Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2011-2012)/Teil II/Vorlesung 58
- Der Satz von Green
Wir betrachten eine kompakte Teilmenge , deren Rand sich stückweise durch reguläre Kurven parametrisieren lässt. D.h. es gibt abgeschlossene Intervalle , , und geschlossene, überschneidungsfreie (also auf dem halboffenen Intervall injektive), stückweise stetig differenzierbare, reguläre Kurven
derart, dass ihre Bilder untereinander disjunkt sind und ihre Vereinigung gleich ist. Dabei werden die Kurven so durchlaufen werden, dass stets „links“ liegt. Eine solche Teilmenge nennen wir hier eine regulär berandete, ebene Teilmenge.
Man beachte, dass die einzelnen Intervalle selbst in endlich viele Intervalle zerlegt sind, auf denen jeweils eine stetig differenzierbare reguläre Kurve definiert ist. Dies ist beispielsweise bei einem Rechteck der Fall, dessen Rand durch einen geschlossenen Weg parametrisiert wird, der durch lineare Teilstücke gegeben wird.
Bei einem einzigen Intervall zerlegt die Kurve die Ebene in einen inneren Teil (nämlich ) und einen äußeren Teil. Die Eigenschaft, dass bei der Randparametrisierung links liegt, bedeutet, dass der Rand gegen den Uhrzeigersinn durchlaufen wird. Eine mathematisch einwandfreie Definition von diesen Begriffen ist nicht trivial. Wenn zwei (oder mehrere) geschlossene Wege gegeben sind, so können diese nebeneinander oder ineinander liegen. Im zweiten Fall (beispielsweise bei zwei konzentrischen Kreisen) ist die äußere Umrandung gegen den Uhrzeigersinn zu durchlaufen und die innere Umrandung mit dem Uhrzeigersinn.
Es sei eine solche regulär berandete, ebene Teilmenge und ein stetig differenzierbares Vektorfeld gegeben, das auf einer offenen Umgebung von definiert sei. Dann gibt es eine Beziehung zwischen dem Integral des Vektorfeldes längs der parametrisierten Randkurven und dem Integral über zur Funktion . Diesen erstaunlichen Zusammenhang kann man auch zur Berechnung von Flächeninhalten einsetzen. Es gibt auch höherdimensionale Verallgemeinerungen wie den Satz von Stokes.
Es sei eine regulär berandete, ebene Teilmenge mit dem Rand und es sei
stetig differenzierbares Vektorfeld.
Dann ist
d.h. das Wegintegral zum Vektorfeld über den Rand von stimmt mit dem zweidimensionalen Integral rechts über überein.
Wir geben eine Beweisskizze. Da sowohl Wegintegrale als auch Integrale über ebenen Bereichen additiv im Vektorfeld bzw. in der Funktion sind und da partielles Ableiten ebenfalls additiv ist, kann man sich auf Vektorfelder der Form bzw. beschränken. Wir unterteilen den mit einem Gitter derart, dass für die einzelnen Gitterrechtecke gilt, dass ganz in liegt oder aber aus drei geraden Seiten und einer Berandung besteht, die man als den Graph einer stetig differenzierbaren Funktion in der gegenüberliegenden Seite realisieren kann. Das Integral zur Funktion über ist additiv bezüglich einer solchen Zerlegung. Der in durchlaufene Rand stimmt natürlich nur in einer Seite mit einem Stück des Randes von überein. Wenn man aber die Wegintegrale über alle diese Teilstücke aufsummiert, so wird jede gerade Seite von , die nicht zum Rand von gehört, doppelt durchlaufen, und zwar einmal in die eine Richtung und einmal in die entgegengesetzte Richtung. Daher heben sich diese Teilwegintegrale weg und in der Summe bleibt das Wegintegral über den Rand von übrig. Wir gehen also davon aus, dass die Form
mit einer stetig differenzierbaren Funktion
mit besitzt. Eine Parametrisierung des Randes wird dann durch die Wege mit , mit (wir parametrisieren also so, dass die Zeit immer bei anfängt), mit und schließlich mit . Dabei ist für
Es sei nun auf wie zuvor. Für die Abschnitte, auf denen streng wachsend oder streng fallend ist, kann man durch eine feinere Gitterunterteilung den Graphen auch abhängig von realisieren. Dabei entsteht eine Situation, die analog zu der schon behandelten Situation ist (wobei sich die Rollen von und und die Komponenten des Vektorfeldes vertauschen). Auf einem Abschnitt, auf dem konstant ist (sagen wir gleich ), ergibt sich die Behauptung unter Verwendung des Satzes von Fubini aus
Es sei die Teilmenge, die durch die -Achse, die Gleichung und den Parabelbogen begrenzt wird, und es sei ein Vektorfeld. Wir wollen die beiden Integrale im Satz von Green unabhängig voneinander berechnen. Den Rand von kann man durch drei Wege regulär parametrisieren, wobei
und
(jeweils mit ) ist. Für das Wegintegral gilt somit
Zur Berechnung des Doppelintegrals ist
Somit ist
Für ein stetig differenzierbares Gradientenfeld ist (nach Satz 45.11)
sodass das Flächenintegral im Satz von Green gleich ist. Daher muss das Wegintegral ebenfalls sein, was schon in Korollar 54.5 gezeigt wurde (und auch in höheren Dimensionen gilt).
Es sei eine regulär berandete, ebene Teilmenge mit dem Rand .
Dann ist
d.h. der Flächeninhalt von lässt sich über geeignete Wegintegrale längs des Randes berechnen.
Dies ergibt sich aus Satz 58.1 für das Vektorfeld bzw. .
Es sei eine regulär berandete, ebene Teilmenge mit dem Rand und dem Flächeninhalt .
Dann kann man den Schwerpunkt von durch Integration eines geeigneten Vektorfeldes bestimmen, und zwar ist
und
Wir beweisen die Aussage für die -Koordinate des Schwerpunktes unter Verwendung von Satz 58.1. Für das Vektorfeld ist
und daher ist
Für das Vektorfeld ist
und daher ist
Es sei der Subgraph der Sinusfunktion zwischen und . Wir wollen den geometrischen Schwerpunkt von mit Hilfe von Korollar 58.5 berechnen. Der Flächeninhalt von ist bekanntlich
Der Rand von wird durch die beiden Wege und (jeweils für ) parametrisiert. Daher ist die -Koordinate des Schwerpunkts mit Hilfe des Vektorfeldes gleich
was auch aus Symmetriegründen klar ist. Die -Koordinate des Schwerpunktes berechnet sich mit Hilfe des Vektorfeldes zu
- Der Satz von Gauss in der Ebene
Zu einer offenen Teilmenge und einer zweimal differenzierbaren Funktion
nennt man
die Laplace-Ableitung von .
Die Zuordnung nennt man auch den Laplace-Operator.
Eine harmonische Funktion ist also eine (zweifach differenzierbare) Funktion , die die Laplace-Gleichung
erfüllt. Zu einer komplex-differenzierbaren Funktion
ist sowohl der Real- als auch der Imaginärteil eine harmonische Funktion.
Wir möchten aus dem Satz von Green den sogenannten Satz von Gauss für die Ebene ableiten. Dafür beschränken wir uns auf eine offene Menge in der Ebene. Zu einer zweimal differenzierbaren Funktion
gehört das Gradientenfeld . Wir betrachten das Vektorfeld
das in jedem Punkt senkrecht auf dem Gradienten steht. Aufgrund von Lemma 54.2 ist stets tangential an die Höhenlinie durch den Punkt . Zwischen diesem Vektorfeld und dem Laplace-Operator besteht der folgende Zusammenhang.
Es sei eine regulär berandete, ebene Teilmenge mit dem Rand und es sei
eine auf einer offenen Menge definierte zweimal stetig differenzierbare Funktion.
Dann ist
Bei einer harmonischen Funktion sind also insbesondere die Wegintegrale über geschlossenen Wegen zu dem Vektorfeld gleich . Bei einer nicht konstanten harmonischen Funktion sind die Höhenlinien übrigens nicht geschlossen.
Die Funktion
ist harmonisch. Daher ist für eine regulär berandete, ebene Teilmenge
und daher ist nach Satz 58.9 auch
Für ist beispielsweise mit der trigonometrischen Parametrisierung
Dies ergibt sich auch direkt aus
Die Funktion
ist nicht harmonisch, ihre Laplace-Ableitung ist konstant gleich . Für die Einheitskreisscheibe ist somit
Daher ist nach Satz 58.9 auch
wobei die trigonometrische Parametrisierung des Einheitskreises bezeichnet. Dies ergibt sich auch direkt aus
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