Kurs:Bündel, Garben und Kohomologie (Osnabrück 2019-2020)/Vorlesung 18
- Der Modul der Kähler-Differentiale
Auf einer Mannigfaltigkeit gibt es das Tangentialbündel , das zu einem Punkt aus dem Tangentialraum besteht, der durch Äquivalenzklassen von differenzierbaren Kurven
durch gegeben ist. Das Tangentialbündel ist ein reelles Vektorbündel auf , das charakteristisch für die Mannigfaltigkeit ist und mit dessen Hilfe man viele Invarianten für die Mannigfaltigkeit definieren kann. Wir wollen ein entsprechendes Objekt für ein Schema (sagen wir vom endlichen Typ über einem Körper) definieren. Eine unmittelbare Übertragung des analytischen Konzeptes ist nicht möglich, da es keinen direkten Ersatz für die differenzierbaren Kurven gibt. Wir orientieren und daher an einem anderen Gesichtspunkt des Tangentialbündels. Einen (stetigen oder differenzierbaren) Schnitt im Tangentialbündel (über einer offenen Menge ) nennt man ein (stetiges oder differenzierbares) Vektorfeld. Ein Vektorfeld ordnet jedem Punkt einen Tangentialvektor zu. Man kann nun differenzierbare Funktionen auf entlang eines Vektorfeldes ableiten und erhält dabei wieder eine Funktion. Dazu setzt man
wobei die Richtungsableitung von in Richtung in bezeichnet. Diese Richtungsableitung kann man auf jeder Karte ausrechnen, das Ergebnis ist wegen der Kettenregel unabhängig von der gewählten Karte. Wenn unendlich oft differenzierbar ist, so ergibt dies eine Abbildung
Diese Abbildung ist eine -lineare Derivation im Sinne der folgenden rein algebraischen Definition. Wir werden aufbauend auf Derivationen den Modul der Kähler-Differentiale einführen und daraus dual ein Tangentialgarbe im schematheoretischen Kontext entwickeln, die ferner lokal frei ist, wenn das Schema keine Singularitäten besitzt. In dieser Vorlesung betrachten wir die affine Situation und verzichten auf Beweise.
Es sei ein kommutativer Ring, eine kommutative - Algebra und ein - Modul. Dann heißt eine - lineare Abbildung
mit
für alle eine -Derivation (mit Werten in ).
Die dabei verwendete Regel nennt man Leibniz-Regel. Oft ist . Für den Polynomring sind beispielsweise die -ten (formalen) partiellen Ableitungen
-Derivationen von nach . Die Menge der Derivationen von nach ist in natürlicher Weise ein - Modul. Er wird mit bezeichnet.
Es sei ein kommutativer Ring und eine kommutative - Algebra. Der von allen Symbolen , , erzeugte - Modul, modulo den Identifizierungen
und
heißt Modul der Kähler-Differentiale von über . Er wird mit
bezeichnet.
Bei dieser Konstruktion startet man also mit dem freien -Modul mit , als Basis und bildet den - Restklassenmodul zu demjenigen Untermodul, der von den Elementen
und
erzeugt wird. Die Abbildung
heißt die universelle Derivation. Man prüft sofort nach, dass es sich um eine - Derivation handelt. Die Elemente in heißen (algebraische) Differentialformen.
Es sei ein kommutativer Ring und eine kommutative - Algebra. Dann besitzt der - Modul der Kähler-Differentiale die folgende universelle Eigenschaft.
Zu jedem -Modul und jeder - Derivation
gibt es eine eindeutig bestimmte - lineare Abbildung
mit .
Für jedes
, ,
muss sein. Da die ein
-
Modul-Erzeugendensystem
von bilden, kann es maximal nur einen solchen Homomorphismus geben.
Es sei der
freie Modul
zur
Basis
, .
Die Zuordnung
legt
nach dem Festlegungssatz
einen
-
Modulhomomorphismus
fest. Es ist , wobei der von den Elementen erzeugte Untermodul ist, die die Leibnizregel und die Linearität ausdrücken. Da eine Derivation ist, wird unter auf abgebildet. Daher gibt es nach dem Homomorphiesatz eine eindeutige -lineare Abbildung
mit
Diese Aussage kann man auch so ausdrücken, dass eine natürliche
-
Modulisomorphie
vorliegt. Insbesondere ist
wobei rechts der Dualmodul genommen wird.
Es sei ein kommutativer Ring, eine kommutative - Algebra und der Modul der Kähler-Differentiale. Dann gelten folgende Eigenschaften.
- Es ist für alle .
- Man kann
als den Restklassenmodul des freien -Moduls zur Basis , , modulo dem Untermodul, der von den Leibnizrelationen und von , , erzeugt wird, beschreiben.
- Bei ist , , ein - Modulerzeugendensystem von .
- Sei
.
Für ein Polynom
und das zugehörige Element
gilt in die Beziehung
wobei die -te partielle Derivation bezeichnet.
- Zu einem kommutativen Diagramm
wobei die Pfeile Ringhomomorphismen repräsentieren, gibt es eine eindeutig bestimmte - lineare Abbildung
- Es sei . Wegen der -Linearität ist
.
Wegen der Produktregel ist
sodass durch Subtraktion folgt.
- Wir zeigen, dass der in Frage stehende Untermodul mit dem Untermodul übereinstimmt, der von allen Leibnizrelationen und von den Linearitätsrelationen erzeugt wird. Nach Teil (1) ist die Inklusion
klar. Für und gilt modulo die Gleichheit
sodass also auch die Linearitätsrelationen zu gehören.
- Dies folgt aus der Linearität und der Leibnizregel.
- Beide Seiten sind -linear, sodass es genügt, die Aussage für Monome zu zeigen. Für Monome beweist man die Aussage durch Induktion über den Gesamtgrad des Monoms.
- Da über
eine -Algebra ist, ist auch ein -Modul. Die Verknüpfung
ist eine - Derivation, wie man unmittelbar nachrechnet. Aufgrund der universellen Eigenschaft von gibt es eine eindeutig bestimmte - lineare Abbildung
Es sei ein kommutativer Ring und der Polynomring in Variablen über .
Dann ist der Modul der Kähler-Differentiale der freie - Modul zur Basis
Die universelle Derivation ist bezüglich dieser Basis durch
gegeben.
Es sei der von den Symbolen erzeugte freie - Modul. Die Abbildung
die das Basiselement auf das Differential schickt, ist nach Lemma 18.4 (3) surjektiv. Die -te partielle Ableitung
ist eine - Derivation, sodass es aufgrund der universellen Eigenschaft des Moduls der Differentialformen eine - lineare Abbildung
mit gibt. Dabei ist und für . Diese Abbildungen ergeben zusammen eine -lineare Abbildung
für die gilt. Daher ist auch injektiv.
Im Allgemeinen ist der Modul der Kähler-Differentiale nicht frei.
Es sei ein kommutativer Ring und es seien und kommutative - Algebren und
ein - Algebrahomomorphismus.
Dann ist die Sequenz
von -Moduln exakt.
Dabei geht auf und (in ) auf (in ).
Die Surjektivität rechts ist klar. Zur Exaktheit an der zweiten Stelle verwenden wir die Beschreibung aus Lemma 18.4 (2). Die beiden Moduln und besitzen das gleiche Erzeugendensystem und auch die Leibnizrelationen sind für beide gleich. Der Modul ergibt sich aus gerade dadurch, dass man den von den , , erzeugten -Untermodul zu macht. Dieser Untermodul ist genau das Bild der Abbildung links.
- Kähler-Differentiale und Jacobi-Matrix
Es sei ein kommutativer Ring, es sei eine kommutative - Algebra und ein Ideal mit dem Restklassenring .
Dann ist die Sequenz
von -Moduln exakt.
Dabei geht auf und auf .
Die -lineare Abbildung
kann man auf das Ideal einschränken. Durch Tensorieren mit erhält man unter Verwendung von Proposition 16.9 (Invariantentheorie (Osnabrück 2012-2013)) (2) die -lineare Abbildung
Die Surjektivität der Abbildung rechts ist klar, da der - Modul von den , , erzeugt wird und diese von , herrühren. Ein Element geht auf und damit auf in , da das Element in selbst wird.
Es sei nun
ein Element, das in auf abbildet. Wir können
mit schreiben. Da es auf in abbildet, gilt in dem von den Symbolden , , erzeugten freien - Modul die Beziehung
wobei und die Erzeuger der Relationen für den Modul der Kähler-Differentiale ist, also gleich mit oder gleich mit und ist. Der angesprochene freie -Modul entsteht aus dem durch die , , erzeugten freien -Modul einfach dadurch, dass man die Koeffizienten aus und die zu macht. Somit gilt in diesem freien -Modul
mit , und . In wird wegen der Tensorierung zu und daher gilt dort in der Tat
Es sei ein kommutativer Ring und es sei eine kommutative endlich erzeugte - Algebra, die als
gegeben sei.
Dann ist
Es sei ein kommutativer Ring und es sei eine kommutative endlich erzeugte - Algebra, die als gegeben sei. Dann ist nach Lemma 18.4 (4)
und nach Korollar 18.9 gibt es eine exakte Sequenz
wobei
die transponierte Jacobi-Matrix (ohne Auswertung an einem Punkt) ist. Die Standardvektoren werden auf abgebildet und die Spaltenvektoren , die die Nullelemente repräsentieren, sind die Bilder der durch die Matrix gegebenen Abbildung.
- Glattheit und Regularität
Es sei ein algebraisch abgeschlossener Körper und seien Polynome mit der zugehörigen affin-algebraischen Menge
Es sei ein Punkt von mit der Eigenschaft, dass im Punkt die Dimension besitze. Dann heißt ein glatter Punkt von , wenn der Rang der Matrix
im Punkt mindestens ist. Andernfalls heißt der Punkt singulär.
Zu einer - Algebra
und einem Punkt mit zugehörigem maximalen Ideal und Lokalisierung
ist
und die Tensorierung
zur Restekörperauswertung
spielt eine besondere Rolle. Es ergibt sich ein direkter Zusammenhang zum Dualraum des extrinsischen Tangentialraumes von an . Das bedeutet, dass in natürlicher Weise der Kotangentialraum im Punkt ist.
Es sei ein Körper,
eine endlich erzeugte - Algebra und ein Punkt des zugehörigen Nullstellengebildes mit zugehörigem maximalen Ideal und Lokalisierung
Dann ist der Tangentialraum zu in in kanonischer Weise der duale Vektorraum zu .
Nach Bemerkung 17.10 gibt es eine exakte Sequenz
wobei die transponierte Jacobi-Matrix zu den ist. Wir tensorieren mit dem Restekörper und erhalten eine exakte Sequenz
von endlichdimensionalen - Vektorräumen. Die duale Sequenz dazu ist
und ebenfalls exakt. Nach Definition ***** ist aber der Kern der Jacobi-Matrix im Punkt der Tangentialraum an in .
Ein noetherscher lokaler Ring der Dimension heißt regulär, wenn es Elemente gibt, die das maximale Ideal erzeugen.
Es sei ein Körper und eine lokale kommutative - Algebra und es sei die Gesamtabbildung
ein Isomorphismus.
Dann ist die Abbildung
ein - Modulisomorphismus.
Nach Lemma 18.8 liegt eine exakte Sequenz
von - Modulhomomorphismen vor. Nach Voraussetzung ist und daher . Somit ist die angegebene Abbildung surjektiv. Zum Nachweis der Injektivität betrachten wir die - duale Abbildung, also die Abbildung
und müssen zeigen, dass diese surjektiv ist (es geht um Vektorräume).
Der linke Homomorphismenmodul ist nach Fakt ***** und Lemma 18.3 isomorph zu
Die Gesamtabbildung ordnet einer -Derivation die Abbildung
zu. Es sei nun
ein -Modulhomomorphismus. Wir müssen zeigen, dass dies von einer Derivation herkommt. Dazu betrachten wir die Abbildung
wobei den Wert von im Restklassenkörper bezeichnet, den man über die Identifizierung wieder in auffasst. Somit gehört und die Abbildung ist wohldefiniert. Eine direkte Verifizierung ähnlich zum Beweis zu Fakt ***** zeigt, dass es sich um eine Derivation handelt. Diese bildet auf ab.
Ohne die Voraussetzung, dass die natürliche Abbildung zwischen dem Grundkörper und dem Restklassenkörper ein Isomorphismus ist, gilt diese Aussage nicht, siehe
Aufgabe 18.23.
In der Situation von Lemma 18.12 kann man direkt eine Beziehung zwischen dem (extrinsischen) Tangentialraum, der als Kern der Jacobi-Matrix gegeben ist, und dem Dualraum zu stiften. Es sei
Dies definiert eine Abbildung
dabei wird, in analytischer Sprache, einer Funktion die Auswertung in ihrer Richtungsableitung in Richtung zugeordnet. Die Kernbedingung stellt dabei sicher, dass Funktionen aus dem Ideal auf abgebildet werden und die Abbildung auf dem maximalen Ideal des Restklassenringes wohldefiniert ist. Nach der Produktregel wird dabei auf abgebildet und es ergibt sich eine - lineare Abbildung
Es sei ein algebraisch abgeschlossener Körper
ein Punkt der affin-algebraischen Menge zum Ideal mit dem lokalen Ring
Ohne Einschränkung sei der Nullpunkt mit dem zugehörigen maximalen Ideal im Polynomring, dem zugehörigen maximalen Ideal in und dem zugehörigen maximalen Ideal in . Wir betrachten die - lineare Abbildung
Dabei werden die Variablen auf die Standardvektoren abgebildet und die Abbildung ist surjektiv. Ein Element
wird auf abgebildet. Ein homogenes Element
besitzt zumindest den Grad und wird daher auf abgebildet, da die partiellen Ableitungen den Grad um reduzieren und somit ergibt sich jeweils ein Element von positivem Grad. Durch Einsetzen des Nullpunktes ergibt sich dann . Insgesamt induziert dies eine -lineare Abbildung
die bijektiv ist, da die Räume die gleiche Vektorraumdimension besitzen.
Nach Fakt ***** ist . Unter der surjektiven Abbildung
wird und auf abgebildet, und zwar ist der Kern genau . Somit gibt es eine -lineare Bijektion
Wir betrachten die Abbildungen
Ein Element wird rechts genau dann auf geschickt, wenn der lineare Anteil von zu gehört. Dies bedeutet, dass eine Gleichung der Form
modulo besteht und dies bedeutet (für die ist nur der konstante Term relevant), dass eine lineare Gleichung der Form
Dies ist genau dann der Fall, wenn im Bild der Jacobimatrix liegt. Daher ist das Bild der Jacobimatrix gleich dem Kern der surjektiven Abbildung rechts. Somit ist nach der Dimensionsformel
Es sei nun die Dimension von im Punkt , die mit der Dimension des lokalen Ringes übereinstimmt. Nach Definition ist genau dann nichtsingulär, wenn ist. Dies ist daher genau dann der Fall, wenn
ist, und dies ist die Definition eines regulären Ringes.
Es sei ein vollkommener Körper und die Lokalisierung einer endlich erzeugten - Algebra. Der Restklassenkörper sei isomorph zu .
Dann ist genau dann regulär, wenn der Modul der Kähler-Differentiale frei ist und sein Rang mit der Dimension des Ringes übereinstimmt.
Wir verwenden Lemma 18.14, also den natürlichen - Isomorphismus
Wenn ein freier -Modul und sein Rang gleich der Dimension ist, so gilt dies auch für den -Modul und dann ist insbesondere ein -dimensionaler - Vektorraum. Dies bedeutet nach Definition, dass regulär ist. Umgekehrt folgt aus der Regularität, dass und entsprechend ein -dimensionaler Vektorraum ist, und nach dem Lemma von Nakayama, dass als -Modul von Elementen erzeugt wird. Nach Satz 21.5 (Singularitätentheorie (Osnabrück 2019)) ist ein Integritätsbereich, sei sein Quotientenkörper. Nach Satz 19.7 (Singularitätentheorie (Osnabrück 2019)) ist der Transzendenzgrad von über gleich der Dimension von . Da der Modul der Kähler-Differentiale mit Nenneraufnahmen verträglich ist, gilt
Da vollkommen ist, ist die Körpererweiterung nach Fakt ***** (nicht endlich, aber) separabel. Damit ist ein freier -Modul, dessen Rang gleich dem Transzendenzgrad ist. Zusammenfassend besitzt also der -Modul die Eigenschaft, dass er von Elementen erzeugt wird und dass die Tensorierung mit ein - Vektorraum der Dimension ist. Somit müssen die - linear unabhängig sein, da sie dies über sind, und daher handelt es sich um eine Basis. Also ist frei vom Rang .
Ohne die Voraussetzung, dass der Grundkörper vollkommen ist, ist diese Aussageb nicht richtig, siehe
Aufgabe 18.24.
Es sei eine zusammenhängende glatte Varietät über einem vollkommener Körper und es sei der affine Koordinatenring zu .
Dann ist der Modul der Kähler-Differentiale lokal frei von konstantem Rang und insbesondere ein projektiver Modul.
Dies folgt aus Satz 18.16, Satz 18.17, Lemma 18.6 und Lemma 16.5.
Wir betrachten die reelle Sphäre
mit dem affinen Koordinatenring
Der - Modul der Kählerdifferentiale ist nach Korollar 18.9 gleich
Eine direkte Überprüfung zeigt, dass die reelle Sphäre glatt ist. Nach Satz 18.17 ist somit lokal frei (von konstantem Rang ). Dies kann man auch direkt von der Darstellung her begründen, siehe Aufgabe 18.25. Dagegen ist nicht frei. Dies ist eine algebraische Version des Satzes vom Igel, dass man ihn nicht glattkämmen kann, also die Stacheln nicht wirbelfrei tangential an die Kugel anlegen kann.
Der Tangentialraum zu einer polynomialen Abbildung
mit dem Nullstellengebilde
an einem Punkt
ist
Wenn ein regulärer Punkt der Abbildung ist und man den Satz über implizite Abbildungen anwenden kann, so handelt es sich um einen linearen Unterraum, dessen Dimension mit der (Mannigfaltigkeits-)Dimension von übereinstimmt. Diese Konstruktion ist extrinsisch, sie hängt von der Einbettung von in den affinen Raum ab. Wir möchten eine intrinsische Version des Tangentialraumes vorstellen, der nur von bzw. dem affinen Koordinatenring abhängt. Dazu führen wir den Modul der Kähler-Differentiale ein, der für jede - Algebra eine duale Version des Tangentialraumes liefert.
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