Kurs:Riemannsche Flächen (Osnabrück 2022)/Vorlesung 14/kontrolle
- Nullstellengebilde
Wir sind schon öfters der Situation begegnet, wo eine riemannsche Fläche bzw. eine holomorphe Funktion auf einer riemannschen Fläche eine polynomiale Bedingung erfüllt, siehe Korollar 2.8, Satz 5.14, Korollar 5.16, Lemma 13.9. In dieser Vorlesung besprechen wir die verschiedenen durch ein Polynom mit holomorphen Koeffizientenfunktionen gegebenen geometrischen Objekte systematisch.
Es sei eine riemannsche Fläche, seien holomorphe Funktionen auf und sei das durch diese Koeffizientenfunktionen definierte Polynom aus . Dann nennt man
das Nullstellengebilde zu .
Diese Definition ist so zu verstehen: Zu ist
es wird also in die holomorphen Koeffizientenfunktionen eingesetzt und wird in die Variable des Polynoms eingesetzt. Das Nullstellengebilde besteht aus allen Punkten , für die diese Einsetzung ergibt. Das Nullstellengebilde wird mit der induzierten Topologie von versehen. Häufig wird das Polynom als irreduzibel vorausgesetzt. Im Fall, dass oder eine offene Menge davon ist und dass die selbst Polynome in sind, ist ein Polynom in zwei Variablen über und es wird das Paar in die beiden Variablen eingesetzt. Das einfachste nichttriviale Beispiel ist durch das quadratische Polynom gegeben, wobei die Variable auf bezeichnet. Für die Situation, wo statt ein Polynom in als konstanter Koeffizient des quadratischen Polynoms auftritt, siehe Korollar 2.8.
Es sei eine riemannsche Fläche, seien holomorphe Funktionen auf und sei das Nullstellengebilde zu . Es sei die Projektion auf . Dann gelten folgende Eigenschaften.
- Die Faser zu ist die Menge der Nullstellen des komplexen Polynoms .
- Zu jedem besteht aus höchstens Punkten.
- Die Projektion
- Es sei zusammenhängend und irreduzibel. Dann ist die Menge der Punkte , für die aus weniger als Punkten besteht, eine diskrete Teilmenge von .
- Dies ist klar, da man den Einsetzungsprozess in zwei Schritte aufteilen kann.
- Dies folgt aus (1) und Korollar 11.7 (Analysis (Osnabrück 2021-2023)).
- Der erste Teil folgt aus (1) und dem Fundamentalsatz der Algebra. Der zweite Teil ergibt sich mit einem ähnlichen Argument wie im Beweis zu Lemma 9.5.
- Dies folgt aus der Resultantentheorie, insbesondere Satz Anhang. angewendet auf und . Da die Koeffizientenfunktionen holomorph sind, ist die Resultante eine holomorphe Funktion auf , die wegen der Irreduzibilität . Außerhalb deren Nullstellenmenge hat keine mehrfache Nullstelle. Die Nullstellenmenge einer holomorphen Funktion ist diskret nach Satz 3.5.
Ohne die in
Lemma 14.2 (4)
formulierte Bedingung der Irreduzibilität an das Polynom kann das glatte Nullstellengebilde leer sein. Die Irreduzibilität bzw. die schwächere Bedingung, dass und keinen gemeinsamen nichtkonstanten Faktor besitzen, ist also häufig nötig, damit die Aussagen sich nicht auf die leere Menge beziehen
(die wir als riemannsche Fläche gelten lassen).
In
Satz 26.11
wird gezeigt, dass für ein irreduzibles Polynom über einer zusammenhängenden riemannschen Fläche das Nullstellengebilde ebenfalls zusammenhängend ist.
Es sei eine riemannsche Fläche, seien holomorphe Funktionen auf und sei das Nullstellengebilde zu . Es sei die Projektion auf . Dann nennt man
das unverzweigte Nullstellengebilde zu .
Es sei eine riemannsche Fläche, seien holomorphe Funktionen auf und sei das Nullstellengebilde zu . Es sei die Projektion auf . Dann nennt man
das glatte Nullstellengebilde zu . Hierbei bezeichnet einen lokalen Parameter in einer offenen Umgebung von .
Dabei ist die formale Ableitung nach . Ein Punkt des Nullstellengebildes, der nicht die Glattheitsbedingung aus der Definition erfüllt, heißt singulärer Punkt oder Singularität.
Es sei eine riemannsche Fläche, seien holomorphe Funktionen auf und es sei das glatte Nullstellengebilde zum irreduziblen Polynom .
Dann ist eine riemannsche Fläche, die erste Projektion ist eine holomorphe Abbildung und die zweite Projektion ist eine holomorphe Funktion.
Wir betrachten die Abbildung
Wenn man lokal durch eine Karte mit dem offenen Kartenbild beschreibt, so liegt eine komplex-differenzierbare Abbildung
in den komplexen Variablen und vor, wobei einen lokalen Parameter von bezeichne. Das Nullstellengebilde ist die Faser von über dem Nullpunkt . Die beiden partiellen Ableitungen von sind
und
Ein Punkt ist genau dann ein regulärer Punkt für , wenn zumindest eine der beiden partiellen Ableitungen in diesem Punkt nicht verschwindet. Deshalb ist das glatte Nullstellengebilde nach Definition die Menge der regulären Punkte zu . Der Satz über implizite Abbildungen zeigt, dass die Faser lokal in jedem regulären Punkt homöomorph zu einer offenen Teilmenge von ist, und dass diese Homöomorphismen durch komplex-differenzierbare Abbildungen nach gegeben sind. Somit liegt auf die Struktur einer eindimensionalen komplexen Mannigfaltigkeit vor, also eine riemannsche Fläche. Die Holomorphie der beiden Abbildungen ergibt sich ebenfalls aus dem Satz über implizite Abbildungen.
Es sei eine riemannsche Fläche, seien holomorphe Funktionen auf .
Dann ist das unverzweigte Nullstellengebilde eine offene Teilmenge des glatten Nullstellengebildes zum Polynom .
Ein Punkt des Nullstellengebildes gehört genau dann zum unverzweigten Nullstellengebilde, wenn oberhalb von alle Punkte glatt und unverzweigt sind.
In den Punktes des unverzweigten Nullstellengebildes haben und (Ableitung nach ) keine gemeinsame Nullstelle. D.h. hat in diesen Punkten keine Nullstelle und daher handelt es sich insbesondere um einen glatten Punkt. Es bezeichne die offene Teilmenge von bestehend aus allen Punkten mit der Eigenschaft, dass alle Punkte darüber glatt sind. Dabei gilt , wobei die Menge aus Lemma 14.2 (4) bezeichnet. Wir betrachten die eingeschränkte Projektion . Hierbei ist als Teilmenge des glatten Nullstellengebildes eine riemannsche Fläche und die Abbildung ist endlich mit Blätterzahl . Nach Satz 9.10 ist genau dann überall unverzweigt, wenn die Faseranzahl gleich ist.
Es sei eine zusammenhängende riemannsche Fläche, seien holomorphe Funktionen auf und sei das unverzweigte Nullstellengebilde zum irreduziblen Polynom .
Dann ist die Abbildung
mit eine endliche Überlagerung mit Blätterzahl vor und ist eine riemannsche Fläche.
Es ist mit wie in Lemma 14.2 (4) und es ist . Es ist eine riemannsche Fläche nach Lemma 14.6 und die Abbildung ist eine endliche Überlagerung nach Satz 9.10.
Wir betrachten die holomorphe Funktion auf und dazu das Polynom . Das Nullstellengebilde
ist überall glatt und steht direkt in einer Bijektion
die biholomorph wird, wenn im Sinne von Lemma 14.5 als eine riemannsche Fläche aufgefasst wird. Die Umkehrabbildung ist die zweite Projektion auf . Das unverzweigte Nullstellengebilde ist .
Wir betrachten die holomorphe Funktion auf und dazu das Polynom
Das Nullstellengebilde
ist die Vereinigung von zwei komplexen Ebenen, die sich im singulären Punkt kreuzen, es liegt das komplexe Achsenkreuz vor. Das glatte Nullstellengebilde ist
die disjunkte Vereinigung von zwei punktierten komplexen Zahlengeraden (also Gaußsche Zahlenebenen) und ist insbesondere nicht zusammenhängend. Dies ist auch das unverzweigte Nullstellengebilde.
Wir betrachten die holomorphe Funktion auf und dazu das Polynom
Das Nullstellengebilde
nennt man die Neilsche Parabel. Die partiellen Ableitungen sind bzw. , somit ist der einzige singuläre Punkt und das glatte Nullstellengebilde ist . Zu gibt es oberhalb von die beiden Punkte und daher stimmt das glatte Nullstellengebilde mit dem unverzweigten Nullstellengebilde überein.
Wir werden in Satz 14.11 sehen, dass man das glatte Nullstellengebilde über die singulären Punkte des Nullstellengebildes hinaus zu einer größeren riemannschen Fläche mit einer surjektiven endlichen holomorphen Abbildung nach erweitern kann. Im Beispiel der Neilschen Parabel wird dies durch die Abbildung
geleistet, die bijektiv ist und auf dem glatten Ort biholomorph. Im Beispiel des Achsenkreuzes wird es durch die disjunkte Vereinigung von zwei komplexen Geraden geleistet, die auf die beiden Achsen abbilden und sich im Ursprung vereinigen.
- Fortsetzung von Nullstellengebilden
Bei einem durch ein Polynom definierten Nullstellengebilde über einer riemannschen Fläche treten Singularitäten auf. Diese kann man einfach ignorieren und herausnehmen, um eine riemannsche Fläche zu erhalten, ober aber man kann diese Punkte mit einer kleinen Umgebung durch Punkte in einer Kreisscheibe ersetzen. Ein anderes Problem ist die Frage, inwiefern man eine riemannsche Fläche mit einer endlichen Realisierung zu einer riemannschen Fläche über fortsetzen kann. Man denke beispielsweise an die hyperelliptische Situation
mit einem Polynom ohne mehrfache Nullstelle und der durch gegebenen Projektion nach , siehe Lemma 9.5. Von der projektiven Geometrie her ist es ein naheliegender Ansatz, die Gleichung mit Hilfe einer neuen Variablen zu homogenisieren und dann das projekive Nullstellengebilde in zu betrachten. Wenn den Grad besitzt und in der Form vorliegt, so ist die Homogenisierung gleich und dies definiert eine glatte Kurve, also eine riemannsche Fläche. Dabei kommt ein neuer Punkt hinzu. Wenn aber größeren Grad besitzt, so wird die Homogenisierung im allgemeinen singuläre Punkte besitzen, also keine Beschreibung einer riemannschen Fläche sein. Der folgende Fortsetzungssatz besagt, dass es in einer solchen Situation stets eine sinnvolle Fortsetzung als riemannsche Fläche gibt. Dabei wird keine Aussage über Beschreibungen mit Hilfe von Gleichungen gemacht.
Es sei eine endliche holomorphe Abbildung zwischen riemannschen Flächen
und . Es sei eine offene Einbettung von in einer riemannschen Fläche , wobei diskret sei.
Dann gibt es eine eindeutig bestimmte riemannsche Fläche und eine endliche holomorphe Abbildung
die fortsetzt.
Es sei und eine offene Kreisscheibe, die keine weitere Punkte von und auch keine Verzweigungsbildpunkte von enthalte. Die eingeschränkte Abbildung
ist endlich und unverzweigt, es liegt eine endliche Überlagerung der punktierten Kreisscheibe vor. Es seien die Zusammenhangskomponenten von . Dann ist jedes
eine endliche Überlagerung. Eine solche ist eine Potenzabbildung auf einer punktierten Kreisscheibe. Dabei kann man zu einer Kreisscheibe auffüllen und die Potenzabbildung als Abbildung von nach fortsetzen. Dies macht man für jedes und für alle Punkte aus .
In der Situation eines
Nullstellengebildes
zu einem Polynom über kann man
(aufgrund von
Lemma 14.7)
Satz 14.11
stets auf das
unverzweigte Nullstellengebilde
anwenden.
Es sei ein Polynom ohne mehrfache Nullstelle vom Grad und sei die zugehörige riemannsche Wurzelfläche mit der Projektion , . Man nennt die Fortsetzung von (über ) im Sinne von Satz 14.11 die hyperelliptische riemannsche Fläche zu .
Hyperelliptische riemannsche Flächen sind kompakt. Sie sind insofern einfach, dass sie eine endliche holomorphe Abbildung von der Blätterzahl auf die projektive Gerade besitzen, ansonsten können sie beliebig kompliziert sind, beispielsweise gibt es zu jedem Geschlecht hyperelliptsche Flächen.
Es sei ein Polynom ohne mehrfache Nullstelle vom Grad und sei die zugehörige riemannsche Wurzelfläche mit der Projektion , . Es sei die zugehörige hyperelliptische riemannsche Fläche mit der Projektion
Dann liegen über dem unendlich fernen Punkt bei ungerade ein Punkt und verzweigt darin mit der Verzweigungsordnung und bei gerade zwei Punkte, in denen unverzweigt ist.
Wir beschreiben die Situation im unendlich fernen Punkt. Es sei , wir multiplizieren die Gleichung mit und erhalten
bzw. , wobei diese Beschreibung für gilt. Bei ungerade besteht das zugehörige Nullstellengebilde in einer punktierten Umgebung von aus einer Zusammenhangskomponente, da die rechte Seite kein Quadrat einer meromorphen Funktion in ist, bei gerade besteht das zugehörige Nullstellengebilde aus zwei Zusammenhangskomponenten, da man
mit auf einer hinreichend kleinen Kreisscheibe um definierten Quadratwurzeln (wegen ) gemäß Satz 1.13 schreiben kann. Diese Zusammenhangskomponenten legen nach dem Beweis zu Satz 14.11 fest. Im ungeraden Fall liegt auf einer punktierten Kreisscheibe eine Abbildung der Blätterzahl vor, mit einem lokalen Parameter liegt die Abbildung vor und es ist
eine lokale Beschreibung für . Bei gerade kann man jeweils als lokalen Parameter für die beide Kreisscheiben oben nehmen, und es ist
eine lokale Beschreibung für .
Man beachte, dass die homogene Gleichung
keine Beschreibung der hyperelliptischen Kurve ist. Das durch diese Gleichung in der projektiven Ebene beschriebene Nullstellengebilde besitzt Singularitäten, die durch den in Lemma 14.13 beschriebenen Prozess eliminiert werden.