Kurs:Differentialgeometrie (Osnabrück 2023)/Vorlesung 15/kontrolle

Wir kommen nun zur Integrationstheorie auf Mannigfaltigkeiten. Ausgangspunkt dafür ist, dass auf einer Mannigfaltigkeit der Dimension eine -Form gegeben ist. Bei einer offenen Teilmenge mit den Koordinaten entspricht dabei die Integration bezüglich der Form der Integration bezüglich des Lebesgue-Maßes. Bei einer Mannigfaltigkeit muss man die Form und das zugehörige Maß „zusammenkleben“.



Positive Volumenform auf einer Mannigfaltigkeit

In der folgenden Definition bezeichnen wir zu einer Karte und einer Differentialform auf die nach transportierte Differentialform mit . Das ist dasselbe wie die zurückgezogene Form .


Es sei eine - dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit und eine messbare - Differentialform auf . Dann heißt eine positive Volumenform, wenn für jede Karte (eines gegebenen Atlases)

(mit und Koordinatenfunktionen ) in der lokalen Darstellung der Differentialform

die Funktion überall positiv ist.[1]

Dabei ist die Funktion durch

festgelegt. Eine solche positive Volumenform kann es nur geben, wenn die Mannigfaltigkeit orientierbar ist (siehe Lemma 15.5 weiter unten).



Lemma  Lemma 15.2 ändern

Es sei eine - dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit mit abzählbarer Basis der Topologie und es sei eine positive Volumenform auf . Zu einer Karte

mit und einer messbaren Teilmenge setzen wir

Dann gelten folgende Eigenschaften.
  1. Wenn zwei Kartenumgebungen sind, so ist .
  2. Zu einer messbaren Teilmenge gibt es eine abzählbare disjunkte Vereinigung derart, dass jedes ganz in einer Karte liegt.
  3. Die Summe ist unabhängig von der gewählten abzählbaren disjunkten Zerlegung in (2).

(1). Wegen können wir annehmen (aber mit unterschiedlichen Kartenabbildungen und nach bzw. ). Es sei

der diffeomorphe Kartenwechsel. Dann gelten nach Satz 14.3 (Maß- und Integrationstheorie (Osnabrück 2022-2023)) und nach Korollar 14.9, und da wegen der Positivität von und von auch die Determinante positiv ist, die Gleichheiten


(2). Es sei , , eine abzählbarer Atlas. Dann kann man die Mengen nehmen.
(3). Es seien zwei abzählbare disjunkte messbare Zerlegungen, deren Glieder jeweils in Karten enthalten seien. Die Karten seien einerseits mit den die Form beschreibenden Funktionen und andererseits mit den die Form beschreibenden Funktionen . Wir betrachten die ebenfalls abzählbare Zerlegung, die durch die Mengen , , gegeben ist. Nach Lemma 10.1 (Maß- und Integrationstheorie (Osnabrück 2022-2023)) (angewendet auf die einzelnen Kartenbilder) gilt dann unter Verwendung von Teil (1)




Definition  Definition 15.3 ändern

Es sei eine - dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit mit einer abzählbaren Basis der Topologie und es sei eine positive Volumenform auf . Dann heißt die für jede Borelmenge durch eine abzählbare Zerlegung (wobei ein offenes Kartengebiet und ist) definierte Zahl

(aus ) das Maß von zu oder das Integral von über .

Nach dem vorstehenden Lemma ist dieses Volumenmaß wohldefiniert. Nach Aufgabe 15.2 handelt es sich um ein - endliches Maß. Für eine offene Menge , eine messbare Teilmenge und eine positive -Form ist einfach



Lemma Lemma 15.4 ändern

Es sei eine - dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit mit einer abzählbaren Basis der Topologie und es seien und positive Volumenformen auf .

Dann gilt für jede messbare Teilmenge und die Beziehung

Beweis

Siehe Aufgabe 15.5.



Volumenformen und Orientierung

Die Existenz einer stetigen nullstellenfreien Volumenform auf einer Mannigfaltigkeit hängt eng mit ihrer Orientierbarkeit zusammen. Von der folgenden Aussage werden wir in Satz 22.11 auch die Umkehrung beweisen.



Lemma  Lemma 15.5 ändern

Es sei eine - dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit und eine stetige nullstellenfreie Volumenform auf .

Dann gibt es einen (diffeomorph-äquivalenten) orientierten Atlas für derart, dass eine positive Volumenform bezüglich dieses Atlases wird.

Insbesondere ist orientierbar.

Zu betrachtet man Kartengebiete mit der Eigenschaft, dass homöomorph zu einem offenen Ball ist. Es ist

mittels . Dabei ist die hintere Isomorphie durch die Standardbasis mit den Koordinaten gegeben. Es sei die zugehörige -Differentialform auf . Diese Form ist nullstellenfrei, und da zusammenhängend ist, ist nach dem Zwischenwertsatz positiv oder negativ. Im negativen Fall ersetzen wir die Karte, indem wir ein Basiselement durch sein Negatives ersetzen. Dadurch gewinnen wir für jeden Punkt eine Kartenumgebung, auf der die Form positiv ist. Zu zwei Karten und mit der Übergangsabbildung und den lokalen Beschreibungen und gilt dann wegen nach Korollar 14.9 die Beziehung . Da und positiv sind, muss auch die Determinante positiv sein, sodass die Übergangsabbildung orientierungstreu und die Mannigfaltigkeit somit orientiert ist.




Volumenform auf Fasern

Für die folgenden Aussagen vergleiche Bemerkung 13.11.


Korollar  Korollar 15.6 ändern

Es sei offen und sei

(mit ) eine stetig differenzierbare Abbildung, die in jedem Punkt der Faser über regulär sei.

Dann ist die Abbildung

in jedem Punkt eine Isomorphie, wodurch eine stetige nullstellenfreie Volumenform auf gegeben ist.

Bei dieser Abbildung werden die Vektoren und die Gradienten als Vektoren in aufgefasst. Nach Aufgabe 12.13 und nach Korollar Anhang 2.4 ist die Abbildung wohldefiniert und linear. Der Ausgangsraum der Abbildung ist wie der Zielraum eindimensional. Es sei eine Basis von

Da die Abbildung regulär ist, sind die Gradienten untereinander linear unabhängig, und wegen der Orthogonalitätsbeziehung erst recht linear unabhängig zu den . Daher liegt insgesamt eine Basis des vor, sodass nach Satz 16.11 (Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025)) die Determinante ist. Die Abhängigkeit dieser Volumenform vom Basispunkt ist stetig, wie aus der Stetigkeit der Gradienten, der Stetigkeit der Determinante und dem Satz über implizite Abbildungen folgt.


Der vorstehende Satz liefert zwar in dieser wichtigen Situation die Existenz eines positiven Maßes, aber noch nicht die kanonische Volumenform, die wir in der nächsten Vorlesung über die riemannsche Metrik einführen werden. Für den Zusammenhang zwischen den beiden Konzepten siehe Aufgabe 16.10 und Aufgabe 16.11.



Korollar  Korollar 15.7 ändern

Es sei offen und sei

eine stetig differenzierbare Abbildung, die in jedem Punkt der Faser über regulär sei.

Dann ist die Volumenform aus Korollar 15.6 gleich

wobei die die Koordinaten auf bezeichnen und die die zugehörigen -Formen auf .

Nach Korollar 15.6 ist die Volumenform dadurch gegeben, dass sie in einem Punkt und einem -Tupel mit die Zahl

zuordnet. Wir müssen zeigen, dass die angegebene Form damit übereinstimmt. Wenn wir diese im Punkt in den Vektoren auswerten, so erhält man nach [[Dachprodukt/Natürliche Dualität/Endlichdimensional/Fakt|Kurs:Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025)/Dachprodukt/Natürliche Dualität/Endlichdimensional/Fakt/Faktreferenznummer (Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025))]]

Dies ist gerade die Entwicklung der obigen Determinante nach der ersten Spalte.


In der Situation von Korollar 15.6 erhält man nicht nur eine nullstellenfreie Volumenform, sondern auch eine Orientierung auf jedem Tangentialraum und überhaupt eine orientierte Mannigfaltigkeit. Man definiert die Orientierung auf dadurch, dass man festlegt, dass eine Basis die Orientierung repräsentiert, wenn die erweiterte Basis die Standardorientierung des repräsentiert. Diese Festlegung hängt von ab. Wenn man beispielsweise durch ersetzt, so ändert sich bei ungeradem die Orientierung.



Wir betrachten die - Sphäre als Faser über zur differenzierbaren Abbildung

Wir können darauf Korollar 15.6 anwenden und erhalten durch

(wobei die Tangentenvektoren und wegen direkt im aufgefasst werden können.), eine stetige nullstellenfreie Flächenform . Dies führt zu einer positiven Flächenform und zu einer Orientierung auf . Zwei linear unabhängige Tangentialvektoren und repräsentieren die Orientierung, wenn ist, und dies ist genau dann der Fall, wenn die drei Vektoren die Standardorientierung des repräsentieren. Nach Korollar 15.7 kann man diese Flächenform auch als das Doppelte von

schreiben.



Beispiel  Beispiel 15.10 ändern

Es sei eine offene Teilmenge,

eine stetig differenzierbare Funktion und der zugehörige Graph, den wir als -dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit auffassen, die zu über diffeomorph ist. Diese Mannigfaltigkeit ist zugleich die Faser über unter der Abbildung

Der Gradient dieser Abbildung ist

Nach Korollar 15.6 liefert daher die Zuordnung

eine stetige nullstellenfreie -Form auf . Wenn man diese Form über die oben beschriebene (einzige) Karte nach zurückzieht, so ist , wobei sich als Wert der Form im Punkt bezüglich der Vektoren ergibt. Wegen ist dies

wobei das Vorzeichen von abhängt.




Integration längs einer differenzierbaren Abbildung

Auf einer -dimensionalen Mannigfaltigkeit sind nur -Formen über sinnvoll integrierbar. Man möchte aber auch -Formen () über gewisse -dimensionale Unterobjekte integrieren können. Das passende Konzept ist dabei die Integration längs einer differenzierbaren Abbildung

einer -dimensionalen Mannigfaltigkeit . Dabei integriert man über einfach die mit zurückgezogene Differentialform zu einer Form . Auf passen dabei die Dimension und der Grad der Form zusammen. Ein wichtiger Spezialfall ist dabei der von -Formen und differenzierbaren Kurven

die dabei entstehenden Integrale nennt man Wegintegrale.


Es sei eine differenzierbare Mannigfaltigkeit und eine - Differentialform. Es sei

eine stetig differenzierbare Kurve. Dann heißt

das Wegintegral von längs .

Dabei ist .

Im physikalischen Kontext beschreibt eine reellwertige - Differentialform (bzw. ihre duale Version, ein Vektorfeld) eine Kraft; das Wegintegral ist dann der Arbeitsaufwand oder die Energie, die gebraucht oder freigesetzt wird, wenn sich ein Teilchen auf dem Weg bewegt.


Häufig werden wir Differentialformen auf einer abgeschlossenen Untermannigfaltigkeit , offen in , betrachten, die sogar auf definiert sind und daher die Gestalt besitzen, wobei die die Koordinaten des und die auf definierte Funktionen sind. Für einen Weg in ist es nach Aufgabe 15.9 gleichgültig, ob man das Wegintegral mit Bezug auf und oder mit Bezug auf und die eingeschränkte Differentialform betrachtet.

Ein Wegintegral wird folgendermaßen berechnet. Es sei eine -Form auf offen, die durch

beschrieben werde, wobei die messbare Funktionen sind. Es sei eine stetig differenzierbare Kurve gegeben mit den (stetig differenzierbaren) Komponentenfunktionen . Die Ableitung in einem Punkt wird dann nach Lemma 37.4 (Analysis (Osnabrück 2021-2023)) durch den Vektor beschrieben. Die zurückgezogene Differentialform hat dann im Punkt in Richtung den Wert

Im mittleren Ausdruck wird eine Linearform auf einen Vektor angewendet. In wird also durch und durch ersetzt. Das Gesamtergebnis ist eine messbare -Form auf bzw. eine messbare Funktion von nach , die man integrieren kann.



Wir betrachten die Differentialform

auf dem und den affin-linearen Weg

Die unter zurückgenommene Differentialform ist

Für das Integral über dem Einheitsintervall ergibt sich




Fußnoten
  1. Die zur Karte gehörenden Funktionen , die hier mit der -Standardform multipliziert werden, entsprechen den am Ende der 13ten Vorlesung erwähnten Dichten, mit denen ein Maß auf der Mannigfaltigkeit beschrieben werden kann.