf den gleichen Punkt. Daher ist die Einschränkung der Abbildung auf eine solche Kreisscheibe nicht injektiv, und auf einer solchen Menge kann es keine Umkehrabbildung geben.
Betrachten wir hingegen
und
Da keine kritischen Punkte enthält, ist nach Aufgabe 51.13 das Bild offen. Die eingeschränkte Abbildung ist nach Definition von surjektiv, sodass nur die Injektivität zu untersuchen ist.
Das Gleichungssystem
führt auf
und auf
Seien und aus mit
gegeben. Dann ist
und somit
Bei folgt direkt . Bei muss
sein. Dies bedeutet und ebenso . Wegen
und müssen und das gleiche Vorzeichen besitzen. Daher müssen auch und das gleiche Vorzeichen besitzen. Daraus folgt aber
sodass es in der offenen Kreisumgebung mit Radius keine zwei verschiedenen Urbilder geben kann.[1] Mit liegt also eine Bijektion vor.
- Diffeomorphismen
Der Satz über die lokale Umkehrbarkeit gibt Anlass zu folgender Definition.
Es seien und endlichdimensionale reelle Vektorräume und und offene Teilmengen. Eine Abbildung
heißt -Diffeomorphismus, wenn bijektiv und -mal stetig differenzierbar ist, und wenn die Umkehrabbildung
ebenfalls -mal stetig differenzierbar ist.
Der Satz über die lokale Umkehrbarkeit besagt also, dass eine stetig differenzierbare Abbildung mit invertierbarem totalen Differential lokal (!) ein -Diffeomorphismus ist (es gibt auch -Versionen von diesem Satz). Zwei offene Mengen und heißen -diffeomorph, wenn es einen -Diffeomorphismus zwischen ihnen gibt.
Der Satz über die lokale Umkehrbarkeit macht keine Aussage über die Größe der offenen Mengen, auf denen ein Diffeomorphismus vorliegt. Abbildungen, die auf großen und übersichtlichen Teilmengen umkehrbar sind, werden durch Koordinatensysteme bereit gestellt. Wir besprechen hier Polarkoordinaten und Kugelkoordinaten.
Wir haben gelegentlich für die reelle Ebene (bzw. die komplexen Zahlen) Polarkoordinaten verwendet. Hier besprechen wir Polarkoordinaten in Hinblick auf lokale Umkehrbarkeit.
Die Abbildung
heißt Polarkoordinatenauswertung. Sie ordnet einem Radius und einem Winkel (wegen diesen Bedeutungen schränkt man den Definitionsbereich häufig ein) denjenigen Punkt der Ebene (in kartesischen Koordinaten) zu, zu dem man gelangt, wenn man in Richtung des Winkels (gemessen von der -Achse aus gegen den Uhrzeigersinn) die Strecke zurücklegt. Sie ist in jedem Punkt stetig differenzierbar mit der Jacobi-Matrix
Diese Abbildung ist nicht injektiv, da die Abbildung im zweiten Argument, also im Winkel , periodisch mit der Periode ist. Bei ist - unabhängig von - das Bild gleich . Ferner ist . Die Abbildung kann also nicht global invertierbar sein.
Die Determinante der Jacobi-Matrix ist
Bei liegt also nach Satz 11.11 ein bijektives totales Differential vor. Nach dem Satz über die lokale Umkehrabbildung gibt es zu jedem Punkt mit eine offene Umgebung und eine bijektive Abbildung
Bei kann man beispielsweise als offene Umgebung das offene Rechteck
mit und mit wählen. Das Bild davon, also , ist der Schnitt des (offenen) Kreisringes zu den Radien und und dem (offenen) Kreissektor, der durch die beiden Winkel und begrenzt ist.
Man kann diese Abbildung zu einer bijektiven Abbildung, und zwar zu einem Diffeomorphismus, auf großen offenen Mengen einschränken, beispielsweise zu
Die Bijektivität folgt dabei aus den grundlegenden Eigenschaften der trigonometrischen Funktionen, siehe insbesondere Satz 21.8. Wenn man das offene Intervall durch das halboffene Intervall ersetzt, so bekommt man eine Bijektion zwischen und . Man kann aber nicht von einem Diffeomorphismus sprechen, da dies nur für offene Mengen definiert ist. Die Umkehrabbildung ist übrigens noch nicht einmal stetig.
Die Abbildung
(bzw. die Einschränkung davon auf Teilmengen wie ) nennt man Kugelkoordinatenauswertung. Diese Abbildung bildet die Kugelkoordinaten auf die zugehörigen kartesischen Koordinaten ab.
Die Bedeutung der Kugelkoordinaten sind folgendermaßen: ist der Abstand von zum Nullpunkt. Bei definieren die beiden Winkel und einen Punkt auf der Einheitskugel, und zwar bestimmt einen Punkt auf dem Einheitskreis in der -Ebene (auf dem Äquator) und bestimmt einen Punkt auf dem zugehörigen Halbkreis (der durch den Äquatorpunkt und Nord- und Südpol festgelegt ist), wobei der Winkel zum Nordpol gemessen wird. Für ( und) einen festen Winkel parametrisiert einen Breitenkreis, wobei den Äquator beschreibt. Bei einem festen Winkel hingegen parametrisiert den oben angesprochenen Halbkreis, einen Längenkreis. In der Geographie herrschen übrigens etwas andere Konventionen, man wählt den zweiten Winkel aus (statt und spricht man von nördlicher und südlicher Breite) und nimmt .
Die Jacobi-Matrix der Abbildung ist
und die Determinante davon ist
D.h. bei und ist das totale Differential invertierbar und daher liegt nach Satz 51.1 ein lokaler Diffeomorphismus vor. Die inhaltliche Interpretation der Abbildung zeigt, dass hier überhaupt ein Diffeomorphismus zwischen und vorliegt.
- Fußnoten
- ↑ Man kann auch folgendermaßen argumentieren: Die
Ableitung
von nach ist
.
Wegen
ist dies positiv. Somit ist
streng wachsend
in nach
Satz 20.7.
Daher gibt es zu einem vorgegebenen Punkt
nur ein , das die Bedingung
erfüllt. Wegen ist auch die zweite Komponente eindeutig bestimmt.
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