Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2020-2021)/Teil II/Vorlesung 36

Ein metrischer Raum ist dadurch ausgezeichnet, dass es in ihm eine Abstandsfunktion gibt, und dass dadurch zwei Punkte „näher“ zueinander liegen können als zwei andere Punkte. Bei einer Abbildung

zwischen zwei metrischen Räumen kann man sich fragen, inwiefern der Abstand im Werteraum durch den Abstand im Definitionsraum kontrollierbar ist. Sei und der Bildpunkt. Man möchte, dass für Punkte , die „nahe“ an sind, auch die Bildpunkte „nahe“ an sind. Um diese intuitive Vorstellung zu präzisieren, sei ein vorgegeben. Dieses repräsentiert eine „gewünschte Zielgenauigkeit“ (oder „Zieltoleranz“). Die Frage ist dann, ob man ein finden kann (eine „Startgenauigkeit“ oder „Starttoleranz“) mit der Eigenschaft, dass für alle mit die Beziehung gilt. Dies führt zum Begriff der stetigen Abbildung.




Stetige Abbildungen zwischen metrischen Räumen

Es seien und metrische Räume,

eine Abbildung und . Die Abbildung heißt stetig in , wenn für jedes ein derart existiert, dass

gilt. Die Abbildung heißt stetig, wenn sie stetig in für jedes ist.

Statt mit den abgeschlossenen Ballumgebungen könnte man hier genauso gut mit den offenen Ballumgebungen arbeiten. Die einfachsten Beispiele für stetige Abbildungen sind konstante Abbildungen, die Identität eines metrischen Raumes und die Inklusion einer mit der induzierten Metrik versehenen Teilmenge eines metrischen Raumes. Siehe dazu die Aufgaben. Bei stimmt diese Definition mit der bisherigen überein.


Der folgende Satz heißt Folgenkriterium und ist eine direkte Verallgemeinerung von Lemma 10.5.



Es sei

eine Abbildung zwischen den metrischen Räumen und und sei ein Punkt. Dann sind folgende Aussagen äquivalent.

  1. ist stetig im Punkt .
  2. Für jedes gibt es ein mit der Eigenschaft, dass aus folgt, dass

    ist.

  3. Für jede konvergente Folge in mit ist auch die Bildfolge konvergent mit dem Grenzwert .

Die Äquivalenz von (1) und (2) ist klar.
Es sei nun (2) erfüllt und sei eine Folge in , die gegen konvergiert. Wir müssen zeigen, dass ist. Dazu sei gegeben. Wegen (2) gibt es ein mit der angegebenen Eigenschaft und wegen der Konvergenz von gegen gibt es eine natürliche Zahl derart, dass für alle die Abschätzung

gilt. Nach der Wahl von ist dann

sodass die Bildfolge gegen konvergiert.

Es sei (3) erfüllt und vorgegeben.  Wir nehmen an, dass es für alle Elemente gibt, deren Abstand zu maximal gleich ist, deren Wert unter der Abbildung aber zu einen Abstand größer als besitzt. Dies gilt dann insbesondere für die Stammbrüche , . D.h. für jede natürliche Zahl gibt es ein mit

Diese so konstruierte Folge konvergiert gegen , aber die Bildfolge konvergiert nicht gegen , da der Abstand der Bildfolgenwerte zu zumindest ist. Dies ist ein Widerspruch zu (3).



Es sei

eine Abbildung zwischen den metrischen Räumen und . Dann sind folgende Aussagen äquivalent.

  1. ist stetig in jedem Punkt .
  2. Für jeden Punkt und jedes gibt es ein mit der Eigenschaft, dass aus folgt, dass ist.
  3. Für jeden Punkt und jede konvergente Folge in mit ist auch die Bildfolge konvergent mit dem Grenzwert .
  4. Für jede offene Menge ist auch das Urbild offen.

Die Äquivalenz der ersten drei Formulierungen folgt direkt aus Lemma 36.2.
Es sei (1) erfüllt und eine offene Menge gegeben mit dem Urbild . Sei ein Punkt mit dem Bildpunkt . Da offen ist, gibt es nach Definition ein mit . Nach (2) gibt es ein mit . Daher ist

und wir haben eine offene Ballumgebung von innerhalb des Urbilds gefunden. Deshalb ist offen.
Es sei (4) erfüllt und mit und vorgegeben. Da der offene Ball offen ist, ist wegen (4) auch das Urbild offen. Da zu dieser Menge gehört, gibt es ein mit

sodass (1) erfüllt ist.



Es seien metrische Räume und seien

stetige Abbildungen.

Dann ist auch die Hintereinanderschaltung

stetig.

Dies folgt am einfachsten aus der Charakterisierung von stetig mit offenen Mengen, siehe Satz 36.3.



Verknüpfungen und stetige Abbildungen

Wir verwenden das Symbol als gemeinsame Bezeichnung für und . Wegen existiert auf eine Metrik, die durch den komplexen Betrag gegeben ist.



Die Negation

und die Inversenbildung

sind stetig.

Die erste Aussage folgt direkt aus


Zur zweiten Aussage sei und vorgegeben. Es sei . Wir setzen . Dann gilt für jedes mit die Abschätzung (wegen )




Die Addition

und die Multiplikation

sind stetig.

Beweis

Siehe Aufgabe 36.7.



Es sei ein metrischer Raum und seien Funktionen

(für ) gegeben mit der zusammengesetzten Abbildung

Dann ist genau dann stetig, wenn alle Komponentenfunktionen stetig sind.

Es genügt, diese Aussage für zu zeigen. Dafür folgt sie direkt aus Lemma 35.13 unter Verwendung von Lemma 36.2.


Wir betrachten die trigonometrische Parametrisierung des Einheitskreises,[1] also die Abbildung

Einer reellen Zahl (im Bogenmaß) wird dabei der zugehörige Punkt auf dem Einheitskreis

zugeordnet. Diese Abbildung ist periodisch mit der Periode . Sie ist stetig, da die trigonometrischen Funktionen Sinus und Kosinus nach Satz 12.2 stetig sind und daraus nach Lemma 36.7 die Stetigkeit der Gesamtabbildung folgt.




Es sei ein metrischer Raum und seien

stetige Funktionen.

Dann sind auch die Funktionen

stetig. Für eine Teilmenge

, auf der keine Nullstelle besitzt, ist auch die Funktion

stetig.

Wir betrachten Abbildungsdiagramme der Form

Die Abbildung links ist stetig aufgrund von Lemma 36.7. Die rechte Abbildung ist stetig aufgrund von Lemma 36.6. Daher ist wegen Lemma 36.4 auch die Gesamtabbildung stetig. Die Gesamtabbildung ist aber die Addition der beiden Funktionen. Für die Multiplikation verläuft der Beweis gleich, für die Negation und die Division muss man zusätzlich Lemma 36.5 heranziehen und (für die Division) das Diagramm

betrachten.



Es sei mit der euklidischen Metrik versehen und sei

eine lineare Abbildung.

Dann ist stetig.

Eine komplex-lineare Abbildung ist auch reell-linear, und die euklidische Metrik hängt nur von der reellen Struktur ab. Wir können also annehmen. Aufgrund von Lemma 36.7 können wir annehmen. Die Abbildung sei durch

mit gegeben. Die Nullabbildung ist konstant und daher stetig, also sei . Es sei und ein vorgegeben. Für alle mit ist insbesondere für alle und daher ist



Polynome in mehreren Variablen

Wir haben schon Polynome in einer Variablen verwendet. Ein Polynom in den zwei Variablen und ist z.B.

es ist also eine endliche Summe aus Variablenprodukten mit zugehörigen Koeffizienten. Die folgende präzise Definition verwendet eine Multiindex-Schreibweise, um Polynomfunktionen in beliebig (endlich) vielen Variablen einzuführen. Dabei steht ein Index für ein Tupel

und für Variablen verwendet man die Schreibweise

Ein solcher Ausdruck heißt ein Monom in den Variablen .


Eine Funktion

die man als eine Summe der Form

mit schreiben kann, wobei nur endlich viele sind, heißt polynomiale Funktion.

Ein Polynom ist also eine endliche Summe aus mit Konstanten multiplizierten Monomen. Diese Konstanten nennt man die Koeffizienten des Polynoms. Beim eingangs erwähnten Beispiel ist , u.s.w. Ein Beispiel in den drei Variablen ist

Machen wir uns die Wirkungsweise eines Polynoms in den Variablen als Funktion

klar. An einer Stelle ergibt sich einfach dadurch, dass man für die Variable überall die Zahl einsetzt und alles in ausrechnet. Die Variable ist somit einfach die -te Projektion

Zumeist benennt man die Koordinaten einfach wieder mit . Die Summe und die Produkte von polynomialen Funktionen sind wieder polynomial, und zwar ergibt sich die Summe einfach dadurch, dass man monomweise addiert, und das Produkt dadurch, dass man distributiv ausmultipliziert. Auch wenn man Polynome in andere Polynome einsetzt, ergibt sich wieder ein Polynom.




Eine polynomiale Funktion

ist stetig.

Die einzelnen Variablen repräsentieren die -te lineare Projektion

Nach Satz 36.10 sind diese stetig. Aufgrund von Lemma 36.9 sind dann auch die monomialen Funktionen

stetig und damit aus dem gleichen Grund überhaupt alle polynomialen Funktionen.




Fußnoten
  1. Eine Abbildung , wobei ein reelles Intervall ist, deren Bild gleich einer „Kurve“ ist, nennt man eine Parametrisierung von .


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