Kurs:Lineare Algebra (Osnabrück 2015-2016)/Teil I/Vorlesung 14

„... der Vorwurf, das moderne Gedicht sei „unverständlich“. An ihm ist bemerkenswert, daß er nicht spezifisch, im Hinblick auf den einen oder anderen Text, sondern stets pauschal erhoben wird. Das legt den Verdacht nahe, daß er nicht in wirklichen Leseerfahrungen, sondern im Ressentiment gründet.“
Hans Magnus Enzensberger



Linearformen

Es sei ein Körper und sei ein - Vektorraum. Eine lineare Abbildung

heißt eine Linearform auf .


Eine Linearform auf dem ist von der Form

zu einem Tupel . Besonders einfache Linearformen sind die Projektionen

Die Nullabbildung nach ist ebenfalls eine Linearform, die man auch die Nullform nennt.


Wir haben schon eine Vielzahl von Linearformen kennengelernt, beispielsweise die Preisfunktion bei einem Einkauf verschiedener Produkte oder der Vitamingehalt von Obstsalaten aus verschiedenen Obstsorten. Bezüglich einer Basis von und einer Basis von (dabei ist einfach ein von verschiedenes Element aus ) besteht die beschreibende Matrix zu einer Linearform einfach aus einer Zeile mit Einträgen.

Es sei ein Körper und seien und Vektorräume über . Zu einer Linearform

und einem Vektor ist die Abbildung

linear. Es handelt sich einfach um die Hintereinanderschaltung

wobei die Abbildung bezeichnet.


Eine Reihe von prominenten Bespielen von Linearformen auf unendlichdimensionalen Vektorräumen finden sich in der Analysis. Zu einem reellen Intervall sind die Menge der Funktionen bzw. die Menge der stetigen Funktionen bzw. die Menge der stetig differenzierbaren Funktionen reelle (ineinander enthaltene) Vektorräume. Zu einem Punkt ist jeweils die Auswertung eine Linearform (wegen der punktweise definierten Addition und Skalarmultiplikation auf diesen Räumen). Ebenso ist die Auswertung der Ableitung

eine Linearform. Für ist ferner das Integral, also die Abbildung

eine Linearform. Dies beruht auf der Linearität des Integrals.



Der Kern der Nullform ist der gesamte Raum, ansonsten besitzt der Kern einer jeden Linearform mit die Dimension . Dies folgt aus der Dimensionsformel. Abgesehen von der Nullform ist eine Linearform stets surjektiv.



Es sei ein - dimensionaler - Vektorraum und es sei ein -dimensionaler Untervektorraum.

Dann gibt es eine Linearform mit .

Beweis

Siehe Aufgabe 14.5.



Es sei ein - Vektorraum und es sei ein von verschiedener Vektor.

Dann gibt es eine Linearform mit .

Der eindimensionale - Untervektorraum besitzt ein direktes Komplement, also

mit einem Untervektorraum . Die Projektion auf zu dieser Zerlegung bildet auf ab.



Es sei ein Körper und ein - Vektorraum, und seien . Zu jedem gebe es eine Linearform

mit

Dann sind die linear unabhängig.

Beweis

Siehe Aufgabe 14.6.




Der Dualraum

Es sei ein Körper und ein - Vektorraum. Dann heißt der Homomorphismenraum

der Dualraum zu .

Die Addition und die Skalarmultiplikation sind wie allgemein im Fall von Homomorphismenräumen definiert, also und . Bei endlichdimensionalem ist nach Korollar 13.12 die Dimension des Dualraumes gleich der Dimension von .


Es sei ein endlichdimensionaler - Vektorraum mit einer Basis . Dann nennt man die Linearformen

die durch[1]

festgelegt sind, die Dualbasis zur gegebenen Basis.

Wegen Satz 10.9 ist durch die Vorschrift in der Tat jeweils eine Linearform festgelegt. Die Linearform ordnet einem beliebigen Vektor die -te Koordinate von bezüglich der gegebenen Basis zu. Zu ist ja

Es ist wichtig zu betonen, dass nicht nur von dem Vektor , sondern von der gesamten Basis abhängt. Es gibt keinen „dualen Vektor“ zu einem Vektor. Dies sieht beispielsweise anders aus, wenn auf ein Skalarprodukt gegeben ist.



Zur Standardbasis im besteht die Dualbasis aus den Projektionen auf eine Komponente, also gleich mit

Sie heißt die Standarddualbasis.




Es sei ein endlichdimensionaler - Vektorraum mit einer Basis .

Dann bildet die Dualbasis

eine Basis des Dualraums.

Es sei

mit . Wenn wir diese Linearform auf anwenden, ergibt sich direkt

Die sind also linear unabhängig. Nach Korollar 13.12 besitzt der Dualraum die Dimension , daher muss bereits eine Basis vorliegen.



Es sei ein endlichdimensionaler - Vektorraum mit einer Basis und der Dualbasis

Dann gilt für jeden Vektor die Gleichheit

D.h. die Linearformen ergeben die Skalare (Koordinaten) eines Vektors bezüglich einer Basis.

Der Vektor hat eine eindeutige Darstellung

mit . Die rechte Seite der behaupteten Gleichheit ist somit



Es sei ein endlichdimensionaler - Vektorraum und sei eine Basis von mit der Dualbasis . Es sei eine weitere Basis mit der Dualbasis und mit

Dann ist

wobei die Transponierte der inversen Matrix von ist.

Es ist

Hier steht das „Produkt“ aus der -ten Spalte von und der -ten Spalte von , also das Produkt aus der -ten Zeile von und der -ten Spalte von . Bei ist dies und bei ist dies . Daher stimmt die angegebene Linearform mit überein.

Mit Basiswechselmatrizen kann man dies auch als

ausdrücken.


Wir betrachten den mit der Standardbasis , seiner Dualbasis und die Basis bestehend aus und . Wir wollen die Dualbasis und als Linearkombinationen der Standarddualbasis ausdrücken, also in

(bzw. in ) die Koeffizienten und (bzw. und ) bestimmen. Dabei ist und . Um dies berechnen zu können, müssen wir und als Linearkombination der und ausdrücken. Dies ist

und

Also ist

und entsprechend

und somit ist

Mit den gleichen Rechnungen ergibt sich

Die Übergangsmatrix von zu ist daher

Die transponierte Matrix davon ist

Die umgekehrte Aufgabe, die Standarddualbasis durch und auszudrücken, ist einfacher zu lösen, da man dies aus der Darstellung der bezüglich der Standardbasis direkt ablesen kann. Es ist

und

wie man überprüft, wenn man beidseitig an auswertet.




Die Spur

Es sei ein Körper und sei eine - Matrix über . Dann heißt

die Spur von .


Es sei ein Körper und sei ein endlichdimensionaler - Vektorraum. Es sei eine lineare Abbildung, die bezüglich einer Basis durch die Matrix beschrieben werde. Dann nennt man die Spur von , geschrieben .

Nach Aufgabe 14.13 ist dies unabhängig von der gewählten Basis. Die Spur ist eine Linearform auf dem Vektorraum der quadratischen Matrizen bzw. auf dem Vektorraum der Endomorphismen.



Fußnoten
  1. Das so definierte Symbol heißt Kronecker-Delta.


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