Kurs:Mathematik (Osnabrück 2009-2011)/Teil II/Vorlesung 53

In dieser Vorlesung werden wir wesentliche Hilfsmittel für den Beweis des Satzes von Picard-Lindelöf bereit stellen und ihn anschließend beweisen.



Supremumsnorm und Abbildungsräume

Wir erinnern an die Definition der Supremumsnorm.

Es sei eine Menge und

eine Funktion. Dann nennt man

das Supremum (oder die Supremumsnorm) von . Es ist eine nichtnegative reelle Zahl oder .


Diese Definition kann man direkt verallgemeinern, wenn die Werte der Abbildungen in einem euklidischen Vektorraum liegen. Es sei also eine Menge und sei ein euklidischer Vektorraum. In dieser Situation definiert man zu einer Abbildung

und nennt dies das Supremum (oder die Supremumsnorm) von (falls das Supremum nicht existiert, ist dies als zu interpretieren).

Wir setzen ; dies ist ein (i.A. unendlichdimensionaler) reeller Vektorraum. Die Supremumsnorm erfüllt die folgenden Eigenschaften (die geeignet zu interpretieren sind, falls auftritt).

  1. Es ist für alle .
  2. Es ist genau dann, wenn ist.
  3. Für und gilt
  4. Für gilt

Wenn ein metrischer Raum ist, so betrachtet man

Dieser ist ein reeller Untervektorraum von . Wenn nichtleer, abgeschlossen und beschränkt ist, so ist nach Satz 22.7 das Supremum von , , gleich dem Maximum, d.h. es gibt ein derart, dass für alle gilt. Daher ist in diesem Fall das Supremum stets eine reelle Zahl, und stimmt mit dem Maximum überein. Man spricht daher auch von der Maximumsnorm.



Es sei eine kompakte Teilmenge, es sei ein euklidischer Vektorraum und es sei der Vektorraum der stetigen Abbildungen von nach .

Dann ist , versehen mit der Maximumsnorm, ein vollständiger metrischer Raum.

Es sei

eine Cauchy-Folge von stetigen Abbildungen. Wir müssen zeigen, dass diese Folge gegen eine Grenzabbildung konvergiert, die ebenfalls stetig ist. Zu jedem gibt es ein derart, dass für die Beziehung

für alle } gilt. Daher ist für jedes die Folge eine Cauchy-Folge in und somit, wegen der Vollständigkeit von euklidischen Räumen, konvergent in . Wir nennen den Grenzwert dieser Folge , sodass sich insgesamt eine Grenzabbildung

ergibt, gegen die die Funktionenfolge punktweise konvergiert. Da eine Cauchy-Folge ist, gibt es zu jedem vorgegebenen stets ein derart, dass die Cauchy-Bedingung für alle gilt, konvergiert die Funktionenfolge sogar gleichmäßig gegen (und das bedeutet die Konvergenz in der Supremumsnorm). Aufgrund von Lemma 26.4 ist daher stetig und daher ist .



Integration von stetigen Wegen

Für eine stetige Kurve

in einem endlichdimensionalen reellen Vektorraum definieren wir für das Integral komponentenweise, d.h. man wählt eine Basis von und drückt die stetige Kurve durch ihre Komponentenfunktionen aus. Dann setzt man

Das Ergebnis ist ein Vektor in , der unabhängig von der gewählten Basis ist. Wenn man die untere Intervallgrenze fixiert und die obere Intervallgrenze variiert, so bekommt man eine Integralkurve

Diese Integralkurve kann man wieder ableiten und erhält die Ausgangskurve zurück, d.h. es gilt wieder der Hauptsatz der Infinitesimalrechnung.

Es gilt die folgende Integralabschätzung.


Es sei ein euklidischer Vektorraum und

eine stetige Abbildung.

Dann gilt

Wenn ist, so ist nichts zu zeigen. Es sei also

Es sei . Das ergänzen wir zu einer Orthonormalbasis von . Es seien die Koordinatenfunktionen von bezüglich dieser Basis. Dann besteht aufgrund unserer Basiswahl die Beziehung

da ja ein Vielfaches von ist und somit die anderen Koeffizienten gleich sind. Daher ist




Differential- und Integralgleichungen

Mit dem Begriff des Integrals einer Kurve kann man Differentialgleichungen auch als Integralgleichungen schreiben.


Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum, ein reelles Intervall, eine offene Menge und

ein stetiges Vektorfeld auf . Es sei vorgegeben.

Dann ist eine stetige Abbildung

auf einem Intervall mit genau dann eine Lösung des Anfangswertproblems  (insbesondere muss differenzierbar sein)

wenn die Integralgleichung

erfüllt.

Es sei die Integralbedingung erfüllt. Dann ist

und aufgrund des Hauptsatzes der Infinitesimalrechnung gilt . Insbesondere sichert die Integralbedingung, dass differenzierbar ist.
Wenn umgekehrt eine Lösung des Anfangswertproblems ist, so ist und daher





Der Satz von Picard-Lindelöf

Wir kommen nun zum wichtigsten Existenz- und Eindeutigkeitssatz für die Lösungen von gewöhnlichen Differentialgleichungen.


Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum, ein reelles Intervall, eine offene Menge und

ein Vektorfeld auf . Es sei vorausgesetzt, dass dieses Vektorfeld stetig sei und lokal einer Lipschitz-Bedingung genüge.

Dann gibt es zu jedem ein offenes Intervall  mit derart, dass auf diesem Intervall eine eindeutige Lösung für das Anfangswertproblem

existiert.

Nach Lemma 53.3 ist eine stetige Abbildung

genau dann eine Lösung des Anfangswertproblems, wenn die Integralgleichung

erfüllt. Wir wollen die Existenz und Eindeutigkeit einer Lösung für diese Integralgleichung unter Verwendung des Banachschen Fixpunktsatzes dadurch erweisen, dass wir für die Abbildung (man spricht von einem Funktional)

einen Fixpunkt finden. Hierbei stehen links und rechts Abbildungen in (aus einem gewissen Teilintervall von mit Werten in ). Die Fixpunkteigenschaft bedeutet gerade, dass ist. Um den Fixpunktsatz anwenden zu können müssen wir ein Definitionsintervall festlegen, und eine Metrik auf dem Abbildungsraum nach definieren, diesen metrischen Raum dann als vollständig und das Funktional als stark kontrahierend nachweisen. Aufgrund der Voraussetzung über die lokale Lipschitz-Bedingung gibt es eine offene Umgebung

und ein mit

für alle und . Durch Verkleinern der Radien können wir annehmen, dass der Abschluss von , also das Produkt des abgeschlossenen Intervalls mit der abgeschlossenen Kugel, ebenfalls in liegt. Aufgrund von Satz 22.7 gibt es ein mit

(da diese Beschränktheit auf dem Abschluss gilt). Wir ersetzen nun durch ein kleineres Intervall

mit , und .
Wir betrachten nun die Menge der stetigen Abbildungen

Dabei wird also mit der Maximumsnorm auf versehen. Dieser Raum ist nach Satz 53.1 und nach Aufgabe 49.12 wieder ein vollständiger metrischer Raum.
Wir betrachten nun auf diesem konstruierten Intervall bzw. der zugehörigen Menge die Abbildung

Dazu müssen wir zunächst zeigen, dass wieder zu gehört. Für ist aber nach Satz 53.2

und ist stetig, da es durch ein Integral definiert wird.
Zum Nachweis der Kontraktionseigenschaft seien gegeben. Für ein ist

Da dies für jedes gilt, folgt aus dieser Abschätzung direkt

d.h. es liegt eine starke Kontraktion vor. Daher besitzt ein eindeutiges Fixelement , und diese Abbildung löst die Differentialgleichung. Dies gilt dann erst recht auf jedem offenen Teilintervall von .
Damit haben wir insbesondere bewiesen, dass es in nur eine Lösung geben kann, wir wollen aber generell auf dem Intervall Eindeutigkeit erhalten. Für eine Lösung gilt aber wegen der Integralbeziehung wieder

und die gleichen Abschätzungen wie weiter oben zeigen, dass die Lösung zu gehören muss.



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