In dieser Vorlesung werden wir wesentliche Hilfsmittel für den Beweis des Satzes von Picard-Lindelöf bereit stellen und ihn anschließend beweisen.
- Supremumsnorm und Abbildungsräume
Wir erinnern an die Definition der Supremumsnorm.
Diese Definition kann man direkt verallgemeinern, wenn die Werte der Abbildungen in einem euklidischen Vektorraum liegen. Es sei also
eine Menge und
sei ein
euklidischer Vektorraum.
In dieser Situation definiert man zu einer Abbildung
-
-

und nennt dies das Supremum
(oder die Supremumsnorm)
von
(falls das Supremum nicht existiert, ist dies als
zu interpretieren).
Wir setzen
;
dies ist ein
(i.A. unendlichdimensionaler)
reeller Vektorraum. Die Supremumsnorm erfüllt die folgenden Eigenschaften
(die geeignet zu interpretieren sind, falls
auftritt).
- Es ist
für alle
.
- Es ist
genau dann, wenn
ist.
- Für
und
gilt
-

- Für
gilt
-

Wenn
ein
metrischer Raum
ist, so betrachtet man
-

Dieser ist ein reeller Untervektorraum von
. Wenn
nichtleer,
abgeschlossen
und
beschränkt
ist, so ist nach
Satz 22.7
das Supremum von
,
,
gleich dem Maximum, d.h. es gibt ein
derart, dass
für alle
gilt. Daher ist in diesem Fall das Supremum stets eine reelle Zahl, und stimmt mit dem Maximum überein. Man spricht daher auch von der Maximumsnorm.
Es sei
-
eine
Cauchy-Folge
von
stetigen Abbildungen.
Wir müssen zeigen, dass diese Folge gegen eine
Grenzabbildung
konvergiert,
die ebenfalls stetig ist. Zu jedem
gibt es ein
derart, dass für
die Beziehung
-

für alle
}
gilt. Daher ist für jedes
die
Folge
eine
Cauchy-Folge
in
und somit, wegen der Vollständigkeit von euklidischen Räumen, konvergent in
. Wir nennen den Grenzwert dieser Folge
, so dass sich insgesamt eine Grenzabbildung
-
ergibt, gegen die die Funktionenfolge
punktweise konvergiert.
Da
eine Cauchy-Folge ist, gibt es zu jedem vorgegebenen
stets ein
derart, dass die Cauchy-Bedingung für alle
gilt, konvergiert die Funktionenfolge sogar
gleichmäßig
gegen
(und das bedeutet die Konvergenz in der Supremumsnorm).
Aufgrund von
Fakt *****
ist daher
stetig
und daher ist
.

- Integration von stetigen Wegen
Für eine stetige Kurve
-
in einem endlichdimensionalen reellen Vektorraum definieren wir für
das Integral
komponentenweise, d.h. man wählt eine Basis
von
und drückt die stetige Kurve durch ihre Komponentenfunktionen
aus. Dann setzt man
-
Das Ergebnis ist ein Vektor in
, der unabhängig von der gewählten Basis ist. Wenn man die untere Intervallgrenze
fixiert und die obere Intervallgrenze
variiert, so bekommt man eine Integralkurve
-
Diese Integralkurve kann man wieder ableiten und erhält die Ausgangskurve zurück, d.h. es gilt wieder der Hauptsatz der Infinitesimalrechnung.
Es gilt die folgende Integralabschätzung.
Es sei
ein
euklidischer Vektorraum
und
-
eine stetige Abbildung.
Dann gilt
-

Wenn
ist, so ist nichts zu zeigen. Es sei also
-

Es sei
.
Das ergänzen wir zu einer
Orthonormalbasis
von
. Es seien
die Koordinatenfunktionen von
bezüglich dieser Basis. Dann besteht aufgrund unserer Basiswahl die Beziehung

da ja
ein Vielfaches von
ist und somit die anderen Koeffizienten gleich
sind. Daher ist


- Differential- und Integralgleichungen
Mit dem Begriff des Integrals einer Kurve kann man Differentialgleichungen auch als Integralgleichungen schreiben.
Es sei
ein
endlichdimensionaler
reeller Vektorraum,
ein
reelles Intervall,
eine
offene Menge
und
-
ein stetiges
Vektorfeld
auf
. Es sei
vorgegeben.
Dann ist eine
stetige Abbildung
-
auf einem
Intervall
mit
genau dann eine
Lösung des Anfangswertproblems
(insbesondere muss
differenzierbar sein)
-
wenn
die Integralgleichung
-

erfüllt.
Es sei die Integralbedingung erfüllt. Dann ist
-

und aufgrund
des Hauptsatzes der Infinitesimalrechnung
gilt
.
Insbesondere sichert die Integralbedingung, dass
differenzierbar
ist.
Wenn umgekehrt
eine Lösung des Anfangswertproblems ist, so ist
und daher
-


- Der Satz von Picard-Lindelöf
Wir kommen nun zum wichtigsten Existenz- und Eindeutigkeitssatz für die Lösungen von gewöhnlichen Differentialgleichungen.
Es sei
ein
endlichdimensionaler
reeller Vektorraum,
ein
reelles Intervall,
eine
offene Menge
und
-
ein
Vektorfeld
auf
. Es sei vorausgesetzt, dass dieses Vektorfeld
stetig
sei und
lokal einer Lipschitz-Bedingung
genüge.
Dann gibt es zu jedem
ein
offenes Intervall
mit
derart, dass auf diesem Intervall eine eindeutige
Lösung für das Anfangswertproblem
-
existiert.
Beweis
Nach
Lemma 53.3 ist eine
stetige Abbildung
-
eine
Lösung des Anfangswertproblems genau dann, wenn
die Integralgleichung
-
erfüllt. Wir wollen die Existenz und Eindeutigkeit einer Lösung für diese Integralgleichung unter Verwendung des
Banachschen Fixpunktsatzes
dadurch erweisen, dass wir für die Abbildung
(man spricht von einem Funktional)
-
einen Fixpunkt finden. Hierbei stehen links und rechts Abbildungen in
(aus einem gewissen Teilintervall von
mit Werten in
.) mit Werten in
. Um den Fixpunktsatz anwenden zu können müssen wir ein Definitionsintervall festlegen, und eine Metrik auf dem Abbildungsraum nach
definieren, diesen metrischen Raum dann als
vollständig
und das Funktional als
stark kontrahierend nachweisen.
Aufgrund der Voraussetzung über die lokale Lipschitz-Bedingung gibt es eine offene Umgebung
-
und ein

mit
-
Durch Verkleinern der Radien können wir annehmen, dass der Abschluss von
, also das Produkt des abgeschlossenen Intervalls mit der abgeschlossenen Kugel, ebenfalls in
liegt. Aufgrund von
Satz 22.7
gibt es ein
mit
-
(da diese Beschränktheit auf dem Abschluss gilt).
Wir ersetzen nun
durch ein kleineres Intervall
mit
,
und
.
Wir betrachten nun die Menge der
stetigen Abbildungen[1]

Dabei wird also
mit der
Maximumsnorm
auf
versehen. Dieser Raum ist nach
Satz 53.1
und nach
Aufgabe 49.12
wieder ein vollständiger metrischer Raum.
Wir betrachten nun auf diesem konstruierten Intervall
bzw. der zugehörigen Menge
die Abbildung
-
Dazu müssen wir zunächst zeigen, dass
wieder zu
gehört. Für
ist aber nach
Satz 53.2

und
ist stetig, da es durch ein Integral definiert wird.
Zum Nachweis der Kontraktionseigenschaft seien
gegeben. Für ein
ist

Da dies für jedes
gilt, folgt aus dieser Abschätzung direkt
-

d.h. es liegt eine
starke Kontraktion
vor. Daher besitzt
ein eindeutiges Fixelement
, und diese Abbildung löst die Differentialgleichung. Dies gilt dann erst recht auf jedem offenen Teilintervall von
.
Damit haben wir insbesondere bewiesen, dass es in
nur eine Lösung geben kann, wir wollen aber generell auf dem Intervall
Eindeutigkeit erhalten. Für eine Lösung
gilt aber wegen der Integralbeziehung wieder
-

und die gleichen Abschätzungen wie weiter oben zeigen, dass die Lösung zu

gehören muss.

- Fußnoten
- ↑ Dabei fassen wir
als konstante Abbildung
,
, auf.