Kurs:Lineare Algebra (Osnabrück 2017-2018)/Teil I/Vorlesung 10
- Lineare Abbildungen
Zwischen zwei Vektorräumen interessieren insbesondere die Abbildungen, die mit den Strukturen, also der Addition und der Skalarmultiplikation, verträglich sind.
Es sei ein Körper und es seien und Vektorräume über . Eine Abbildung
heißt lineare Abbildung, wenn die beiden folgenden Eigenschaften erfüllt sind.
- für alle .
- für alle und .
Die erste Eigenschaft nennt man dabei die Additivität und die zweite Eigenschaft die Verträglichkeit mit Skalierung. Wenn man den Grundkörper betonen möchte, spricht man von Linearität. Die Identität , die Nullabbildung und die Inklusionen von Untervektorräumen sind die einfachsten Beispiele für lineare Abbildungen. Insgesamt gilt für eine lineare Abbildung die Verträglichkeit mit beliebigen Linearkombinationen, also die Beziehung
siehe Aufgabe 10.2. Statt von linearen Abbildungen spricht man auch von Homomorphismen.
Die einfachsten linearen Abbildungen sind (neben der Nullabbildung) diejenigen von nach . Eine solche lineare Abbildung
ist aufgrund von Satz 10.10 (siehe unten) bzw. direkt aufgrund der Definition durch bzw. durch den Wert für ein einziges , , festgelegt. Es ist also mit einem eindeutig bestimmten . Insbesondere im physikalischen Kontext, wenn ist und wenn zwischen zwei messbaren Größen ein linearer Zusammenhang besteht, spricht man von Proportionalität, und heißt der Proportionalitätsfaktor. In der Schule tritt die lineare Beziehung zwischen zwei skalaren Größen als „Dreisatz“ auf.
Viele wichtige Funktionen, insbesondere von nach , sind nicht linear. Beispielsweise ist das Quadrieren , die Quadratwurzel, die trigonometrischen Funktionen, die Exponentialfunktion, der Logarithmus nicht linear. Aber auch für solche kompliziertere Funktionen gibt es im Rahmen der Differentialrechnung lineare Approximationen, die zum Verständnis dieser Funktionen beitragen.
Es sei ein Körper und sei der - dimensionale Standardraum. Dann ist die -te Projektion, also die Abbildung
eine - lineare Abbildung. Dies folgt unmittelbar aus der komponentenweisen Addition und Skalarmultiplikation auf dem Standardraum. Die -te Projektion heißt auch die -te Koordinatenfunktion.
Es stehen verschiedene Produkte zum Verkauf an, wobei das -te Produkt (pro Einheit) kostet. Ein Einkauf wird durch das -Tupel
repräsentiert, wobei die vom -ten Produkt gekaufte Menge angibt. Der Preis des Einkaufs wird dann durch beschrieben. Die Preisabbildung
ist linear. Dies bedeutet beispielsweise, dass wenn man zuerst den Einkauf tätigt und eine Woche später den Einkauf , dass dann der Preis der beiden Einkäufe zusammen dem Preis entspricht, den man bezahlt hätte, wenn man auf einen Schlag gekauft hätte.
Es sei ein Körper und ein - Vektorraum. Zu heißt die lineare Abbildung
die Streckung (oder Homothetie) zum Streckungsfaktor .
Bei einer Streckung stimmen Ausgangsraum und Zielraum überein. Die Zahl heißt Streckungsfaktor. Bei liegt die Identität vor und bei spricht man von einer Punktspiegelung.
Es sei der Raum der stetigen Funktionen von nach und der Raum der stetig differenzierbaren Funktionen. Dann ist die Abbildung
die einer Funktion ihre Ableitung zuordnet, linear. In der Analysis wird ja
für und eine weitere Funktion bewiesen.
Es sei ein Körper und seien Vektorräume über . Es seien
Dann ist auch die Verknüpfung
eine lineare Abbildung.
Beweis
Es sei ein Körper und es seien und zwei - Vektorräume. Es sei
eine bijektive lineare Abbildung.
Dann ist auch die Umkehrabbildung
Beweis
- Festlegung auf einer Basis
Hinter der folgenden Aussage (dem Festlegungssatz) steckt das wichtige Prinzip, dass in der linearen Algebra (von endlichdimensionalen Vektorräumen) die Objekte durch endlich viele Daten bestimmt sind.
Es sei ein Körper und es seien und Vektorräume über . Es sei , , eine Basis von und es seien , , Elemente in .
Dann gibt es genau eine lineare Abbildung
Da sein soll und eine lineare Abbildung für jede Linearkombination die Eigenschaft[1]
erfüllt, und jeder Vektor
sich als eine solche Linearkombination schreiben lässt, kann es maximal nur eine solche lineare Abbildung geben.
Wir definieren nun umgekehrt eine
Abbildung
indem wir jeden Vektor mit der gegebenen Basis als
schreiben und
ansetzen. Da die Darstellung von als eine solche
Linearkombination
eindeutig ist, ist diese Abbildung wohldefiniert.
Zur Linearität. Für zwei Vektoren
und
gilt
Die Verträglichkeit mit der skalaren Multiplikation ergibt sich ähnlich, siehe
Aufgabe 10.24.
Insbesondere ist eine lineare Abbildung
durch eindeutig festgelegt.
In vielen Situationen soll ein Objekt (beispielsweise ein Würfel) im Raum in einer Ebene dargestellt werden. Eine Möglichkeit ergibt sich mit Hilfe einer Parallelprojektion. Dabei handelt es sich um eine lineare Abbildung
die bezüglich der Standardbasen bzw. durch
gegeben ist, wobei die Koeffizienten (die „Tiefenschrägen“) typischerweise im Bereich gewählt werden. Die Linearität wirkt sich dahingehend aus, dass parallele Geraden in parallele Geraden überführt werden (oder Punkte werden). Der Punkt wird dabei auf abgebildet. Das Bild des Objektes unter einer solchen linearen Abbildung nennt man ein Schrägbild.
- Lineare Abbildungen und Matrizen
Eine lineare Abbildung
ist durch die Bilder , , der Standardvektoren eindeutig festgelegt, und jedes ist eine Linearkombination
und damit durch die Elemente eindeutig festgelegt. Insgesamt ist also eine solche lineare Abbildung durch Elemente , , , festgelegt. Eine solche Datenmenge kann man wieder als Matrix schreiben. Nach dem Festlegungssatz gilt dies für alle endlichdimensionalen Vektorräume, sobald sowohl im Definitionsraum als auch im Zielraum der linearen Abbildung eine Basis fixiert ist.
Es sei ein Körper und sei ein - dimensionaler Vektorraum mit einer Basis und sei ein -dimensionaler Vektorraum mit einer Basis .
Zu einer linearen Abbildung
heißt die - Matrix
wobei die -te Koordinate von bezüglich der Basis ist, die beschreibende Matrix zu bezüglich der Basen.
Zu einer Matrix heißt die durch
gemäß Satz 10.10 definierte lineare Abbildung die durch festgelegte lineare Abbildung.
Wenn , ist, so interessiert man sich häufig, aber nicht immer, für die beschreibende Matrix bezüglich einer einzigen Basis von .
Es sei ein Vektorraum mit Basen und . Wenn man die Identität
bezüglich der Basis vorne und der Basis hinten betrachtet, so ist wegen
direkt
d.h. die beschreibende Matrix zur identischen linearen Abbildung ist die Übergangsmatrix zum Basiswechsel von nach .
Es sei ein Körper und sei ein - dimensionaler Vektorraum mit einer Basis und sei ein -dimensionaler Vektorraum mit einer Basis mit den zugehörigen Abbildungen
und
Es sei
eine lineare Abbildung mit beschreibender Matrix .
Dann ist
d.h. das Diagramm
ist kommutativ.
Zu einem Vektor kann man ausrechnen, indem man das Koeffiziententupel zu bezüglich der Basis bestimmt, darauf die Matrix anwendet und zu dem sich ergebenden -Tupel den zugehörigen Vektor bezüglich berechnet.
Beweis
Es sei ein Körper und sei ein - dimensionaler Vektorraum mit einer Basis und sei ein -dimensionaler Vektorraum mit einer Basis .
Dann sind die in Definition 10.12 festgelegten Abbildungen
invers zueinander.
Wir zeigen, dass beide Hintereinanderschaltungen die Identität sind. Wir starten mit einer Matrix und betrachten die Matrix
Es sei nun eine lineare Abbildung, und betrachten wir
Zwei lineare Abbildungen stimmen nach Satz 10.10 überein, wenn man zeigen kann, dass sie auf der Basis übereinstimmen. Es ist
Dabei ist nach Definition der Koeffizient die -te Koordinate von bezüglich der Basis . Damit ist diese Summe gleich .
Wir bezeichnen die Menge aller linearen Abbildungen von nach mit .
Satz 10.15
bedeutet also, dass die Abbildung
bijektiv mit der angegebenen Umkehrabbildung ist. Eine lineare Abbildung
nennt man auch einen Endomorphismus. Die Menge aller Endomorphismen auf wird mit bezeichnet.
- Isomorphe Vektorräume
Es sei ein Körper und es seien und Vektorräume über . Eine bijektive, lineare Abbildung
heißt Isomorphismus.
Ein Isomorphismus von nach heißt Automorphismus.
Es sei ein Körper. Zwei - Vektorräume und heißen isomorph, wenn es einen Isomorphismus von nach gibt.
Es sei ein Körper und es seien und endlichdimensionale - Vektorräume.
Dann sind und genau dann zueinander isomorph, wenn ihre Dimension übereinstimmt.
Insbesondere ist ein -dimensionaler -Vektorraum isomorph zum .
Beweis
Eine Isomorphie zwischen einem - dimensionalen Vektorraum und dem Standardraum ist im Wesentlichen äquivalent zur Wahl einer Basis in . Zu einer Basis
gehört die lineare Abbildung
die also den Standardraum in den Vektorraum abbildet, indem sie dem -ten Standardvektor den -ten Basisvektor aus der gegebenen Basis zuordnet. Dies definiert nach Satz 10.10 eine eindeutige lineare Abbildung, die aufgrund von Aufgabe 10.26 bijektiv ist. Es handelt sich dabei einfach um die Abbildung
Die Umkehrabbildung
ist ebenfalls linear und heißt die zur Basis gehörende Koordinatenabbildung. Die -te Komponente davon, also die zusammengesetzte Abbildung
heißt -te Koordinatenfunktion. Sie wird mit bezeichnet, und gibt zu einem Vektor in der eindeutigen Darstellung
die Koordinate aus. Man beachte, dass die lineare Abbildung von der gesamten Basis abhängt, nicht nur von dem Vektor .
Wenn umgekehrt ein Isomorphismus
gegeben ist, so sind die Bilder
eine Basis von .
- Fußnoten
- ↑ Wenn eine unendliche Indexmenge ist, so sind hier sämtliche Summen so zu verstehen, dass nur endlich viele Koeffizienten nicht sind.