Kurs:Differentialgeometrie (Osnabrück 2023)/Dachprodukt/Anhang
- Das Dachprodukt
Unsere Zielsetzung für die folgenden Wochen ist es, eine sinnvolle Volumentheorie auf Mannigfaltigkeiten zu entwickeln. Was ist beispielsweise der Flächeninhalt einer gekrümmten Fläche wie der Oberfläche einer Kugel? Jeder Tangentialraum in einem Punkt einer Mannigfaltigkeit ist ein reeller endlichdimensionaler Vektorraum und besitzt daher Borel-Lebesgue-Maße, die allerdings nur bis auf die Multiplikation mit einem Skalar wohlbestimmt sind. Für eine sinnvolle Maßtheorie müssen diese Maße in einer kontrollierbaren Weise von den Punkten der Mannigfaltigkeit abhängen. Dies kann man am besten mit Differentialformen (also Schnitte im Kotangentialbündel) erreichen, die wir schon erwähnt haben und bald studieren werden.
Ihre Konstruktion erleichtert sich wesentlich durch die sogenannten Dachprodukte eines Vektorraumes. Dachprodukte hängen stark mit Determinanten und allgemeiner mit multilinearen alternierenden Formen zusammen. Für die Existenz der Dachprodukte brauchen wir Restklassenräume. Diese beruhen auf einer fundamentalen algebraischen Konstruktion, für die wir auf Kurs:Lineare_Algebra_(Osnabrück_2017-2018)/Teil_II/Vorlesung_48 verweisen.
Wir erinnern an multilineare und alternierende Abbildungen.
Es sei ein Körper und ein - Vektorraum. Es sei und
eine Abbildung
in einen weiteren -Vektorraum . Man nennt multilinear, wenn für jedes und jedes -Tupellinear ist.
Eine multilineare Abbildung heißt alternierend, wenn folgendes gilt: Falls in zwei Einträge übereinstimmen, also für ein Paar , so ist .
Das wichtigste Beispiel ist die Determinante
(auf
),
die eng mit der Volumenmessung zusammenhängt. Für die Maßthorie auf Mannigfaltigkeiten brauchen wir ein Konzept, dass für jeden Punkt eine infinitesimale Volumenform beschreibt, und dafür braucht man in jedem Tangentialraum eine Determinantenfunktion. Da es allerdings keine Einheitswürfel
(da keine Standardbasis)
in den Tangentialräumen gibt, wird es keine eindeutig bestimmte Determinantenfunktion geben, sondern verschiedene Determinantenfunktionen, die sich punktweise um einen Skalar unterscheiden. Ferner möchten wir nicht nur volldimensionalen Objekten ein Volumen zuordnen, sondern auch kleinerdimensionalen Objekten, wofür wir alternierende Formen von kleinerem Grad brauchen. Hier entwickeln wir die dazu benötigte lineare Algebra.
Es sei ein Körper, ein -Vektorraum und . Wir konstruieren das sogenannte -te Dachprodukt von mit sich selbst, geschrieben . Dazu betrachten wir die Menge aller Symbole der Form
und die zugehörige Menge der . Wir betrachten den Vektorraum
das ist die Menge aller (endlichen) Summen
die bilden eine Basis. Dies ist mit der natürlichen Addition und der natürlichen Skalarmultiplikation ein Vektorraum, und zwar ein Untervektorraum des Abbildungsraumes (es handelt sich bei um die Menge derjenigen Vektoren, die für fast alle Elemente den Wert haben). In betrachten wir den Untervektorraum , der von den folgenden Elementen erzeugt wird (die man die Standardrelationen des Dachprodukts nennt).
für beliebige .
für beliebige und .
für und beliebige .
Dabei ist der Leitgedanke, die Regeln, die für eine alternierende multilineare Abbildung gelten müssen, dadurch zu erzwingen, dass man die obigen Relationen zu macht. Der erste Typ repräsentiert die Additivität in jedem Argument, die zweite die Verträglichkeit mit der skalaren Multiplikation, die dritte die alternierende Eigenschaft.
Man setzt nun
d.h. man bildet den Restklassenraum von modulo dem Unterraum .
Die Elemente bilden dabei ein Erzeugendensystem von . Die Restklasse von modulo bezeichnen wir mit[1]
Die Standardrelationen werden dann zu den Rechenregeln[2]
und
Es sei ein Körper und ein - Vektorraum. Man nennt den (in Konstruktion Anhang 2.1 konstruierten) -Vektorraum die -te äußere Potenz (oder das -te Dachprodukt) von . Die Abbildung
nennt man die universelle alternierende Abbildung.
Es sei ein Körper und ein - Vektorraum. Dann gelten für die äußeren Potenzen folgende Aussagen.
- Die Elemente der Form mit bilden ein Erzeugendensystem von .
- Die Abbildung
ist multilinear und alternierend.
- Es ist
- Es seien gegeben und seien
für . Dann ist
(1) folgt direkt aus der
Konstruktion.
(2). Es liegt die
zusammengesetzte
Abbildung
(3) gilt nach
Lemma 16.8 (Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025))
für jede
alternierende Abbildung.
(4). Die erste Gleichung gilt nach
Lemma 16.6 (Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025))
für jede
multilineare Abbildung.
Wenn sich in dem Indextupel ein Eintrag wiederholt, so ist
wegen alternierend. Wir müssen also nur noch Tupel betrachten, wo alle Einträge verschieden sind. Diese können nach Umordnen auf die Form gebracht werden. Bei einem fixierten aufsteigenden Indextupel ist die Summe über alle dazu permutierten Indextupel gleich
Es sei ein Körper und ein - Vektorraum der Dimension . Es seien und Vektoren in , die miteinander in der Beziehung
stehen, wobei eine - Matrix bezeichnet.
Dann gilt in die Beziehung
Mit ist und mit der transponierten Matrix ist . Damit sind wir in der Notation von Lemma Anhang 2.3 (4) und es gilt
da dann sein muss. Daher folgt die Aussage aus der Leibniz-Formel für die Determinante.
- Eigenschaften des Dachprodukts
Die folgende Aussage beschreibt die universelle Eigenschaft des Dachproduktes.
Es sei ein Körper, ein - Vektorraum und . Es sei
eine alternierende multilineare Abbildung in einen weiteren -Vektorraum .
Dann gibt es eine eindeutig bestimmte lineare Abbildung
Wir verwenden die Notation aus Konstruktion Anhang 2.1. Durch die Zuordnung
wird nach Satz 10.10 (Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025)) eine - lineare Abbildung
definiert. Da multilinear und alternierend ist, wird unter der Untervektorraum auf abgebildet. Nach Satz 48.7 (Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025)) gibt es daher eine -lineare Abbildung
die mit verträglich ist.
Die Eindeutigkeit ergibt sich daraus, dass die ein
Erzeugendensystem
von bilden und diese auf abgebildet werden müssen.
Es bezeichne die Menge aller alternierenden Abbildungen von nach . Diese Menge kann man mit einer natürlichen
-
Vektorraumstruktur
versehen.
Die Abbildung ist einfach die Verknüpfung , wobei die kanonische Abbildung bezeichnet. Die Linearität der Zuordnung ergibt sich aus den linearen Strukturen des Dualraumes und des Raumes der alternierenden Formen. Die Bijektivität der Abbildung folgt aus Satz 6.1, angewendet auf .
Es sei ein Körper und ein endlichdimensionaler - Vektorraum der Dimension . Es sei eine Basis von und es sei .
Dann bilden die Dachprodukte
eine Basis von .
Wir zeigen zuerst, dass ein Erzeugendensystem vorliegt. Da die Elemente der Form nach
Lemma Anhang 2.3 (1)
ein
Erzeugendensystem
von bilden, genügt es zu zeigen, dass man diese durch die angegebenen Elemente darstellen kann. Für jedes gibt es eine Darstellung , daher kann man nach
Lemma Anhang 2.3 (4)
die als
Linearkombinationen
von Dachprodukten der Basiselemente darstellen, wobei allerdings jede Reihenfolge vorkommen kann. Es sei also gegeben mit . Durch Vertauschen von benachbarten Vektoren kann man nach
Lemma Anhang 2.3 (3)
(unter Inkaufnahme eines anderen Vorzeichens)
erreichen, dass die Indizes
(nicht notwendigerweise streng)
aufsteigend geordnet sind. Wenn sich ein Index wiederholt, so ist nach
Lemma Anhang 2.3 (2)
das Dachprodukt . Also wiederholt sich kein Index und diese Dachprodukte sind in der gewünschten Form.
Zum Nachweis der linearen Unabhängigkeit zeigen wir unter Verwendung von Lemma 14.7 (Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025)), dass es zu jeder -elementigen Teilmenge (mit ) eine -lineare Abbildung
gibt, die nicht auf abbildet, aber alle anderen in Frage stehenden Dachprodukte auf abbildet. Dazu genügt es nach Satz 6.1, eine alternierende multilineare Abbildung
anzugeben mit , aber mit für jedes andere aufsteigende Indextupel. Es sei der von den , , erzeugte Untervektorraum von und der Restklassenraum. Dann bilden die Bilder der , , eine Basis von , und die Bilder von allen anderen -Teilmengen der gegebenen Basis bilden dort keine Basis, da mindestens ein Element davon auf geht. Wir betrachten nun die zusammengesetzte Abbildung
Diese Abbildung ist nach
Satz 16.9 (Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025))
multilinear und nach
Satz 16.10 (Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025))
alternierend. Nach
Satz 16.11 (Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025))
ist genau dann, wenn die Bilder von in keine Basis bilden.
Bei
mit der Standardbasis nennt man die
mit
die Standardbasis von .
Es sei ein Körper und ein endlichdimensionaler - Vektorraum der Dimension .
Dann besitzt das -te äußere Produkt die Dimension
Dies folgt direkt aus Satz 58.1 (Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025)) und Aufgabe 3.22 (Analysis (Osnabrück 2021-2023)).
Insbesondere ist die äußere Potenz für eindimensional (es ist ) und für -dimensional (es ist ). Für ist eindimensional, und die Determinante induziert (nach einer Identifizierung von mit ) einen Isomorphismus
Für sind die äußeren Produkte der Nullraum und besitzen die Dimension .
Wir erweitern die oben gezeigte natürliche Isomorphie zu einer natürlichen Isomorphie
Es sei ein Körper und ein dimensionaler Vektorraum. Es sei .
Dann gibt es eine natürliche Isomorphie
mit
(mit und ).
Wir betrachten die Abbildung (mit Faktoren)
mit
Für fixierte ist die Abbildung rechts multilinear und alternierend, wie eine direkte Überprüfung unter Verwendung der Determinantenregeln zeigt. Daher entspricht diese nach Korollar 57.8 (Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025)) einem Element in . Insgesamt liegt also eine Abbildung
vor. Eine direkte Prüfung zeigt, dass die Gesamtzuordung ebenfalls multilinear und alternierend ist. Aufgrund der universellen Eigenschaft gibt es daher eine lineare Abbildung
Diese müssen wir als Isomorphismus nachweisen. Es sei dazu eine Basis von mit der zugehörigen Dualbasis . Nach Satz 58.1 (Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025)) bilden die
eine Basis von . Ebenso bilden die
eine Basis von mit zugehöriger Dualbasis . Wir zeigen, dass unter auf abgebildet wird. Für ist
Bei gibt es ein , das von allen verschieden ist. Daher ist die -te Zeile der Matrix und somit ist die Determinante . Wenn dagegen die Indexmengen übereinstimmen, so ergibt sich die Einheitsmatrix mit der Determinante . Diese Wirkungsweise stimmt mit der von überein.
- Dachprodukte bei linearen Abbildungen
Es sei ein Körper, und seien - Vektorräume und
sei eine - lineare Abbildung.
Dann gibt es zu jedem eine -lineare Abbildung
Die Abbildung
ist nach Aufgabe . multilinear und alternierend. Daher gibt es nach Satz 6.1 eine eindeutig bestimmte lineare Abbildung
mit .
Es sei ein Körper, und seien - Vektorräume und
sei eine - lineare Abbildung. Zu sei
(1). Es seien gegeben und seien Urbilder davon, also . Dann ist
Nach
Lemma Anhang 2.3 (1)
ergibt sich die Surjektivität.
(2). Wir können
aufgrund der Konstruktion des Dachproduktes
annehmen, dass
und
endlichdimensional
sind. Die Aussage folgt dann aufgrund der expliziten Beschreibung der Basen in
Satz 58.1 (Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025)).
(3). Es genügt, die Gleichheit für das Erzeugendensystem mit zu zeigen, wofür es klar ist.
Da die Dachprodukte bzw. jeweils Erzeugendensysteme sind, kann es maximal eine multilineare Abbildung geben, die für die Dachprodukte einfach die Verkettung ist. Für beliebige Linearkombinationen und muss dann (wegen der geforderten Multilinearität)
gelten. Wir müssen zeigen, dass dadurch eine wohldefinierte Abbildung gegeben ist, d.h. dass die Summe rechts nicht von den für bzw. gewählten Darstellungen abhängt. Es sei also eine zweite Darstellung, wobei wir die Indexmenge als gleich annehmen dürfen, da wir fehlende Summanden mit dem Koeffizienten versehen können. Die Differenz ist dann eine (im Allgemeinen nicht triviale) Darstellung der . D.h. ist eine Linearkombination aus den in Konstruktion Anhang 2.1 beschriebenen Standardrelationen für das Dachprodukt. Wenn man eine solche Standardrelation der Länge in jedem Summanden um das Indextupel erweitert, so erhält man eine Standardrelation der Länge . Dies bedeutet, dass aus einer Darstellung der bei der Verknüpfung mit einem beliebigen eine Darstellung der entsteht. Daher ist das Dachprodukt unabhängig von der gewählten Darstellung für . Da man die Rollen von und vertauschen kann, ist die Darstellung auch unabhängig von der gewählten Darstellung für . Die Multilinearität folgt unmittelbar aus der expliziten Beschreibung.
- ↑
Es ist nicht einfach, sich unter den Ausdrücken bzw. etwas vorzustellen. Wichtiger als die „Bedeutung“ dieser Symbole ist ihr Transformationsverhalten und die Rechenregeln, die dafür gelten. Erst der operative Umgang mit diesen Symbolen lässt die Bedeutung entstehen. Wenn man aber eine ungefähre Vorstellung haben möchte, so kann man sagen, dass das von den Vektoren erzeugte „orientierte“ Parallelotop in repräsentiert. Das Dachprodukt besteht dann aus Linearkombinationen von solchen Parallelotopen.
- ↑ Es gilt die Klammerungskonvention „Dachprodukt vor Punktrechnung“, d.h. der Ausdruck ist als zu lesen. Es gelten aber ohnehin die Gleichheiten