Kurs:Funktionentheorie (Osnabrück 2023-2024)/Vorlesung 14
- Potenzreihenentwicklung für komplex differenzierbare Funktionen
Wir möchten zeigen, dass eine komplex differnzierbare Funktion in jedem Punkt durch eine Potenzreihe darstellbar ist. Dazu werden wir die Integralformel von Cauchy dahingehend verallgemeinern, dass nicht nur der Wert von in durch ein den Punkt umlaufendes Wegintegral zu einer geeigneten Differentialform festgelegt ist, sondern auch die übrigen Koeffizienten in der Potenzreihe. Dies ergibt sich mit Hilfe der geometrischen Reihe.
Für besitzt die geometrische Reihe das Konvergenzverhalten
Wir schreiben die Integralformel von Cauchy als
um zu betonen, dass wir an der Abhängigkeit von von interessiert sind. Den Integranden schreiben wir als
Da in der Integralformel vorausgesetzt wird, dass im Innern des Kreises liegt und auf dem Rand, ist und daher kann man auf den zweiten Faktor des Integranden die Formel der geometrischen Reihe, also
anwenden, bzw.
Es sei offen, eine komplex differenzierbare Funktion und ein Punkt.
Dann wird in einer Umgebung von durch die Potenzreihe beschrieben, wobei die Koeffizienten durch
gegeben sind, und einen einfachen Umlaufweg um innerhalb von bezeichnet.
Zur Notationsvereinfachung sei . Nach der Integralformel gilt für jedes
mit einem einfachen Umlaufweg
um in . Nach Korollar 13.5 gilt auch
mit einem Umlaufweg um in , wobei gelten und im Innern dieses Kreises sein muss. Wir schreiben den Integranden als
Hierbei ist auf dem Kreis (bzw. auf dem Intervall) beschränkt und daher konvergiert diese Reihe für festes absolut und (als Funktion in ) gleichmäßig gegen die Grenzfunktion. Nach Lemma 23.16 (Analysis (Osnabrück 2021-2023)) (angewendet auf Real- und Imaginärteil), kann man den Grenzwert der Reihe mit dem Integral vertauschen, daher ist
Da dies für jedes im Innern der Kreisscheibe gilt und die Koeffizienten unabhängig von sind, liegt eine beschreibende konvergente Potenzreihe vor.
Jetzt können wir den Hauptsatz über komplex differenzierbare Funktionen beweisen.
Für eine auf einer offenen Menge definierte Funktion
sind folgende Aussagen äquivalent.
- ist komplex differenzierbar.
- ist unendlich oft (stetig) komplex differenzierbar.
- lässt sich in jedem Punkt in eine Potenzreihe entwickeln, d.h. ist komplex-analytisch.
Von (1) nach (3) ist Satz 14.1, von (3) nach (2) ist Korollar 8.13, von (2) nach (1) ist trivial.
Aus
Satz 14.1
folgt insbesondere, dass der Konvergenzradius der beschreibenden Potenzreihe zumindest so groß ist, wie es vom Definitionsbereich der komplex differenzierbaren Funktion her möglich ist, siehe
Aufgabe 14.2.
Ab jetzt sprechen wir konsequent von holomorphen Funktionen.
In Sätzen wie
Korollar 12.17
und
Korollar 12.18
können wir jetzt allein mit der Voraussetzung komplex differenzierbar
(statt stetig komplex differenzierbar)
formulieren.
Es sei eine sternförmige offene Teilmenge und sei
eine komplex differenzierbare Funktion.
Dann besitzt eine Stammfunktion, und die holomorphe Differentialform ist exakt.
Dies folgt wegen Satz 14.2 direkt aus Korollar 12.17.
- Der riemannsche Hebbarkeitssatz
Es sei offen, ein Punkt und eine holomorphe Funktion. Dann sind folgende Eigenschaften äquivalent.
- Es gibt eine stetige Fortsetzung
von .
- Der Betrag von ist in einer offenen Umgebung von beschränkt.
- Es ist
- Es gibt eine holomorphe Fortsetzung
von .
Die Implikationen von (1) nach (2), von (2) nach (3) und von (4) nach (1) sind klar. Sei also (3) erfüllt. Zur Notationsvereinfachung sei . Wir betrachten die Funktion
die wir durch zu einer Funktion auf fortsetzen. Diese ist stetig nach Voraussetzung in Verbindung mit Korollar 12.14 (Analysis (Osnabrück 2021-2023)). Ferner setzen wir
Wir lesen die Gleichung
als eine affin-lineare Approximation für (vergleiche Satz 1.2). Daher ist im Nullpunkt komplex differenzierbar und damit auf ganz holomorph. Nach Satz 14.1 gibt es für eine Beschreibung als Potenzreihe in einer offenen Umgebung,
Aufgrund der Definition von ist und damit ist
Daher ist
eine holomorphe Fortsetzung von .
- Der Identitätssatz für holomorphe Funktionen
Eine diskrete Teilmenge ist eine Teilmenge mit der Eigenschaft, dass es zu jedem Punkt eine Kreisumgebung mit gibt. Dies bedeutet, dass die induzierte Topologie von auf die diskrete Topologie ist. Polynome besitzen nach Korollar 11.7 (Analysis (Osnabrück 2021-2023)) nur endlich viele Nullstellen und endliche Teilmengen sind diskret. Aber auch die trigonometrischen Funktionen besitzen eine diskrete (aber nicht endliche) Nullstellenmenge. Dies gilt für beliebige holomorphe Funktionen.
Es sei eine zusammenhängende offene Teilmenge und eine von der Nullfunktion verschiedene holomorphe Funktion.
Dann ist die Nullstellenmenge von diskret und abgeschlossen (in ).
Nehmen wir an, dass die Nullstellenmenge nicht diskret ist. Dann gibt es nach Aufgabe 14.16 einen Häufungspunkt der Nullstellenmenge, der wegen der Abgeschlossenheit der Nullstellenmenge insbesondere zu gehört . Nach Satz 14.2 wird in jedem Punkt durch eine Potenzreihe beschrieben, mit Lemma 8.9 folgt, dass die Potenzreihe zu die Nullreihe ist und dass daher in einer Umgebung von gleich ist.
Wir betrachten nun
Nach Voraussetzung gehört zu , die Menge ist also nicht leer. Die Menge ist offen: Wenn ist, so ist die Funktion in einer offenen Umgebung die Nullfunktion, daher ist auch für alle Punkte die beschreibende Potenzreihe die Nullreihe. Die Menge ist aber auch abgeschlossen. Es sei eine Folge in , die gegen konvergiere. Da die Potenzreihen mit Entwicklungspunkt die Nullreihen sind, ist insbesondere . Für die Potenzreihe mit Entwicklungspunkt ergibt sich also, dass der Entwicklungspunkt ein Häufungspunkt der Nullstellen ist. Daraus folgt wieder nach Lemma 8.9, dass diese Potenzreihe ebenfalls die Nullreihe ist, also zu gehört. ist also offen und abgeschlossen und nicht leer, also ist es ganz .
Die beiden folgenden Aussagen
(die zweite heißt Identitätssatz)
folgen daraus unmittelbar.
Es sei eine zusammenhängende offene Teilmenge und eine holomorphe Funktion.
Wenn die Nullstellenmenge von einen Häufungspunkt in besitzt, so ist die Nullfunktion.
Dies ist eine Umformulierung von Satz 14.6.
Es kann dabei aber durchaus sein, dass die Nullstellenmenge einen Häufungspunkt in besitzt, siehe Aufgabe 14.18.
Es sei eine zusammenhängende offene Teilmenge und seien holomorphe Funktionen. Die Übereinstimmungsmenge von und , also besitze einen Häufungspunkt in .
Dann ist .
Dies folgt direkt aus Korollar 14.7, wenn man die Differenz betrachtet.
- Das Maximumsprinzip
Es sei ein abgeschlossener Ball und sei eine stetige Funktion, die in holomorph sei.
Dann gilt für den Weg
die Gleichheit
Die erste Gleichung ist die Integralformel von Cauchy. Mit dem angegebenen Weg ist und damit ist
Diese Aussage wird insbesondere auf holomorphe Funktionen
und abgeschlossene Kreisscheiben
angewendet, wo die Holomorphie sichert, dass die Funktion auf dem Rand stetig ist. Der folgende Satz heißt Maximumsprinzip.
Es sei ein Gebiet und sei eine holomorphe Funktion mit der Eigenschaft: Es gebe einen Punkt mit
für alle .
Dann ist konstant.
Wir zeigen, dass in einer offenen Kreisscheibenumgebung von konstant ist und daher wegen Korollar 14.8 überhaupt konstant ist. Es sei
Mit Lemma 14.9 ist dann
daher muss hier sogar überall Gleichheit gelten. Dies bedeutet insbesondere
wobei der Integrand wegen der Maximumsbedingung nichtnegativ ist. Dann ist aber nach Aufgabe 23.11 (Analysis (Osnabrück 2021-2023)) der Integrand bereits konstant gleich . Dies gilt auch für jeden Radius , und daher ist überhaupt in einer offenen Umgebung von . Aus Korollar 3.8 ergibt sich, dass selbst in der Umgebung konstant ist.
Es sei offen eine holomorphe Funktion und .
Dann wird das Maximum von auf auf dem Rand von angenommen.
Wegen der Kompaktheit der abgeschlossenen Kreisscheibe nimmt die stetige Funktion nach Satz 14.10 ihr Maximum an, sagen wir im Punkt . Nach Satz 14.10 kann dieser Punkt (außer bei konstant) nicht auf der offenen Kreisscheibe, sondern muss auf dem Rand liegen.
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