Kurs:Funktionentheorie (Osnabrück 2023-2024)/Vorlesung 8/kontrolle
- Konvergenz von Potenzreihen
Es seien , , komplexe Zahlen, und die zugehörige Potenzreihe im Entwicklungspunkt . Wir betrachten die Funktionenfolge mit
Im Allgemeinen konvergiert diese Funktionenreihe weder punktweise auf ganz noch gleichmäßig. Wir werden aber sehen, dass häufig auf geeigneten Teilmengen gleichmäßige Konvergenz vorliegt.
Es sei eine Folge komplexer Zahlen und . Die Potenzreihe
sei für eine komplexe Zahl , , konvergent.
Dann ist für jeden reellen Radius mit die Potenzreihe auf der abgeschlossenen Kreisscheibe punktweise absolut und gleichmäßig konvergent.
Wir werden Satz 7.16 auf anwenden. Wegen der Konvergenz für sind die Summanden nach Lemma 6.4 eine Nullfolge, d.h. es gibt insbesondere ein mit
für alle . Daher gelten für jedes die Abschätzungen
Dabei ist nach Voraussetzung
Daher liegen rechts (bis auf den Vorfaktor ) die Summanden einer nach Satz 7.3 konvergenten geometrische Reihe vor. Deren Grenzwert liefert eine obere Schranke für die Reihe der Supremumsnormen.
Für eine Potenzreihe
heißt
der Konvergenzradius der Potenzreihe. Das ist eine nichtnegative reelle Zahl oder .
Jede Potenzreihe hat also grundsätzlich das gleiche Konvergenzverhalten: Es gibt eine Kreisscheibe (die eben durch den Konvergenzradius bestimmt ist, wobei die Extremfälle und erlaubt sind) um den Entwicklungspunkt, in deren Innerem die Potenzreihe konvergiert und so, dass sie außerhalb davon in keinem Punkt konvergiert. Nur auf dem Rand der Kreisscheibe kann alles mögliche passieren. Der Fall ist nicht sehr interessant. Bei positivem Konvergenzradius (einschließlich dem Fall ) sagt man auch, dass die Potenzreihe konvergiert.
Es sei
eine Potenzreihe mit einem positiven Konvergenzradius .
Dann stellt die Potenzreihe auf der offenen Kreisscheibe eine stetige Funktion dar.
Jeder Punkt liegt im Innern einer abgeschlossenen Kreisscheibe mit . Auf dieser abgeschlossenen Kreisscheibe ist die Potenzreihe nach Lemma 8.1 gleichmäßig konvergent, daher ist nach Lemma 7.14 die Grenzfunktion stetig.
Die Exponentialreihe und die trigonometrischen Reihen Sinus und Kosinus
besitzen einen unendlichen Konvergenzradius, und die komplexe Exponentialfunktion, die komplexe Sinusfunktion und die komplexe Kosinusfunktion sind stetig.
Dies folgt aus Satz 7.6 und Korollar 8.3.
Es seien und Potenzreihen mit positiven Konvergenzradien, deren Minimum sei. Dann gelten folgende Aussagen.
- Die Potenzreihe mit ist konvergent auf und stellt dort die Summenfunktion dar.
- Die Potenzreihe mit ist konvergent auf und stellt dort die Produktfunktion dar.
Beweis
Die folgende Formel heißt Formel von Cauchy-Hadamard, sie liefert eine wichtige Formel, um den Konvergenzradius einer Potenzreihe zu bestimmen.
Es sei die Zahl aus aus der Satzformulierung und sei der Konvergenzradius. Es sei . Es ist dann
und damit ist für alle ab einem gewissen . Dann kann man auf wegen
das Wurzelkriterium anwenden und erhält die absolute Konvergenz von . Da beliebig nah an ist, folgt .
Es sei nun . Dann gibt es unendlich viele Koeffizienten , , mit
bzw.
Daher kann nicht konvergieren, da die Reihenglieder keine Nullfolge bilden. Somit ist auch .
Diese Aussage gilt auch für die Extremfälle, wo der Nenner gleich
(dann ist der Konvergenzradius gleich )
und wo der Nenner gleich ist
(dann ist der „Konvergenzradius“ gleich , dann liegt also keine konvergente Potenzreihe vor).
Dabei gilt in der Folge auch als Häufungspunkt, wenn die Folge unbeschränkt ist, und in diesem Fall ist der Limes superior gleich , siehe auch direkt
Aufgabe 8.8.
Häufig wird der Konvergenzradius über die Quantität im Lemma definiert.
Für die Potenzreihe ist und daher ist nach Lemma 8.6 der Konvergenzradius gleich . Dies ergibt sich auch, wenn man mit der geometrischen Reihe vergleicht.
Die Formel ist nicht immer gut geeignet, den Konvergenzradius einer Potenzreihe zu bestimmen. Für die Exponentialreihe ist es einfacher, direkt zu zeigen, dass sie überall konvergiert, während der Weg über die Formel mit Aufgabe 8.16 aufwändiger ist.
- Entwicklungssatz und Identitätssatz
Der folgende Satz heißt Entwicklungssatz für Potenzreihen.
Es sei
eine konvergente Potenzreihe mit dem Konvergenzradius und sei .
Dann gibt es eine konvergente Potenzreihe
mit Entwicklungspunkt und mit einem Konvergenzradius derart, dass die durch diese beiden Potenzreihen dargestellten Funktionen auf übereinstimmen.
Die Koeffizienten von sind
und insbesondere ist
Zur Notationsvereinfachung sei , und . Wir betrachten die Familie
summierbar ist. Dies folgt aus der Abschätzung (unter Verwendung von Aufgabe 6.17)
und daraus, dass wegen
gemäß
Lemma 8.1
die rechte Seite für beliebiges beschränkt ist.
Wegen der Summierbarkeit gelten aufgrund des
großen Umordnungssatzes
die Gleichungen
Es sei eine Potenzreihe mit positivem Konvergenzradius und derart, dass der Entwicklungspunkt ein Häufungspunkt der Nullstellen von ist.
Dann liegt die Nullreihe vor.
Wir nehmen an, dass die Potenzreihe nicht die Nullreihe ist. Dann ist
mit einer ebenfalls konvergenten Potenzreihe
mit . Insbesondere ist . Wegen der Stetigkeit der durch dargestellten Funktion ist dann auch für in einer offenen Umgebung von . Dort gibt es also keine weiteren Nullstellen, ein Widerspruch.
Es sei eine Potenzreihe mit positivem Konvergenzradius und derart, dass die Nullstellen von einen Häufungspunkt innerhalb der offenen Konvergenzscheibe besitzen.
Dann liegt die Nullreihe vor.
Es sei der Häufungspunkt der Nullstellen von . Dann ist die umentwickelte Potenzreihe (siehe den Entwicklungssatz) mit Entwicklungspunkt nach Lemma 8.9 die Nullreihe. Aus Aufgabe 8.22 ergibt sich, dass auch die Ausgangsreihe die Nullreihe ist.
Es seien und Potenzreihen mit positiven Konvergenzradien und derart, dass es ein gibt, dass die dadurch definierten Funktionen
übereinstimmen.
Dann ist für alle .
Beweis
- Ableitung von Potenzreihen
Es sei
konvergente Potenzreihe mit dem Konvergenzradius .
Dann ist auch die formal abgeleitete Potenzreihe
konvergent mit demselben Konvergenzradius. Die durch die Potenzreihe dargestellte Funktion ist in jedem Punkt differenzierbar mit
Es sei , , vorgegeben und sei mit . Dann konvergiert gemäß der Definition von Konvergenzradius. Wegen für hinreichend groß ist
sodass die Potenzreihe in und somit in konvergiert (dafür, dass der Konvergenzradius von nicht größer als ist, siehe
Aufgabe 8.29).
Die Potenzreihe
ist ebenfalls in dieser Kreisscheibe konvergent, stellt eine nach Korollar 8.3 stetige Funktion dar und besitzt in den Wert . Daher zeigt die Gleichung (von Potenzreihen und dargestellten Funktionen)
dass in linear approximierbar, also nach Satz 1.2 differenzierbar ist mit der Ableitung
Es sei nun . Nach dem Entwicklungssatz gibt es eine konvergente Potenzreihe mit Entwicklungspunkt ,
deren dargestellte Funktion mit der durch dargestellten Funktion in einer offenen Umgebung von übereinstimmt, und wobei gilt. Daher gilt nach dem schon Bewiesenen (angewendet auf und die formale Potenzreihenableitung )
Eine durch eine Potenzreihe gegebene Funktion
ist in ihrem Konvergenzbereich unendlich oft differenzierbar.
Dies ergibt sich direkt aus Satz 8.12.
Insbesondere sind die Exponentialfunktion und die trigonometrischen Funktionen
ganze Funktionen.
Es sei eine Potenzreihe mit einem positiven Konvergenzradius und
die dadurch definierte Funktion.
Dann ist unendlich oft differenzierbar und die Taylor-Reihe im Entwicklungspunkt stimmt mit der vorgegebenen Potenzreihe überein.
- Stammfunktionen
Es sei
eine in konvergente Potenzreihe.
Dann ist die Potenzreihe
ebenfalls in konvergent und stellt dort eine Stammfunktion für dar.
Beweis