Kurs:Analysis (Osnabrück 2014-2016)/Teil I/Vorlesung 16
- Funktionenfolgen
Wir haben das letzte Mal gesehen, dass die Exponentialreihe für jedes konvergiert. Für jedes stellt also die Polynomfunktion
eine „approximierende Funktion“ für die Exponentialfunktion dar. Dabei ist allerdings die Güte der Approximation abhängig von (bei fixiertem ). In dieser Vorlesung werden wir verschiedene Konzepte vorstellen, wie man eine Funktion als Grenzfunktion einer Funktionenfolge auffassen kann. Eine unmittelbare Anwendung wird sein, dass die Exponentialfunktion stetig ist.
Es sei eine Menge und
() eine Folge von Funktionen. Man sagt, dass die Funktionenfolge punktweise konvergiert, wenn für jedes die Folge
(in ) konvergiert.
Wenn eine punktweise konvergente Funktionenfolge vorliegt, so wird durch
eine sogenannte Grenzfunktion definiert.
Die Funktionenfolge konvergiert punktweise, die Grenzfunktion ist die Exponentialfunktion. Selbst wenn (bei ) sämtliche Funktionen stetig sind, muss diese Grenzfunktion nicht stetig sein.
Es sei und
Für jedes , , konvergiert die Folge nach Aufgabe ***** gegen und für liegt die konstante Folge zum Wert vor. Die Grenzfunktion ist also
Diese Funktion ist nicht stetig, obwohl alle stetig sind.
Man braucht einen stärkeren Konvergenzbegriff, um die Stetigkeit der Grenzfunktion zu sichern.
Es sei eine Menge und
() eine Folge von Funktionen. Man sagt, dass die Funktionenfolge gleichmäßig konvergiert, wenn es eine Funktion
derart gibt, dass es zu jedem ein mit
gibt.
Bei gleichmäßiger Konvergenz liegt insbesondere punktweise Konvergenz vor und die Funktion aus der vorstehenden Definition ist die Grenzfunktion.
Es sei
eine Teilmenge und es seieine Folge von stetigen Funktionen, die gleichmäßig gegen die Funktion konvergiert.
Dann ist stetig.
Sei und vorgegeben. Aufgrund der gleichmäßigen Konvergenz gibt es ein mit für alle und alle . Wegen der Stetigkeit von in gibt es ein mit für alle mit . Für diese gilt somit
- Das Konvergenzkriterium von Weierstraß
Es sei eine Menge und
eine Funktion. Dann nennt man
das Supremum (oder die Supremumsnorm) von . Es ist eine nichtnegative reelle Zahl oder .
Die folgende Aussage heißt das Konvergenzkriterium von Weierstraß. Es geht darin um Funktionenfolgen , die als Partialsummen von Funktionen gegeben sind, wie dies auch bei Potenzreihen der Fall ist.
Es sei eine Menge und sei
Dann konvergiert die Reihe (also die Funktionenfolge ) gleichmäßig und punktweise absolut gegen eine Funktion
Sei
.
Wegen
ist aufgrund des
Majorantenkriteriums
die
Reihe
absolut konvergent,
und das bedeutet, dass die Funktionenreihe punktweise absolut konvergiert.
Wir setzen
und
Wir wollen zeigen, dass die Funktionenfolge gleichmäßig gegen konvergiert. Dazu sei vorgegeben. Aufgrund des Cauchy-Kriteriums für Reihen gibt es ein mit
für alle . Damit haben wir für und jedes insgesamt die Abschätzung
- Konvergenz von Potenzreihen
Es seien , , komplexe Zahlen, und die zugehörige Potenzreihe im Entwicklungspunkt . Wir betrachten die Funktionenfolge mit
Im Allgemeinen konvergiert diese Funktionenreihe weder punktweise auf ganz noch gleichmäßig. Wir werden aber sehen, dass häufig auf geeigneten Teilmengen gleichmäßige Konvergenz vorliegt.
Es sei eine Folge komplexer Zahlen und . Die Potenzreihe
sei für eine komplexe Zahl , , konvergent.
Dann ist für jeden reellen Radius mit die Potenzreihe auf der abgeschlossenen Kreisscheibe punktweise absolut und gleichmäßig konvergent.
Wir werden Satz 16.6 auf anwenden. Wegen der Konvergenz für sind die Summanden nach Lemma 9.5 eine Nullfolge, d.h. es gibt insbesondere ein mit
für alle . Daher gelten für jedes die Abschätzungen
Dabei ist nach Voraussetzung
Daher liegen rechts (bis auf den Vorfaktor ) die Summanden einer nach Satz 9.13 konvergenten geometrische Reihe vor. Deren Grenzwert liefert eine obere Schranke für die Reihe der Supremumsnormen.
Für eine Potenzreihe
heißt
der Konvergenzradius der Potenzreihe. Das ist eine nichtnegative reelle Zahl oder .
Jede Potenzreihe hat also grundsätzlich das gleiche Konvergenzverhalten: Es gibt eine Kreisscheibe (die eben durch den Konvergenzradius bestimmt ist, wobei die Extremfälle und erlaubt sind) um den Entwicklungspunkt, in deren Innerem die Potenzreihe konvergiert und so, dass sie außerhalb davon in keinem Punkt konvergiert. Nur auf dem Rand der Kreisscheibe kann alles mögliche passieren. Der Fall ist nicht sehr interessant. Bei positivem Konvergenzradius (einschließlich dem Fall ) sagt man auch, dass die Potenzreihe konvergiert.
Es sei
eine Potenzreihe mit einem positiven Konvergenzradius .
Dann stellt die Potenzreihe auf der offenen Kreisscheibe eine stetige Funktion dar.
Jeder Punkt liegt im Innern einer abgeschlossenen Kreisscheibe mit . Auf dieser abgeschlossenen Kreisscheibe ist die Potenzreihe nach Lemma 16.7 gleichmäßig konvergent, daher ist nach Lemma 16.4 die Grenzfunktion stetig.
Die Exponentialreihe und die trigonometrischen Reihen Sinus und Kosinus
besitzen einen unendlichen Konvergenzradius, und die komplexe Exponentialfunktion, die komplexe Sinusfunktion und die komplexe Kosinusfunktion sind stetig.
Dies folgt aus Satz 15.5 und Korollar 16.9.
Dies folgt aus Satz 15.7, aus Korollar 16.10 und aus Aufgabe 14.15.
Die reelle Zahl
stimmt mit der als
eingeführten eulerschen Zahl überein, was in
Korollar 20.14
bewiesen wird. Aufgrund dieses Sachverhaltes und der vorstehenden Aussage schreiben wir häufig
,
und zwar auch für komplexe Argumente.
- Der Identitätssatz für Potenzreihen
Es seien und Potenzreihen mit positiven Konvergenzradien, deren Minimum sei. Dann gelten folgende Aussagen.
- Die Potenzreihe mit ist konvergent auf und stellt dort die Summenfunktion dar.
- Die Potenzreihe mit ist konvergent auf und stellt dort die Produktfunktion dar.
Beweis
Es seien und Potenzreihen mit positiven Konvergenzradien und derart, dass es ein gibt, dass die dadurch definierten Funktionen
übereinstimmen.
Dann ist für alle .
Wir betrachten die Differenzreihe mit . Deren zugehörige Funktion ist nach Voraussetzung und nach Lemma 16.12 (1) auf die Nullfunktion. Nach Aufgabe 16.21 ist daher , also .
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