Kurs:Maß- und Integrationstheorie (Osnabrück 2022-2023)/Vorlesung 10



Ausschöpfungseigenschaften

Die folgenden Rechenregeln für Integrale beruhen auf dem Ausschöpfungssatz für Maße. Man kann den Subgraphen sowohl dadurch ausschöpfen, dass man die Grundmenge ausschöpft, als auch dadurch, dass man die Funktion ausschöpft, also durch andere Funktionen approximiert.



Lemma  

Es sei ein - endlicher Maßraum und sei eine abzählbare Zerlegung in messbare Teilmengen.

Dann gilt für eine integrierbare messbare numerische Funktion die Beziehung

Beweis  

Die beiden Subgraphen zum positiven und zum negativen Teil, also und , haben endliches Maß, und es gilt

und

Daher folgt die Aussage für die beiden Teile direkt aus der -Additivität des Maßes . Daraus folgt die Aussage für aus dem großen Umordnungssatz.



Satz  

Es sei ein - endlicher Maßraum und sei , , eine messbare Ausschöpfung von .

Dann gilt für eine integrierbare messbare numerische Funktion die Beziehung

Beweis  

Durch Betrachten von und kann man annehmen, dass nichtnegativ ist. Dann schöpfen die Subgraphen den Subgraphen aus und die Aussage folgt aus Lemma 3.4.


Den folgenden Satz nennt man Satz von der monotonen Konvergenz oder Satz von Beppo Levi.


Satz  

Es sei ein - endlicher Maßraum und sei

eine wachsende Folge von nichtnegativen messbaren numerischen Funktionen mit der Grenzfunktion .

Dann gilt

Beweis  

Zunächst ist die Grenzfunktion nach Korollar 8.8 wieder messbar, so dass das Integral links wohldefiniert ist. Für die „halboffenen“ Subgraphen gilt die Beziehung . Daher ist nach Lemma 3.4

Wegen Lemma 9.6 ist dies die Behauptung.



Korollar  

Es sei ein - endlicher Maßraum und sei

eine messbare nichtnegative numerische Funktion.

Dann ist das Integral gleich dem Supremum der Integrale zu allen einfachen Funktionen .

Beweis  

Dies folgt aus Lemma 8.11 und aus Satz 10.3.

Hierbei ist wichtig, dass man beliebige einfache Funktionen und nicht nur, wie beim Riemann-Integral, die Treppenfunktionen zur Verfügung hat.



Lebesgue-Integral und Riemann-Integral
Diese Animation zeigt, wie der Flächeninhalt unter dem Graphen mit (äquidistanten) Treppenfunktionen (Riemann-Integral) und mit einfachen Funktionen (Lebesgue-Integral) approximiert wird.



Satz  

Es sei

eine messbare Riemann-integrierbare Funktion.

Dann gilt

Beweis  

Wir nehmen an, dass nichtnegativ ist. Es seien

eine obere bzw. eine untere Treppenfunktion, wobei wir die untere Treppenfunktion ebenfalls als nichtnegativ annehmen können. Dann gilt aufgrund der Monotonie des Maßes die Beziehung

Die beiden Subgraphen zu den Treppenfunktionen und sind dabei jeweils eine endliche disjunkte Vereinigung von (halboffenen) Rechtecken. Daher sind die beiden äußeren Integrale aufgrund der Definition des Produktmaßes gleich dem Treppenintegral. Somit ist das Integral kleiner/gleich jedem oberen Treppenintegral und größer/gleich jedem unteren Treppenintegral von . Diese Abschätzungen gelten dann auch für das Infimum der oberen Treppenintegrale bzw. das Supremum der unteren Treppenintegrale. Da diese aufgrund der Riemann-Integrierbarkeit übereinsimmen, muss das maßtheoretische Integral gleich dem Riemann-Integral sein.


Auf die Voraussetzung, dass die Riemann-integrierbare Funktion messbar ist, kann man dabei nicht verzichten.



Linearität des Integrals



Satz  

Es sei ein - endlicher Maßraum. Es seien integrierbare messbare reellwertige Funktionen auf und .

Dann ist auch integrierbar, und es gilt

Beweis  

Durch Betrachten des positiven und des negativen Teils kann man die Behauptung auf den Fall von nichtnegativen Funktionen und nichtnegativen Zahlen zurückführen. Wir behandeln die Additivität und die Verträglichkeit mit der Skalarmultiplikation getrennt. Nach Lemma 8.11 gibt es wachsende Folgen bzw. von messbaren einfachen Funktionen, die punktweise gegen bzw. konvergieren. Dann konvergiert auch wachsend und punktweise gegen . Zwei einfache Funktionen und können wir bezüglich einer geeigneten (endlichen) Zerlegung , , von als und schreiben. Damit gilt (bei messbar)

und die Verträglichkeit mit der Summe gilt für einfache Funktionen.
Nach dem Satz von der monotonen Konvergenz und Lemma 6.1 (Analysis (Osnabrück 2021-2023)) gilt


Der Beweis für die skalare Multiplikation verläuft ähnlich, siehe Aufgabe 9.5.




Weitere Konvergenzsätze

Wir erinnern daran, dass ein Häufungspunkt einer Folge in einem metrischen Raum ein Punkt mit der Eigenschaft ist, dass es in jeder -Umgebung des Punktes unendlich viele Folgenglieder gibt.


Definition  

Es sei eine Folge reeller Zahlen und es sei die Menge der Häufungspunkte dieser Folge. Dann setzt man

und

und nennt diese Zahlen den Limes inferior bzw. den Limes superior der Folge. (Wenn es keinen Häufungspunkt gibt, so ist dies als bzw. als zu interpretieren).

Nach Aufgabe 33.27 (Analysis (Osnabrück 2021-2023)) ist die Menge der Häufungspunkte einer Folge abgeschlossen und insbesondere messbar. Für eine Folge von numerischen Funktionen wird der Limes inferior und der Limes superior punktweise definiert. Für messbare Funktionenfolgen sind dies wieder messbare Funktionen, siehe Aufgabe 10.9.

Die folgende Aussage heißt Lemma von Fatou.


Satz  

Es sei ein - endlicher Maßraum und es sei

eine Folge von nichtnegativen messbaren numerischen Funktionen.

Dann gilt

Beweis  

Die Funktionen und sind nach Aufgabe 10.9 bzw. Lemma 8.4 messbar, und die Folge konvergiert nach Aufgabe 10.8 wachsend gegen . Wir können den Satz von der monotonen Konvergenz anwenden und erhalten

Für jedes ist wegen

für alle auch

für alle und damit

wobei die Gleichheit rechts darauf beruht, dass Häufungspunkte nicht von endlich vielen Folgengliedern abhängen.  Dies ergibt insgesamt die Behauptung.


Wir kommen zum Satz von der majorisierten Konvergenz, der auch Satz von Lebesgue heißt.


Satz  

Es sei ein - endlicher Maßraum und es sei

eine punktweise konvergente Folge von messbaren Funktionen. Es gebe eine messbare integrierbare Funktion

mit für alle und alle .

Dann ist auch die Grenzfunktion integrierbar, und es gilt

Beweis  

Die Majorante sichert nach Lemma 9.5, dass die integrierbar sind; da diese Abschätzung auch für die Grenzfunktion gilt, ist diese ebenfalls integrierbar. Wir wenden das Lemma von Fatou auf die beiden nichtnegativen Funktionenfolgen und an und erhalten unter Verwendung der Linearität einerseits

und andererseits

Zusammenfassend ergibt sich

Daher stimmt der Limes inferior von mit dem Limes superior davon überein und somit ist dies nach Aufgabe 10.4 gleich dem Limes von .


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