Kurs:Riemannsche Flächen (Osnabrück 2022)/Vorlesung 27



Das Geschlecht

Zu einer kompakten zusammenhängenden riemannschen Fläche nennt man das Geschlecht von .

Das Geschlecht ist die wichtigste Invariante einer kompakten riemannschen Fläche. Genauer spricht man vom kohomologischen Geschlecht in Abgrenzung zu den Konzepten differentielles Geschlecht, topologisches Geschlecht und anderen Konzepten. Es ist ein wichtiges Ziel zu zeigen, dass die verschiedenen Konzepte zueinander äquivalent sind.


Die projektive Gerade

besitzt das Geschlecht .

Bei der affinen Standardüberdeckung

mit und ist

Wegen Korollar 25.7 und der entsprechenden Aussage für können wir Satz 22.4 heranziehen. Eine erste Kohomologieklasse zur Strukturgarbe wird somit durch eine holomorphe Funktion auf repräsentiert. Die Theorie der Laurent-Entwicklung auf einer punktierten Kreisscheibe sichert eine Darstellung

wobei

den Nebenteil und

den Hauptteil bezeichnet. Dabei ist eine holomorphe Funktion auf . Mit ist die Funktion

holomorph fortsetzbar nach

(also für ) mit dem Wert . Somit ist die Differenz von auf bzw. auf definierten holomorphen Funktionen, was bedeutet, dass die Kohomologieklassse trivial ist.



Eine kompakte zusammenhängende riemannsche Fläche mit dem Geschlecht

ist biholomorph zur projektiven Geraden .

Nach dem Beweis zu Satz 26.2 gibt es eine meromorphe Funktion auf , die außerhalb eines gewählten Punktes holomorph ist und dessen Polordnung in gleich ist. Diese meromorphe Funktion definiert eine endliche holomorphe Abbildung nach (siehe auch Satz 26.3) der Blätterzahl . Es liegt also eine bijektive Abbildung und damit nach Satz 2.1 auch eine biholomorphe Abbildung vor.



Aus Lemma 27.2 und Lemma 18.12 folgt, dass sich jede Hauptteilverteilung auf der projektiven Geraden , also jede Vorgabe von Hauptteilen an endlich vielen Punkten durch eine meromorphe Funktion realisieren lässt, wobei nach Satz 19.19 diese Funktion sogar eine rationale Funktion ist. Diese kann man auch explizit angeben, wobei nur der Fall von einem Punkt zu betrachten ist, da sich der allgemeine Fall durch Addition der rationalen Funktionen ergibt. Besonderes übersichtlich ist die Situation, wenn der Hauptteil im unendlich fernen Punkt konzentriert ist, sagen wir in der Form mit dem lokalen Parameter . Diese Funktion ist direkt

d.h. auch, dass sich der Hauptteil sogar mit einem Polynom auf dem Komplement realisieren lässt. Wegen der Homogenität der projektiven Räume gilt das dann für alle Punkte. Wenn der Hauptteil in einem Punkt konzentriert ist und durch repräsentiert ist, so kann man dies direkt als eine rationale Realisierung des Hauptteiles übernehmen, da die zu negativ nur in einen Pol haben. Wenn aber die Hauptverteilung durch eine rationale Funktion oder ein invertiertes Polynom gegeben ist, muss man vorsichtiger sein. Betrachten wir die Hauptverteilung, die im Nullpunkt konzentriert ist und dort durch repräsentiert wird. Die rationale Funktion ist keine Realisierung auf für diese Hauptteilverteilung, da sie auch in einen Pol besitzt. Zur rechnerischen Bestimmung einer realisierenden rationalen Funktion muss man mit der Partialbruchzerlegung arbeiten, siehe Satz 26.3 (Analysis (Osnabrück 2021-2023)). Im vorliegenden Fall schreibt man

es ist dann also eine rationale Realisierung dieser Hauptteilverteilung (die beiden Funktionen und unterscheiden sich im Nullpunkt nur um die dort holomorphe bzw. polstellenfreie rationale Funktion , und bei der Realisierung einer Hauptteilverteilung kommt es nur darauf an).




Decktransformationen und Galoisgruppe

Es sei eine endliche holomorphe Abbildung zwischen kompakten zusammenhängenden riemannschen Flächen der Blätterzahl . Nach Satz 26.8 liegt dann zwischen den Körpern der meromorphen Funktionen eine endliche Körpererweiterung vom Grad vor. Insbesondere kann man in dieser Situation Konzepte und Ergebnisse der Körper- und Galoistheorie anwenden, die in diesem Kontext ein neuartiges Flair bekommen.



Es sei eine endliche holomorphe Abbildung mit der Blätterzahl zwischen den zusammenhängenden riemannschen Flächen und mit der zugehörigen endlichen Körpererweiterung .

Dann gibt es einen natürlichen Gruppenisomorphismus

Für eine Decktransformation

und eine meromorphe Funktion ist auch wieder meromorph, wobei meromorphe Funktionen auf in sich selbst überführt werden. Daher erhält man eine natürliche Abbildung

die offenbar ein Gruppenhomomorphismus ist. Es werde über von der meromorphen Funktion erzeugt und es sei

das Minimalpolynom mit . Es sei ein Punkt, der nicht im Verzweigungsbild liegt und wo die Koeffizientenfunktionen holomorph seien, mit den Urbildpunkten . Dann besitzt an diesen Punkten unterschiedliche Werte. Aus im Körper für alle Decktransformationen folgt, dass diese Punkte in sich selbst überführt werden und daraus ergibt sich überhaupt mit Lemma 6.16, dass die Identität ist. Der Gruppenhomomorphismus ist also injektiv.

Es sei nun ein Automorphismus des Körpers. Dieser ist durch das Bild des Erzeugers festgelegt, und erfüllt ebenfalls das Minimalpolynom. Wir betrachten

wobei die Teilmenge von bezeichne, auf der eine Überlagerung vorliegt und so, dass die auf und auf holomorph ist. Wegen Satz 26.12 ist biholomorph zum Nullstellengebilde zu über . Die Abbildung

ist eine Decktransformation oberhalb von , die auf abbildet. Nach Lemma 9.13 lässt sich die Decktransformation auf ganz ausdehnen.



Es sei eine endliche holomorphe Abbildung zwischen den zusammenhängenden riemannschen Flächen und mit der zugehörigen endlichen Körpererweiterung .

Dann ist die Abbildung genau dann normal, wenn die Körpererweiterung galoissch ist.

Es sei die mit der Blätterzahl der Abbildung, die nach Satz 26.8 mit dem Grad er Körpererweiterung übereinstimmt. Die Aussage folgt aus Lemma 27.5. Galoissch bedeutet nach Definition 14.8, dass die Galoisgruppe aus Elementen besteht. Normalität bedeutet, dass man jeden Faserpunkt in jeden Faserpunkt überführen kann. Das bedeutet, angewendet auf eine Faser ohne Verzweigungspunkte, dass es zumindest Decktransformationen gibt. Die Existenz von Decktransformationen bedeutet wiederum für eine unverzweigte Faser, dass von einem Punkt aus jeder andere Punkt erreicht wird, da es wegen der Eindeutigkeit der Liftung nur eine Decktransformation gibt, die einen Punkt erreicht.



Die Spur einer Differentialform

Wir erinnern an ein weiteres Konzept aus der Galoistheorie.


Es sei eine endliche Körpererweiterung. Zu einem Element nennt man die Spur der - linearen Abbildung

die Spur von . Sie wird mit bezeichnet.


Es sei eine endliche holomorphe Abbildung mit der Blätterzahl zwischen den zusammenhängenden riemannschen Flächen und mit der zugehörigen endlichen Körpererweiterung . Zu einer holomorphen Differentialform auf nennt man die lokal durch

definierte holomorphe Differentialform auf die Spur von

Bei einer normalen verzweigten Abbildung ist

wobei die Summe über alle Decktransformationen läuft. Dies ist eine invariante Form und entspricht einer Differentialform auf , siehe Satz Anhang.. Es ist ja



Es sei eine endliche holomorphe Abbildung mit der Blätterzahl zwischen den riemannschen Flächen und . Es sei eine holomorphe Differentialform auf und ein stetiger Weg in . Es seien Liftungen von nach , die außerhalb der Verzweigungspunkte die möglichen Liftungen abdecken.

Dann ist

Die Integrale hängen nicht von Verzweigungspunkten ab. Wir berechnen also die Wegintegrale abschnittsweise im unverzweigten Ort. Es sei eine offene Kreisscheibe außerhalb des Verzweigungsortes und sei

Es sei der lokale Homöomorphismus und sei . Wir bezeichnen die eingeschränkten Wege auf bzw. auf wie zuvor. Dabei gilt wegen der Biholomorphie

Dann ist


Wir erinnern daran, dass zu einer holomorphen Differentialform die Periodengruppe durch

definiert ist. Der folgende Satz ist eine wichtige Vorstufe für den Satz von Abel-Jacobi, man spricht von der Abelschen Relation für Hauptdivisoren.


Es sei eine kompakte zusammenhängende riemannsche Fläche. Es sei eine meromorphe Funktion auf mit dem Hauptdivisor

Es seien stetige Wege von nach . Es sei eine holomorphe Differentialform auf

Dann ist

Bei konstant ist die Aussage klar, sei also nicht konstant. Wir fassen im Sinne von Satz 18.6 als eine endliche holomorphe Abbildung auf. Die Anzahl von ist die Blätterzahl von und nach Satz 26.8 auch der Grad der Körpererweiterung . Nach Korollar 19.14 besteht die Faser über aus den Punkten und die Faser über aus den Punkten , wobei Wiederholungen erlaubt sind. Wir fixieren einen Basisweg in von nach , der außer eventuell am Rand durch keinen Verzweigungsbildpunkt verläuft. Dieser Weg liftet zu Wegen , wobei in beginnen soll. In der Wegfamilie bestehend aus allen und tritt jeder Punkt genauso oft als Anfangspunkt und als Endpunkt auf (der Punkt tritt so oft auf, wie es die Verzweigungsordnung angibt). Es liegt also ein Zykel vor bzw. man kann die Wege in eine Reihenfolge bringen, dass ein geschlossener Weg entsteht. Damit ist

Nach Lemma 27.9 ist

wobei die letzte Gleichung darauf beruht, dass nach Lemma 15.9 auf der projektiven Geraden die globale holomorphe Differentialform trivial ist. Also ist



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