Kurs:Funktionentheorie (Osnabrück 2023-2024)/Vorlesung 25/kontrolle



Nullstellenanzahl bei Folgen holomorpher Funktionen

Unter der Gesamtvielfachheit (der Nullstelle, oder Gesamtnullstellenordnung) einer (von verschiedenen) holomorphen Funktion versteht man die Summe der Ordnungen . Wenn alle Nullstellen von innerhalb einer kompakten Teilmenge von liegen, so ist diese Summe endlich. Die Gesamtvielfachheit eines beliebigen Wertes unter ist die Gesamtvielfachheit der Nullstelle von . Wir besprechen hier einige Gesetzmäßigkeiten über die Gesamtvielfachheit, die wir für den Beweis des riemannschen Abbildungssatzes benötigen. Die folgende Aussage ist ein Spezialfall des Satzes von Rouché.


Lemma  Lemma 25.1 ändern

Es sei ein Gebiet und seien , , zueinander disjunkte abgeschlossene Kreisscheiben in . Es seien holomorphe Funktionen auf , die auf den Rändern der Kreisscheiben die Abschätzung erfüllen.

Dann stimmen die Gesamtvielfachheiten der Nullstellen von und von auf der Vereinigung der Kreisscheiben überein.

Wir können uns auf eine einzelne Kreisscheibe konzentrieren, es sei die Standardumrundung. Nach Voraussetzung haben weder noch Nullstellen auf dem Rand. Nach Lemma 19.7 ist die Gesamtnullstellenordnung von in gleich , wobei die relevante Summe endlich ist. Nach Lemma 23.3 sind diese Residuen gleich dem -fachen der Windungszahl von um den Nullpunkt. Die Wege und sind zueinander homotop in , nämlich über die Homotopie

wobei die Voraussetzung sichert, dass sich alles in abspielt. Nach Lemma 23.2  (1) stimmen die Windungszahlen von und von überein.



Satz  Satz 25.2 ändern

Es sei ein Gebiet und sei

eine Folge von holomorphen Funktionen, die gegen die Grenzfunktion kompakt konvergiert. Es sei und für jedes sei die Gesamtvielfachheit der -Stellen höchstens .

Dann ist konstant gleich , oder die Gesamtvielfachheit von unter ist ebenfalls höchstens .

Ohne Einschränkung sei und sei die Grenzfunktion nicht die Nullfunktion, die Gesamtvielfachheit von unter sei aber zumindest . Es seien die Nullstellen von , die zu dieser Gesamtvielfachheit beitragen (es könnte noch weitere, auch unendlich viele Nullstellen geben). Nach Satz 14.6 liegen die Nullstellen diskret, es sei derart, dass es in außer keine weitere Nullstellen gibt, diese untereinander disjunkt sind und in enthalten sind. Es sei das (positive) Minimum von auf der Vereinigung der Ränder der Kreisscheiben. Aufgrund der gleichmäßigen Konvergenz von gegen auf dieser Vereinigung ist für hinreichend groß

Wir können dann auf

Lemma 25.1 anwenden und erhalten, dass die Gesamtvielfachheit der Nullstelle von ebenfalls ist im Widerspruch zur Voraussetzung.



Korollar  Korollar 25.3 ändern

Es sei ein Gebiet und sei

eine Folge von injektiven holomorphen Funktionen, die gegen die Grenzfunktion kompakt konvergiert.

Dann ist konstant oder injektiv.

Nach Lemma 15.10 folgt aus injektiv, dass die Ableitung keine Nullstelle besitzt. Daher wird jeder Wert höchstens mit der Gesamtvielfachheit angenommen. Daher ist dies der Spezialfall von Satz 25.2 für .



Der riemannsche Abbildungssatz



Lemma  Lemma 25.4 ändern

Es sei eine einfach zusammenhängende offene Teilmenge mit .

Dann gibt es eine injektive holomorphe Abbildung .

Es sei . Dann ist die lineare Funktion nullstellenfrei auf und daher gibt es nach Korollar 23.11 eine holomorphe Funktion mit . Die Abbildung ist injektiv als Quadratwurzel einer injektiven Funktion. Aufgrund des Offenheitssatzes ist offen in . Es gibt also insbesondere einen Punkt und eine offene Kreisscheibe

wobei wir wählen. Wir behaupten, dass die gegenüberliegende Kreisscheibe disjunkt zu ist. Wäre nämlich , so gäbe es Punkte mit und . Doch dann ist

was der Injektivität von widerspricht. Daher ist und die Funktion

ist auf wohldefiniert, injektiv und landet im abgeschlossenen, aber aufgrund des Offenheitssatzes auch im offenen Einheitskreis.


Ein injektive holomorphe Abbildung nennt man auch schlicht.



Lemma  Lemma 25.5 ändern

Es sei eine einfach zusammenhängende offene Teilmenge mit und es sei

eine injektive holomorphe Abbildung mit .

Dann ist surjektiv, oder es gibt eine weitere injektive holomorphe Funktion

mit und mit

Es sei nicht surjektiv und sei nicht im Bild. Wir betrachten die Hintereinanderschaltung

mit

also die Funktion

Nach Aufgabe 2.11 bildet den Einheitskreis in sich ab, daher ist auch eine Abbildung von in den Einheitskreis. Da nullstellenfrei und einfach zusammenhängend ist, gibt es nach Korollar 23.11 eine Funktion

mit . Beachte dabei und . Wir betrachten nun

mit

also

Nach Konstruktion ist injektiv und bildet in den Einheitskreis ab. Ferner ist . Schließlich gilt unter Verwendung von Aufgabe 2.10

wobei die letzte Abschätzung auf (der strikten Version von) Aufgabe 7.6 (Analysis (Osnabrück 2021-2023)) beruht.


Wir kommen nun zum Beweis des riemannschen Abbildungssatzes. Der Satz wurde um 1850 erstmals von Riemann formuliert, korrekte Beweise gab es aber erst rund 60 Jahre später.


Satz  Satz 25.6 ändern

Es sei eine einfach zusammenhängende offene Teilmenge mit .

Dann ist biholomorph zur offenen Kreisscheibe .

Nach Lemma 25.4 gibt es zumindest eine injektive holomorphe Abbildung . Wir betrachten von nun an direkt , durch einen Automorphismus der Kreisscheibe (siehe Aufgabe 2.15) können wir zusätzlich annehmen. Wir betrachten die Funktionenmenge

und zeigen zunächst, dass abgeschlossen in der Topologie der kompakten Konvergenz ist. Dazu sei eine in kompakt konvergente Folge in mit der Grenzfunktion . Aufgrund von Satz 24.7 liegt Konvergenz in vor. Die Grenzfunktion ist injektiv oder konstant nach Korollar 25.3. Nach Satz 24.7 konvergieren auch die Ableitungen gegen und somit ist insbesondere

Dies schließt aus, dass die Grenzfunktion konstant ist, und sichert die Injektivität. Das Bild der Grenzfunktion liegt aufgrund der Konvergenz in der abgeschlossenen Kreisscheibe, aber aufgrund des Offenheitssatzes auch in der offenen Kreisscheibe. Die Funktionenmenge ist unmittelbar beschränkt. Der Satz von Montel ergibt mit Satz 33.16 (Analysis (Osnabrück 2021-2023)) und Satz 17.12 (Maß- und Integrationstheorie (Osnabrück 2022-2023)), dass kompakt ist.

Die Abbildung

ist nach Korollar 24.9 stetig in der Topologie der kompakten Konvergenz und daher ist auch die Abbildung

stetig. Nach Lemma 17.6 (Maß- und Integrationstheorie (Osnabrück 2022-2023)) ist die Betragsmenge ebenfalls kompakt und daher nach Satz 17.5 (Maß- und Integrationstheorie (Osnabrück 2022-2023)) abgeschlossen und beschränkt und enthält nach Korollar 33.18 (Analysis (Osnabrück 2021-2023)) ihr Maximum. Es sei eine Funktion mit der Eigenschaft, dass dieses Maximum ist. Mit Lemma 25.5 folgt, dass surjektiv ist.


Der riemannsche Abbildungssatz besitzt eine Verallgemeinerung, den großen riemannschen Abbildungssatz. Dabei geht es um sogenannte riemannsche Flächen, also eindimensionale komplexe Mannigfaltigkeiten, wozu offene Teilmengen von gehören. Er besagt, dass es vom Holomorphietyp her nur drei einfach zusammenhängende riemannsche Flächen gibt, nämlich , die offene Kreisscheibe und die riemannsche Zahlenkugel , das ist einfach die reell zweidimensionale Sphäre mit der (eindeutig bestimmten) komplexen Struktur. Letztere ist eine kompakte riemannsche Fläche und insbesondere nicht innerhalb von realisierbar. Für den einfachen Zusammenhang der Sphäre vergleiche Aufgabe 20.4. Der darauf aufbauende Uniformisierungssatz besagt, dass die universelle Überlagerung einer zusammenhängenden riemannschen Fläche existiert, eine einfach zusammenhängende riemannsche Fläche ist und somit eine der drei Möglichkeiten ist.