Kurs:Mathematik (Osnabrück 2009-2011)/Teil II/Vorlesung 55
- Lineare Differentialgleichungssysteme
Es sei ein offenes reelles Intervall. Eine Differentialgleichung der Form
wobei
eine Matrix ist, deren Einträge allesamt Funktionen
sind, heißt homogene lineare gewöhnliche Differentialgleichung oder homogenes lineares gewöhnliches Differentialgleichungssystem.
Es handelt sich also um die Differentialgleichung zum Vektorfeld
Dieses Vektorfeld ist zu jedem fixierten Zeitpunkt eine lineare Abbildung
Ausgeschrieben liegt das Differentialgleichungssystem
vor. Es gibt immer die Nulllösung, also die konstante Abbildung mit dem Nullvektor als Wert, diese nennt man auch die triviale Lösung.
Für lineare Differentialgleichungssysteme gibt es wieder eine inhomogene Variante.
Es sei ein offenes reelles Intervall. Eine Differentialgleichung der Form
wobei
eine Matrix ist, deren Einträge allesamt Funktionen
sind und wobei
eine Abbildung ist, heißt inhomogene lineare gewöhnliche Differentialgleichung oder inhomogenes lineares gewöhnliches Differentialgleichungssystem. Die Abbildung heißt dabei Störabbildung.
Insgesamt liegt das Differentialgleichungssystem
vor.
Die explizite Lösbarkeit eines solchen Systems hängt natürlich von der Kompliziertheit der beteiligten Funktionen und ab. In der folgenden Situation kann man das System auf einzelne eindimensionale lineare inhomogene Differentialgleichungen zurückführen und dadurch sukzessive lösen.
Es sei ein offenes Intervall und es liege eine inhomogene lineare gewöhnliche Differentialgleichung der Form
mit stetigen Funktionen und und den Anfangsbedingungen
vor.
Dann lässt sich diese Gleichung lösen, indem man sukzessive unter Verwendung der zuvor gefundenen Lösungen die inhomogenen linearen gewöhnlichen Differentialgleichungen in einer Variablen, nämlich
löst.
Beweis
Die Lösungen eines solchen linearen Differentialgleichungssystems in oberer Dreiecksgestalt stehen also in Bijektion zu den Lösungen der linearen inhomogenen Differentialgleichungen in einer Ortsvariablen, wobei die Störfunktionen jeweils mit den anderen Lösungen in der beschriebenen Weise zusammenhängen. Insbesondere übertragen sich Existenz- und Eindeutigkeitsaussagen.
Auch wenn man ein homogenes System lösen möchte, so muss man in den Einzelschritten inhomogene Differentialgleichungen lösen.
- Lineare Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten
Falls die Funktionen alle konstant sind, so spricht man von einem linearen Differentialgleichungssystem mit konstanten Koeffizienten, welche im Wesentlichen mit Mitteln der linearen Algebra gelöst werden können. Dazu ist es sinnvoll, von vornherein auch komplexe Koeffizienten zuzulassen
Eine Differentialgleichung der Form
wobei
eine Matrix mit Einträgen ist, heißt homogene lineare gewöhnliche Differentialgleichung mit konstanten Koeffizienten oder homogenes lineares gewöhnliches Differentialgleichungssystem mit konstanten Koeffizienten.
Es sei ein offenes Intervall. Eine Differentialgleichung der Form
wobei eine Matrix mit Einträgen ist und
eine Abbildung, heißt inhomogene lineare gewöhnliche Differentialgleichung mit konstanten Koeffizienten oder inhomogenes lineares gewöhnliches Differentialgleichungssystem mit konstanten Koeffizienten.
Die Störfunktion muss also nicht konstant sein.
- Trigonalisierbare lineare Abbildungen
Um die Lösungstheorie für Differentialgleichungssysteme mit konstanten Koeffizienten zu entwickeln, müssen wir über trigonalisierbare lineare Abbildungen sprechen, einem wichtigen Kapitel der linearen Algebra, das zur Eigenraumtheorie gehört.
Es sei ein Körper und ein endlichdimensionaler - Vektorraum der Dimension Dann heißt eine Kette von Untervektorräumen
eine Fahne in .
Es sei ein Körper, ein - Vektorraum und
eine lineare Abbildung. Dann heißt ein Untervektorraum -invariant, wenn
gilt.
Es sei ein Vektorraum der Dimension und
eine lineare Abbildung. Eine Fahne
heißt -invariant, wenn für alle ist.
Es sei ein Körper, ein endlich-dimensionaler - Vektorraum und
eine lineare Abbildung. Dann heißt trigonalisierbar, wenn eine - invariante Fahne besitzt.
Es sei ein Körper und es sei ein endlichdimensionaler - Vektorraum. Es sei
eine lineare Abbildung. Dann sind folgende Aussagen äquivalent.
- ist trigonalisierbar.
- Die Abbildung wird bezüglich einer geeigneten Basis durch eine obere Dreiecksmatrix beschrieben.
- Das charakteristische Polynom zerfällt in Linearfaktoren.
Wenn trigonalisierbar ist und bezüglich einer Basis durch die Matrix beschrieben wird, so gibt es eine invertierbare Matrix derart, dass eine obere Dreiecksmatrix ist.
. Aufgrund des Basisergänzungssatzes gibt es eine Basis von mit
Da es sich dabei um eine -invariante Fahne handelt, gilt
Bezüglich dieser Basis besitzt die
beschreibende Matrix
zu
obere Dreiecksgestalt.
. Das charakteristische Polynom von ist gleich dem charakteristischen Polynom , wobei eine beschreibende Matrix bezüglich einer beliebigen Basis ist. Wir können also eine obere Dreiecksmatrix nehmen, und daher ist nach
Lemma 14.8
das charakteristische Polynom das Produkt der Linearfaktoren zu den Diagonaleinträgen.
. Induktion nach , für
ist nichts zu zeigen. Es sei nun und sei die Aussage für alle Endomorphismen auf Vektorräumen der Dimension schon bewiesen. Es sei eine Nullstelle von . Dann gibt es nach
Satz 17.8
einen
Eigenvektor
zum Eigenwert . Es sei eine Ergänzung von zu einer Basis von . Wir setzen , dies ist ein -dimensionaler Untervektorraum. Es ist
Durch die Festlegung
erhalten wir eine lineare Abbildung
und durch die Festlegung
erhalten wir eine lineare Abbildung
Mit diesen Abbildungen gilt
für , da dies für die Basis gilt. In der Basis besitzt die Gestalt
Die Teilmatrix rechts unten ist dabei die beschreibende Matrix von . Für das charakteristische Polynom gilt die Beziehung
sodass nach Lemma 17.4 auch
in Linearfaktoren zerfällt. Wir können also auf die Induktionsvoraussetzung anwenden. D.h. es gibt eine - invariante Fahne
Damit definieren wir
für und erhalten die Fahne
Diese Fahne ist -invariant. Dies ist für klar, da dies ein Eigenraum ist. Ansonsten gilt für mit mit die Beziehung
und dies gehört zu .
Der Zusatz ergibt sich wie folgt. Die trigonalisierbare Abbildung werde bezüglich der Basis durch die Matrix beschrieben, und bezüglich der Basis durch die obere Dreiecksmatrix . Dann gilt nach
Korollar 13.11
die Beziehung , wobei den Basiswechsel beschreibt.
Es sei eine quadratische Matrix mit komplexen Einträgen.
Dann ist trigonalisierbar.
Dies folgt aus Satz 25.10 (Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025)) und dem Fundamentalsatz der Algebra.
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